Vor der EM: Ein Poker und die Suche nach guten Karten
Es saßen österreichische Fans am Tag nach dem 0:1 gegen Lettland in Riga in ihrem Hotel beim Frühstück. Irgendwann fiel der Satz: "Der ÖFB sollte uns die Reisekosten ersetzen." Da ist es wieder, das typisch österreichische Switchen von einem Extrem ins andere.
Die geschaffte Qualifikation hat das Team von Franco Foda blamabel finalisiert. Daraus kann, soll und muss man Schlüsse ziehen für die EURO, die noch viele Monate entfernt ist. In dieser Zeit kann man viel richtig, aber auch einiges falsch machen, wie die Vorbereitung auf die EURO 2016 zeigte:
- Qualität
Dem Foda’schen Kader wird allgemein große Qualität attestiert, mit viel mehr Breite und Tiefe als noch zu Kollers Zeiten. Es stimmt, dass die meisten Spieler in guten Ligen bei guten Vereinen tätig sind, großteils auch als Stammkräfte. Dennoch hat Riga die Unterschiede zwischen Fixgrößen und Alternativkandidaten offenbart. Aufgrund der Größe des Kaders kann Foda im Frühjahr auch zunehmend den Faktor Formkurve bei der Selektion anwenden.
- Sturmflaute
An vorderster Front ist Marko Arnautovic nicht nur gesetzt, sondern regelrecht einzementiert. Denn die dahinter lauernden Michael Gregoritsch und Lukas Hinterseer sind beim aktuellen Stand keine ernsthafte Konkurrenz um den Platz als Solospitze. Umso größere Wichtigkeit erlangt für Foda die Fitness von Arnautovic. Der China-Legionär wird in guter körperlicher Verfassung benötigt wie der berühmte Bissen Brot. Daher sollte der ÖFB ein Auge darauf haben und eventuell im Frühjahr einen Coach nach Schanghai schicken, um mit Arnautovic neben der laufenden Meisterschaft einen EURO-Feinschliff vorzunehmen.
- Spielstil
Oft ist – nicht zu Unrecht – zu hören und zu lesen, das Nationalteam möge doch bitte Salzburg, den LASK oder gar den WAC kopieren und mit Angriffspressing agieren. Zumal sich viele Spieler im Kader befinden, die genau diese Ausbildung genossen haben. Foda, noch nie ein Freund des Hurra-Fußballs, lässt nicht kompromisslos angreifen, vielleicht auch mit gutem Grund. Denn ist dieser "Salzburg-Stil" mit einer Solospitze Arnautovic möglich, wenn dieser nicht mehr die Dynamik für diese extrem intensiven Laufwege mitbringt? Umgekehrt, siehe oben, steht ein Verzicht auf Arnautovic aufgrund seiner Torgefährlichkeit nicht zur Diskussion.
- Wortschatz
Foda fand nach der Blamage von Riga deutliche Worte. "Wir haben gesehen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen." Oder: "Das war von einigen viel zu wenig, ich habe kaum wen gesehen, der sich aufgedrängt hatte." Nur Posch, Onisiwo, Dragovic und Ranftl nannte er persönlich als positive Beispiele. In Foda brodelte es nach Schlusspfiff gewaltig, er wäre auch gut beraten, rechtzeitig den Spielern die Leviten zu lesen, um Versäumnisse aus dem Jahr 2015 und 2016 zu vermeiden. Damals tat sein Vorgänger Marcel Koller schlechte Testspiele mit der Bemerkung ab: "Bei der EURO werden wir den Schalter umlegen." Ein Vorhaben, das im Spitzensport jedoch nur in Ausnahmefällen gelingt.
- Vorbereitung
Aus den Fehlern der Vergangenheit sollte der ÖFB gelernt haben, ein Trainingslager wie jenes 2016 in Laax sollte nicht mehr ermöglicht werden. Auch die Abschottung von der Außenwelt tat dem Mannschaftsgefüge damals nicht gut, verärgerte gar einige Spieler, die in Frankreich nicht einmal außerhalb des Quartiers einen Kaffee trinken durften.
- Teamchef-Vertrag
Der Kontrakt von Franco Foda mit dem ÖFB endet nach der EURO. Der Verband zögert noch, den Vertrag vor der Endrunde zu verlängern – aus gutem Grund. Denn 2016 wurde man von Kollers Manager letztlich über den Tisch gezogen, der Schweizer erhielt einen hoch dotierten Vertrag in einer Phase vor der EURO, wo schon einige Dinge unrund liefen. Weil man die Alarmglocken überhört hatte, nahm der Abwärtstrend auch in der darauf folgenden WM-Quali seinen Lauf.
Der Vertragspoker hat jedenfalls schon begonnen. Foda ließ kürzlich durchblicken, auch gerne mal wieder einen Verein trainieren zu wollen. Die ÖFB-Spitze ziert sich noch mit einem klaren Bekenntnis zu Foda über die EURO hinaus. Kapitän Baumgartlinger wünscht sich, quasi als Fürsprecher, Kontinuität in dieser Personalie. Ähnlich argumentiert auch Sportdirektor Peter Schöttel, wenngleich die Entscheidung im ÖFB-Präsidium fällt. Das Thema bleibt im Frühjahr garantiert auf dem Tisch.
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