Wie Weißhaidinger bei der 17. WM die erste Herren-Medaille holte
Die Party könnte als die kürzeste Medaillenfeier in die Sportgeschichte eingehen. Nach Interviews, Pressekonferenz, Dopingkontrolle und einer langen Wartezeit vor der Rückfahrt ins Hotel wurde es 1.30 Uhr, bis Lukas Weißhaidinger in der Champions Bar des Marriott in Doha ankam. Dort genehmigte sich der 27-Jährige zwei schnelle (und teure) Bier, bis der Kellner nach zehn Minuten zum Schlussmachen aufforderte, man sperre zu.
Doch schlafen konnte der 1,97 Meter große und 150 Kilogramm Athlet lange nicht. Zu viel war vorgefallen. Geschichte hat er geschrieben mit der ersten österreichischen WM-Medaille eines Mannes, Bronze im Diskuswurf. Bis in die Morgendämmerung las er die Gratulationen am Handy. Alle hätten sich gemeldet, vom Bundespräsidenten abwärts.
Neue Erfahrung
Mit seiner rot-weißen Trainingsjacke, einer kurzen Hose und in Badeschlapfen erscheint Weißhaidinger am Tag danach zum Gespräch in der Hotellobby. Erholt schaut er aus. Doch das täuscht. „Diese Medaille hat viel Kraft gekostet, körperlich und mental“, sagt er. „Die letzten Wochen waren nicht einfach, ich habe den Druck von außen gespürt und ich habe mir den Druck auch selber gemacht. Jetzt bin ich leer.“
Neben ihm sitzt sein Trainer Gregor Högler. Der ehemalige Speerwerfer ist außerdem Sportdirektor des Verbandes, kongenialer Partner Weißhaidingers und maßgeblich beteiligt am historischen Erfolg. Es beeindruckt, wie respektvoll die beiden miteinander umgehen, und der Zuhörer bekommt einen ungefähren Einblick in die akribische Arbeit des Duos.
„120 Gramm Muskelmasse verliert Lukas pro Tag, wenn er sich nicht bewegt“, erklärt Högler. „Natürlich hat er sich jetzt einen Urlaub verdient, denn wir haben 53 Wochen lang keine Trainingspause gehabt. Das Ziel ist aber, dass man sich in den drei Wochen Pause nicht alles wieder zerstört.“
Neue Ziele
Selbst nach dem größten Erfolg eines Mannes in der Geschichte der österreichischen Leichtathletik wollen sich Weißhaidinger und Högler nicht ausruhen. Das nächste Ziel ist bereits definiert: Eine Medaille bei den Olympischen Spielen in Tokio im kommenden Jahr und eine weitere Steigerung. Högler: „Wir wollen einen Rekord aufstellen, dass die Leute in hundert Jahren glauben: ‚Die haben sich verschrieben.‘“
Dafür beschäftigen sie sich sehr viel mit Physik. „Der Erfolg führt über die Physik“, erklärt Weißhaidinger. Der schwedische Goldmedaillengewinner Daniel Ståhl ist etwa größer als Weißhaidinger, der dieses Manko mit einer speziellen Technik wettmachen muss. „Deshalb haben wir uns heuer viel mit Biomechanik beschäftigt“, erklärt er. „Wie kann man einen Diskus mit wenig Aufwand weit fliegen lassen. Das war der Dünger, der die Blume zum Wachsen gebracht hat.“
Aufgegangen ist die Saat vor allem in der Südstadt, wo sich die beiden Trainingsmöglichkeiten von Weltformat aufgebaut haben. „Man hat gesehen, dass man in der Südstadt Weltklasse produzieren kann“, sagt Högler. „Wir leben eigentlich dort in dieser Hütte. Wir sehen uns zehn Stunden am Tag, und es wird uns nie langweilig.“
Jeden einzelnen der 20.000 Würfe im vergangenen Jahr hat Högler notiert, Schlüsse gezogen. „Ich habe Wirtschaftsingenieurwesen studiert“, sagt er. „Im Maschinenbau ist ein Dreitausendstelmillimeter Ausschussware. Wir gehen das ähnlich an.“ So wird etwa genau analysiert, zu welchen Zeiten an welchen Körperteilen die Gefahr einer Verletzung besteht. „Im Maschinenbau wäre das die Sollbruchstelle.“ Dann wird präventiv gearbeitet. Es sei nämlich kein Glück gewesen, dass Weißhaidinger ein Jahr lang gesund gewesen sei. Es war einfach Arbeit und Analyse.
Neue Strukturen
Zudem hat Högler den Verband umgestaltet, an den wichtigsten Stellen sitzen ehemalige Athleten, die wissen, wie der Sport funktioniert. Und es wurde ein entscheidender Schritt gesetzt: Der ÖLV hat sich getraut, auf einzelne Sportler zu setzen und das Gießkannen-Prinzip abgedreht. Nicht nur Weißhaidingers Bronzemedaille ist eine Folge dieser Umstellung. Heute starten Ivona Dadic und Veronika Preiner mit Medaillenchancen in den Siebenkampf (unten).
Nach dem Erfolg sei jetzt aber einmal die Politik am Zug, sagt Weißhaidinger. „Wir brauchen eine Pension für Sportler. Wir sind an einem Punkt, der entscheidend ist für die Zukunft der Sommersportler. Die Anreize für Sportler sind ganz gering. Wir müssen Leistung honorieren.“
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