Londons Hexenkessel Radstadion

Londons Hexenkessel Radstadion
Publikumsliebling Chris Hoy holt seine 6. Goldmedaille und ist der erfolgreichste britische Olympionike der Geschichte.

Das Velodrome ist das schönste Gebäude der Olympischen Spiele. Die Fassade mit Holz verkleidet, durch Fenster können Besucher von außen hereinschauen, das runde, geschwungene Dach soll die Leichtigkeit und Effizienz eines Bahn-Rennrades widerspiegeln.

Doch innen empfängt den Zuschauer eine andere Welt. Es brodelt, es ist heiß, fast stickig. An jedem Tag ist jeder der 6000 Plätze besetzt, ungefähr 200 britische Nationalflaggen hängen über den Banden.

Es scheint, als ob die sonst so besonnenen Engländer ihre Contenance vor der Eingangstüre zur Halle abgegeben haben. Es wird gebrüllt, gepfiffen, es werden Fahnen geschwenkt, es wird geflucht – vor allem über den Deutschen Robert Förstemann mit den abartig riesigen Oberschenkeln, wie eine Comicfigur. Aber vor allem wird gejubelt. Viel gejubelt. Denn die Briten fahren bei ihren Heimspielen so ziemlich alles in Grund und Boden. Gold im Teamsprint der Herren, Gold im Keirin der Damen, Gold im Sprint der Herren, Gold in der Mannschaftsverfolgung bei Damen und Herren. Dazu ein paar Weltrekorde.

Investitionen

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Vor 14 Jahren investierte die britische Lotteriegesellschaft erstmals viel Geld in den Radsport. Fahrer, Trainer und Betreuer sammelten viel Wissen und Erfahrung. Seit vier Jahren bereitet sich das gesamte Team gezielt auf die Heimspiele vor. Mit Erfolg: Die Briten sind am Tag X in Höchstform, und sie haben das leichteste und aerodynamischste Material. Sie dominieren fast jeden Bewerb auf der 250-Meter-Bahn, gebaut aus sibirischer Fichte und 350.000 Nägeln:

Beim Keirin, wo sechs Fahrer hinter einem lächerlichen Motorrad, dem Derny, herfahren, das von einem Mann gefahren wird, der aussieht, wie man sich einen französischen Briefträger Anfang des 20. Jahrhunderts vorstellt. Irgendwann schwenkt das lächerliche Motorrad weg und das Rennen beginnt richtig. Wer drei Runden später vorne ist, hat gewonnen.

Bei der Mannschaftsverfolgung, wo zwei Teams von je vier Fahrern mit 62 km/h Schnitt dahinrasen, die Hinter- und Vorderräder durch 15 Zentimeter getrennt.

Beim Teamsprint, wo drei Fahrer starten – aber nur einer ins Ziel kommt.

Die Zuschauer sind so laut, dass die Moderatoren von Radio und Fernsehen brüllen müssen, um verstanden zu werden. Unter den Fans ist auch Bradley Wiggins. Wiggins ist zum Nationalhelden geworden mit Siegen bei der Tour de France und beim olympischen Zeitfahren. Nach seiner siebenten Olympia-Medaille soll er von der Queen zum Ritter geschlagen werden.

Ritter

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Sir Chris Hoy ist das schon seit 2009. Der 34-jährige Schotte ist ein Ritter, wie er im modernen Märchenbuch auftauchen könnte. Hoy ist ein echter Sir, will aber nicht so genannt werden. "Er ist genauso sympathisch wie er im Fernsehen rüberkommt", sagt Hoys deutscher Trainer Jan van Eijden. "Er hat sich überhaupt nicht verändert, seit er diesen Status hat."

Als der jüngere Teamkollege Jason Kenny in Hoys Paradedisziplin Sprint den Vorzug in London bekam, wünschte Hoy seinem Teamkollegen einfach "alles Gute". "Ritterlich" sei das gewesen, fand The Times. Hoy ist Perfektionist im Training und Mr. Perfect im Privatleben. Skandale? Keine.

Dafür lieben ihn die Briten. Hoy lacht von Werbeplakaten, Hoy winkt von Titelseiten, Hoy spricht im Fernsehen. Als die britischen Athleten vor den Spielen erstmals ein Mitspracherecht für ihren Fahnenträger hatten, wurde gewählt: Hoy.

Seit Dienstag ist er der erfolgreichste britische Olympia-Teilnehmer der Geschichte. Im Keirin gewann er sein sechstes Gold und übertraf damit Segel-Legende Steve Redgrave mit seinen fünf Goldenen. Viele sagen, Hoy sei der größte lebende Schotte, aber der wiegelt ab: "Ich habe schon Sean Connery getroffen. Er ist der Größte."

Der ehemalige James-Bond-Darsteller ist nicht in der Halle, dafür Premierminister David Cameron, der mit Prinz Harry jubelt. Prinz William und Kate liegen einander in den Armen, und auch ein anderer Sir will Hoy unbedingt sehen: Sir Paul McCartney singt mit der Menge "Hoy Jude". Entschuldigung: "Hey Jude".

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