Nach einem Jahr Pause: Kletter-Star Schubert zeigt seinem Zeigefinger den Mittelfinger

Jakob Schubert ist grundsätzlich kein ängstlicher Mensch. Wie denn auch. Der Mann hängt am liebsten kopfüber in der Steilwand und klettert die wildesten Routen. Bis heute ist der Innsbrucker der einzige Kletterer der Welt, der am Fels sowohl einen Boulder als auch eine Route im derzeit schwierigsten Grad gemeistert hat.
Es muss also schon etwas Extremes eintreten, dass jemand wie Jakob Schubert offen sagt: „Ich habe Schiss. Ich habe Schiss, dass ich es nicht mehr loswerde.“
Kleine Kapsel, großer Schmerz
Es ist eine läppische, aber umso lästigere Kapsel, die dem zweifachen Olympiamedaillengewinner so zusetzt.
Die meisten Sportler würden so eine Verletzung als Lappalie oder Wehwehchen abtun, aber für einen Kletterer bricht die Welt zusammen, wenn die Kapsel am rechten Zeigefinger beleidigt ist. Denn die Finger sind das wichtigste Werkzeug eines Kletterers, und ohne seinen Zeigefinger sind Jakob Schubert die Hände gebunden.

Seit Jänner schlägt sich der 34-Jährige damit herum. Jakob Schubert stand zwar immer im Training und kletterte so gut es ging mit neun Fingern, aber an Wettkämpfe war in dieser Zeit nicht zu denken. Bis heute sind die Olympischen Spiele der letzte internationale Auftritt des sechsfachen Weltmeisters. Das war im August 2024.
Mehr als ein Jahr später wagt sich Schubert am Wochenende wieder in die Steilwand. Der Weltcup in Koper (Slowenien) ist für den Routinier der erste und zugleich auch einzige Härtetest vor der WM Ende des Monats in Seoul, bei der er Titelverteidiger ist.

Hinter dem Tiroler liegen Monate voller Aufs und Abs, mit Schmerzen und Zweifeln und der langwierigen Suche nach der richtigen Behandlungsmethode für seine sensible Kapsel im rechten Zeigefinger.
Schmerzen als Begleiter
„Wenn man immer mit Schmerzen an der Wand ist, dann macht das Klettern lange nicht mehr so viel Spaß“, erzählt der Innsbrucker.
In den letzten Wochen ging es aber rapide bergauf mit Schubert, und die Sorgen wichen mehr und mehr der Zuversicht. Als er erstmals wieder ohne gröbere Beschwerden durch die Wand kletterte, geriet der 34-Jährige regelrecht in Ekstase.
„Ich hatte fast schon vergessen, wie geil Klettern sein kann. Ich muss mich dann einbremsen, dass ich nicht zu übermotiviert bin und zu viel mache.“

Mehr Rücksicht
Das ist auch eine kleine Lehre, die Jakob Schubert aus seiner ersten großen Verletzung zieht. Er will öfter auf seinen Körper hören. „Auch ohne Verletzung wäre es für mich manchmal ein bisschen schlauer, weniger zu trainieren. Ich bin halt so veranlagt, eher zu viel als zu wenig zu tun, und der Typ, der immer voll reinbuggelt.“
Dieser Eifer und Ehrgeiz haben Jakob Schubert zu dem gemacht, der er heute ist: der beste Kletterer der Geschichte mit sechs WM-Goldmedaillen.
Dass der Österreicher mit seinen bald 35 Jahren die aufstrebende junge Konkurrenz noch immer im Griff hat, verdankt er neben der Erfahrung sicher auch seiner Fitness. Jakob Schubert gilt als einer der härtesten Trainierer im Feld.
„Ich bin jetzt vorsichtiger. Die Verletzung erinnert mich daran, dass ich piano tun muss“, sagt Schubert im KURIER-Gespräch. „Ich kann vielleicht nicht so viel trainieren, wie ich will. Aber keine Angst: Ich mache immer noch genug.“
Das Wichtigste ist ohnehin, dass Jakob Schubert wieder Vertrauen in seinen rechten Zeigefinger gefunden hat. Den Rest macht er zwar nicht mit links, aber sein Erfahrungsschatz ist so groß, dass mit ihm im Weltcup und bei der WM zu rechnen sein wird. „Ich habe das Gefühl, dass ich schon wieder sehr gut drauf und konkurrenzfähig bin.“
Wie meinte er doch gleich? „Es sieht gut aus, dass ich bei der WM etwas reißen kann.“
Und das klingt jetzt nicht mehr ängstlich, sondern: selbstbewusst.
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