Leben für die Leichtathletik: "Man ist ständig kaputt und müde"
Mit seiner 29. Staatsmeisterschaftsmedaille hat Dominik Distelberger vor einer Woche seine Karriere beendet. Der Zehnkämpfer war einer der vielseitigsten Sportler des Landes und vertrat Österreich bei Olympia 2016 in Rio. Vor der Hallen-EM spricht der 32-Jährige über die Probleme der heimischen Leichtathletik, und er blickt auf sein entbehrungsreiches Leben als Hochleistungssportler zurück.
KURIER: Warum hatten Sie mit 32 Jahren genug vom Spitzensport?
Dominik Distelberger: Meine Leidenschaft war der Mehrkampf. Aber ich habe dann zu arbeiten begonnen und mir ist das Training immer schwerer gefallen. Wenn man nicht mehr mit Freude hingeht, dann ist es an der Zeit ...
Der Körper ist das Kapital jedes Athleten und bei kaum einem Sportler ist er es mehr als bei einem Zehnkämpfer. Wie körperbewusst werden Sie bleiben?
Es ist schön, nicht in Form sein zu müssen. Aber ich bin schon ein Mensch, der gerne Ziele hat und braucht. Ich muss mich bewegen, sonst geht es mir schlecht. Jetzt kann ich aber das machen, was mir Spaß macht, ich habe keinen Druck mehr. Im Zehnkampf fühlt man sich immer unvorbereitet. In vielen technischen Disziplinen dauert es ewig, bis man gute Routinen verinnerlicht hat.
Was werden Sie sich jetzt endlich gönnen?
Ich bin noch auf der Suche. Es ist schön, dass ich nicht mehr nach Plan trainieren muss. Ich habe mir überlegt, ich könnte nächstes Jahr beim Hyrox-Event mitmachen, das ist ein Wettkampf mit acht Workouts, dazwischen muss man laufen oder einen Schlitten schieben oder mit einem Sandsack Ausfallschritte machen. Das wäre vielleicht lustig. Sonst gehe ich gerne Radfahren oder Beachvolleyball spielen.
Das klingt alles nach Bewegung.
Natürlich ist es auch drinnen, einmal einen Sonntag vor dem Fernseher zu verbringen.
Welche der zehn Disziplinen war Ihre liebste?
Für mich ist es der Zehnkampf an sich. Das Gefühl vor dem abschließenden 1.500-Meter-Lauf ist schrecklich, aber das Gefühl danach ist toll. Zu dieser Disziplin hatte ich eine Hassliebe.
Welche Trainingsübungen werden Ihnen sicher nicht abgehen?
Das Aufbautraining mit den großen Umfängen. Da kommt man wochen- wenn nicht monatelang nicht aus dem Muskelkater raus, man ist ständig kaputt und müde. Auch die richtig harten Laufeinheiten brauch’ ich nicht mehr. Aber wenn man es geschafft hat, war es schon ein schönes Erlebnis.
Wie viele Stunden haben Sie pro Woche trainiert?
In einer Belastungswoche waren es von Montag bis Samstag knapp 20 Stunden. Nach einem Zehnkampf hat man dann für eine Woche die Schnauze voll, aber danach habe ich mich wieder bewegen müssen.
Was sind die Momente, die Sie als Athleten glücklich gemacht haben?
Es sind schon die Erfolge. Das Schöne war auch, dass ich die Leute immer wieder getroffen habe, mit denen ich schon Jugendwettkämpfe gemacht habe. Ein schöner Moment war die Quali für die Olympischen Spiele 2016. Götzis war immer ein Ort, wo ich meine Bestleistungen gebracht habe.
Was waren die größten Enttäuschungen?
2012 habe ich gute Chancen auf Olympia gehabt. Ich war noch jung, aber gut drauf. Dann habe ich mir beim Speerwerfen zwei Bänder gerissen und mir ist die Zeit davongelaufen. Das war richtig hart und ich wollte eine Zeitlang nichts mehr vom Sport wissen. 2021 ist sich Tokio auch nicht ausgegangen. Da habe ich Probleme mit der Achillessehne gehabt. Für mich war klar, dass das meine letzte Chance war.
Sie haben für Olympia in Rio 20 Paar Nike-Schuhe bekommen. Wie viele Paar Sportschuhe haben Sie zu Hause?
Ich habe jetzt erst 20 Paare verschenkt, die jetzt junge Sportler bekommen haben. Ich habe beim Kugelstoßen und Diskus dieselben Schuhe angehabt. Auch bei 100 Meter und 400 Meter. Zirka 20 Paar mit Spikes und viele normale Laufschuhe habe ich noch.
Die rot-weiß-roten Sieger bei Hallen-Europameisterschaften
2000/Gent: Stephanie Graf, 800 Meter (1:59,70)
1998/Valencia: Theresia Kiesl, 1.500 Meter (4:13,62)
1990/Glasgow: Klaus Bodenmüller, Kugelstoßen (21,03 m)
1989/Den Haag: Andreas Berger, 60 Meter (6,56)
1986/Madrid: Dietmar Millonig, 3.000 Meter (7:59,08)
1970/Wien: Maria Sykora, 800 Meter (2:07,00)
1970/Wien: Ilona Gusenbauer, Hochsprung (1,88 m)
Wie hat sich die österreichische Leichtathletik in den vergangenen 20 Jahren verändert?
Es ist schwierig. Ein paar Leute ragen heraus, aber ich würde mir wünschen, dass die Basis noch breiter wird. Beim Nachwuchs stagnieren wir, es bewegt sich relativ wenig. Die mediale Präsenz ist für uns enorm wichtig, etwa in ORF Sport+. Wenn sie diesen Sender abschalten, wäre das nicht nur traurig, sondern für uns auch sehr übel.
Athleten wie Diskuswerfer Lukas Weißhaidinger und die Siebenkämpferinnen Ivona Dadic und Verena Mayr ragen heraus? Wo ist die Masse?
Es fängt schon bei den Schulen an und bei den Lehrern, die Bewegung vermitteln. Jedem Kind taugt Sprinten, Springen und Werfen. Aber auch bei mir war es ein Zufall, dass ich zur Leichtathletik und dann zum Zehnkampf gekommen bin. Ich habe gar nicht gewusst, welche Optionen man als Leichtathlet hat, ich habe nicht gewusst, dass man davon leben kann. Und von der täglichen Turnstunde träumen wir noch immer. Länder wie die Schweiz oder die Niederlande sind uns da weit voraus.
Am Donnerstag beginnt die Hallen-EM in Istanbul. Warum soll sich das der unbedarfte TV-Konsument anschauen? Übrigens noch auf ORF Sport+.
Es sind tolle Leute dort. Armand Duplantis hat erst vor ein paar Tagen den Stabhoch-Weltrekord gebrochen. Man wird dort Leistungen sehen, die man lange nicht mehr sehen wird.
Das ist alles?
Nein. Es ist die Dynamik der Leichtathletik, die in dieser Form keine andere Sportart hat. Nirgendwo laufen Leute so schnell oder springen so weit und so hoch. Wenn einer eine Latte in 6,20 Metern Höhe überquert, oder wenn einer über acht Meter weit springt ... Das kann man sich kaum vorstellen. Wenn ich mir allein meine eigene Bestleistung im Weitsprung von 7,74 Metern auf dem Boden ausmesse, schaut das unmenschlich weit aus. Der Weltrekord von 8,95 Metern geht sich in kaum einem Wohnzimmer aus. Da denkt man sich: Es ist unmöglich, dass ein Mensch so weit springen kann
Sie betreuen nun mit Ihrer neuen Firma True Spirit als Athletik-Coach nicht nur Profis, sondern auch völlig unfitte Amateure. Ist das nicht frustrierend?
Am Anfang hätte ich das geglaubt, aber das ist überhaupt nicht so. Ich habe eine Kundin, die ist über 60 Jahre. Sie konnte sich nicht mehr hinsetzen, weil sie Knieprobleme hatte und keine ordentliche Muskulatur. Die ist jetzt richtig glücklich und kann viel mehr Sachen machen. Das ist doch schön. Aber mindestens 50 Prozent müssen sich für mich schon noch im Leistungssport abspielen.
Kommentare