Oliver Glasner: "Hoffentlich schaff' ich früher den Absprung"
Am Sonntag hat Trainer Oliver Glasner mit dem VfL Wolfsburg mit einem 0:0 gegen Mönchengladbach in der deutschen Bundesliga Kurs gehalten Richtung Champions League. Der 46-Jährige über die Mischung aus Konsequenz und Pragmatismus im Trainerjob, ständige Sprints und Entschleunigung auf dem Golfplatz.
KURIER: Sie haben Ihre Trainer-Karriere 2012 als Assistent von Roger Schmidt in Salzburg begonnen. Hatten Sie je im Kopf, irgendwann als Cheftrainer an die Tür zur Champions League zu klopfen?
Oliver Glasner: Ich habe nie weit geplant, und bisher ist es gefühlt jedes Jahr anders gekommen als gedacht. Deutschland war ein Traum im Hinterkopf, aber damit gerechnet oder geplant hab’ ich in keiner Weise.
Oliver Glasner über seine Trainerkarriere
Auch Adi Hütter befindet sich mit Frankfurt auf Kurs Richtung Champions League. Er geht sehr offen damit um, betreibt kein Understatement und will die Euphorie nicht bremsen. Wie gehen Sie in Wolfsburg damit um?
Ähnlich, wir thematisieren das nicht groß, wollen aber natürlich diesen Flow mitnehmen. Unsere Aufgabe im Trainerteam ist es, genau zu beobachten: Wie viel ist Selbstvertrauen und dass es nicht in Richtung Überheblichkeit kippt.
Oliver Glasner wurde am 28. August 1974 in Salzburg geboren, groß geworden ist er in Riedau in Oberösterreich. Er ist verheiratet mit Bettina, das Paar hat drei Kinder.
Als Fußballer spielte er von 1992 bis 2011 er in Ried, allerdings mit einer einjährigen Unterbrechung beim LASK 2003/’04. Trainer wurde er 2012, den LASK führte er 2017 in die Bundesliga, seit 2019 coacht er den VfL Wolfsburg.
5.040 Sprints (ab 25 km/h) und 15.387 intensive Läufe (20 bis 25 km/h) hat Wolfsburg diese Saison zurückgelegt – das ist jeweils Rekord in der deutschen Bundesliga. Glasners Punkteschnitt liegt bei 1,69 in bisher 72 Spielen.
Ihr Stil, Fußball zu spielen, erfordert viel Laufbereitschaft. Ihre Mannschaft verzeichnet die meisten Sprints und hochintensiven Läufe der Liga. Wo war es am schwierigsten, die Spieler von Ihrem Weg zu überzeugen?
Glasner über seine Spielweise
Mussten Sie pragmatisch sein?
Musst du immer. Ich habe eine feste Überzeugung, wie wir erfolgreich sein können. Es hilft mir aber nicht, wenn nur ich es im Kopf habe. Ein Beispiel: Ein Englischlehrer weiß, wie die Sprache geht. Er muss aber die Schüler überzeugen, dass es sich lohnt, Vokabeln zu lernen.
Wo endet Ihre Bereitschaft zum Pragmatismus?
Inwiefern?
Ein Beispiel: Sie kommen zu einer Mannschaft, wollen Ihre Spielweise implementieren, haben aber einen Stürmer, der diese intensiven Läufe ohne Ball verweigert. Er ist aber der beste Spieler, macht die meisten Tore und ist die Lebensversicherung. Wie gehen Sie damit um?
Es ist mein Job, ihn davon zu überzeugen, dass auch er davon profitiert. Wout Weghorst, mein Stürmer in Wolfsburg, schießt viele Tore und war schon immer mannschaftsdienlich. Mittlerweile macht er aber noch mehr Meter für die Mannschaft – und wer ist der Profiteur? Er! Weil er noch mehr Tore schießt. Wir zeigen den Spielern mittels Video nicht nur, wie sie dabei mithelfen sollen, den Ball zu gewinnen, sondern auch, wo sie sich positionieren sollen, damit sie im Fall des Ballgewinnes anspielbar sind und profitieren können.
Wie wichtig ist es, die eigene Spielweise immer wieder zu adaptieren, um für Gegner nicht berechenbar zu sein?
Man darf dabei nicht einen Systemwechsel mit dem Wechsel der Spielweise vertauschen. Es ist ein lebendes Gebilde. Wenn wir so spielen würden, wie vor eineinhalb Jahren oder ich genauso trainieren würde, wie vor acht Jahren, dann hätten wir den Zug der Zeit verpasst. Natürlich adaptieren wir da. Was wir aber den Spielern immer wieder predigen, sind Verhaltensweisen. Wie und wo wir den Gegner unter Druck setzen wollen, wie wir in der Offensive agieren, wie wir uns positionieren. Das bleibt gleich, egal, welches System wir spielen. Gute Mannschaften zeichnet es auch aus, dass sie ihre Spielweise nicht permanent ändern, obwohl sie manchmal ein anderes System wählen.
Glasner über taktische Anpassungen
Sie sind seit neun Jahren Trainer. In welchen Bereichen haben Sie sich selbst am meisten entwickelt?
Es ist ein ständiges Lernen, eine stetige Weiterentwicklung, die ich nicht nur von mir, sondern auch von meinem Betreuerteam und den Spielern erwarte. Und das ist auch, was mir am meisten Spaß macht. Es kommt wöchentlich etwas Neues. Acht Jahre lang dasselbe zu machen von Montag bis Sonntag, das wäre langweilig. Erfahrung ist das Um und Auf. Am Anfang denkst du dir: Ich war 19 Jahre Profi und hab’ viel gesehen. Wenn du aber am anderen Sessel sitzt, ist vieles neu.
Sie haben also den Trainerjob unterschätzt?
Absolut. Obwohl ich ein Spieler war, der sich ständig mit seinen Trainern ausgetauscht hat. Sei es mit Klaus Roitinger, Heinz Hochhauser oder am Ende Paul Gludovatz. Selbst Entscheidungen zu treffen, ist aber ganz anders. Da fällt mir sofort ein Beispiel aus meinem ersten Spiel als Cheftrainer mit Ried im ÖFB-Cup in Parndorf ein.
Bitte darum!
Als Spieler war ich der Ansicht, die Trainer halten die Aufstellung zu lange zurück und die Spieler spekulieren, ob sie dabei sind oder nicht. Diese Spekulationen wollte ich beseitigen, weshalb ich die Aufstellung schon vor dem Abschlusstraining verraten habe. Und was ist passiert?
Erzählen Sie es uns!
Toni Vastic, der hätte beginnen sollen, hat sich im Abschlussspiel verletzt. Dann musste ich einem anderen sagen, dass er spielen darf, obwohl ich ihn zuerst auf die Bank gesetzt hätte. Nicht optimal. Damit habe ich aufgehört, obwohl ich aus meiner Spielerkarriere geglaubt habe, es wäre die beste Lösung.
Ihr Vertrag in Wolfsburg läuft bis Sommer 2022. Wann wird über eine Verlängerung gesprochen?
Das weiß ich nicht. Die durchschnittliche Amtszeit eines Trainers liegt bei 1,2 Jahren. Da bin ich drüber, das ist gut. Zunächst wollen wir diese Saison erfolgreich beenden. Der Klub wird sich schon melden, sollte es in seinem Interesse sein.
Wie geht es Ihnen damit, privat alleine in Wolfsburg zu sein?
Für keine intakte Familie ist es das Wunschszenario, sich nicht täglich zu sehen. Aber wir haben uns für diesen Weg entschieden. Wir haben drei schulpflichtige Kinder, der Älteste macht heuer Matura. Wir reißen sie nicht aus ihrem Umfeld. Es gab schwierigere Phasen, auch wegen Corona, wo ich die Familie sechs Wochen nicht gesehen habe.
Der Trainerjob gilt als aufreibend, im Klubfußball gibt es keine Wochenenden und Sie müssen täglich 100 Prozent Einsatz vorleben. Wie lange geht das gut?
Einfacher ist es, wenn du erfolgreich bist. Es ist kein 8-bis-17-Uhr-Job, wo du Freitagmittag ausstempelst, der Urlaub ist sehr kurz bemessen, zu Weihnachten waren es vier Tage, an jedem Tag hast du aber mindestens zwei Telefonate mit dem Sportdirektor. Ich hab’ den allergrößten Respekt vor Ernst Happel, der seinerzeit Vorreiter war bei Dingen, die heute noch Gültigkeit haben. Ich habe dieses Bild vor Augen, wo er schwer gezeichnet von seinem Krebsleiden als Teamchef auf der Bank sitzt, neben ihm sein Assistent Didi Constantini. Da denk’ ich mir: Hoffentlich schaffe ich früher den Absprung. Deshalb glaube ich, dass ich das nicht bis 70 mache.
Glasner über die Strapazen des Trainerjobs
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Golf spielend auf Mallorca, Ihrer bevorzugten Urlaubsdestination?
Ich habe ein Bild im Kopf. Aber das, was ich heute für richtig halte, sehe ich vielleicht in fünf Jahren anders. Ich versuche, das zu machen, wo ich den größten Antrieb habe. Wenn ich dieses Feuer nicht mehr habe, suche ich mir etwas anderes.
Was könnte das Andere sein?
Möglich, dass ich mit Ende 50 genug habe, die Kinder außer Haus sind und ich zu meiner Frau sage: Lass’ uns eine Zeit lang Golf spielen auf Mallorca. Vielleicht wird mir das nach einem halben Jahr auch zu langweilig, wenn sich mein Handicap nicht verbessert.
Wo steht das Handicap aktuell?
Es ist nicht schlecht. Aber ich weiß gar nicht, wie ich mir das erspielen konnte. Es ist ein seltener Ausgleich. Im Sommer ist es hier lange hell, da gehe ich manchmal um acht Uhr abends noch auf neun Loch. Ganz allein, Handy abgedreht. Da ärgere ich mich dann über meine Fehlschläge.
Leute, die Sie kennen, beschreiben Sie als bescheiden. Als Trainer in Deutschland verdient man gut. Was bedeutet Luxus für Sie?
Mein größter Luxus ist Zeit. Zeit mit meiner Familie und Freunden. Das Einzige, wofür wir mehr Geld ausgeben, ist Urlaub. Ich hoffe, dass das im Sommer wieder möglich ist.
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