Jamaika: Heimat bist du schneller Beine
Jamaika feierte am Montag den 50. Unabhängigkeitstag und die ganze Welt feierte Jamaikas zweiten großen Sohn neben Reggae-Legende Bob Marley. Auch am Tag nach dem 100-Meter-Finale war Usain Bolt das Gesprächsthema. Der 25-Jährige verteidigte am Sonntagabend seinen Olympiatitel über die 100 Meter in eindrucksvollen 9,63 Sekunden, es war die zweitschnellste je gelaufene Zeit. Landsmann Yohan Blake hatte als Zweiter in 9,75 bereits 12 Hundertstel Rückstand.
Bolts Überlegenheit überraschte Experten und viele der 80.000 Zuschauer im Stadion. Denn vor dem Lauf war diesmal nicht spekuliert worden, in welcher Zeit Bolt gewinnen würde. Es wurde spekuliert, ob er überhaupt gewinnen würde. "Die Leute haben viel geredet", sagte Bolt nach seinem Triumph. "Es tut gut, der Welt gezeigt zu haben, dass ich die Nummer 1 bin. Ich bin noch immer der Beste."
Gold, Silber, Bronze
Bolt ist der Beste aus dem Land der sehr guten. Jamaika produziert Weltmeister und Olympiasieger wie am Fließband. Bolt vor Blake am Sonntag. Gold für Shelly-Ann Fraser-Pryce am Samstag, Bronze für Veronica Campbell-Brown. Auch Ben Johnson (Kan), Donovan Bailey (Kan) und Linford Christie (Gb) sind auf Jamaika geboren. Wie 90 Prozent aller Jamaikaner sind auch sie Nachkommen ehemaliger Sklaven aus Westafrika – ausgestattet mit den besten Genen für Sprinter.
Sportwissenschaftler Norbert Bachl schreibt in seinem Buch "Der Mensch von morgen": "Forscher untersuchten 200 jamaikanische Athleten und entdeckten bei 70 Prozent das Protein Actinen A, das bei der Muskelkontraktion eine wesentliche Rolle spielt." Im Vergleich dazu verfügten lediglich 30 Prozent der australischen Sportler über dieses spezielle Protein. Zudem erinnern Sportmediziner auf den traurigen sozialen Hintergrund der Sklaverei: Die aus Afrika verschleppten Menschen wurden wegen ihrer Kondition und Widerstandsfähigkeit ausgesucht. Herzspezialist Ernst Wolner kann dieser Theorie etwas abgewinnen: "Die Jamaikaner haben offenbar eine Art Sklaven-Gen, wenn man das so sagen will. Ähnliche Gene haben Stämme im afrikanischen Hochland, allerdings im Ausdauerbereich."
Ausdauersport interessiert in Jamaika aber niemand. Sprinten ist cool. Sprinter sind Helden; bei Meetings ist Party auf den Tribünen. "Wir haben die besten Trainingsmöglichkeiten, die besten Trainer und auch den größten Willen", sagte Fraser-Pryce. Bolt sagte im Mai in Ostrau: "Unsere Stärken beginnen im Kindersport. Wir haben die Champions noch in Kingston Town." Die talentiertesten Kinder werden von Scouts entdeckt und unter professionellen Bedingungen in Klubs ausgebildet.
Dope und Doping
Doch die Reaktionen auf die herausragenden Leistungen sind skeptisch. Rastafari Bob Marley glaubte an Gott und an die bewusstseinsverändernde Wirkung von Marihuana. Und auch den Sprintern von der Insel wird vorgeworfen, sich nicht nur mit Kamillentee und der jamaikanischen Süßkartoffel zu stärken, die ein Turbo für die Schnellkraft sein soll.
Niemand traut sich, dem Showman Usain Bolt eine Frage zum Thema Doping zu stellen, doch das Fragezeichen hinter den Leistungen der Jamaikaner steht. So wurde etwa Yohan Blake bei den jamaikanischen Meisterschaften 2009 positiv auf ein Stimulanzmittel getestet und drei Monate gesperrt, Shelly-Ann Fraser-Pryce wurde 2010 erwischt.
"Ich habe einen Vertrauensmann in der Karibik, von dem ich früher EPO bezogen habe", sagte Victor Conte im Oktober 2011. Conte ist der Gründer des US-Unternehmens BALCO, das Sportler jahrelang mit Dopingmitteln versorgte, vor allem mit Steroiden. Ein Informant aus der Karibik habe ihm gesagt, "dass sie in Jamaika vor Peking 2008 die Methode Balco, also meine Methode, benutzt hätten." In der Gazzetta dello Sport sagte er: "Die Mehrzahl der Athleten dopt. Ich gehe von 65 Prozent aus." An den Leistungen der Jamaikaner hat Conte "starke Zweifel."
Sofern Bolt es vermeidet, Zeitungen zu lesen, gehen diese Vorwürfe an ihm vorbei. Der Superstar denkt bereits an kommenden Donnerstag: "Die 100 Meter waren erst der erste Schritt. Um eine Legende zu werden, muss ich auch noch die 200 Meter gewinnen."
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