Vor 20 Jahren: Das Luftschloss Mattersburg und der Bundesliga-Aufstieg

Stronach bei der Meisterfeier mit Kühbauer.
"Klubchef Martin Pucher hat damals Liga-Boss Frank Stronach eingeladen, der im Spiel bei uns auf der Trainerbank gesessen ist. Ich habe Stronach beim 2:1 von Zatek abgebusselt und ihm gesagt, dass er immer, wann er will, wiederkommen darf." Werner Gregoritsch ist ein emotionaler Mensch.
Aber am 16. Mai 2003 war der Trainer des SV Mattersburg gar nicht mehr zu halten. Der heute 65-jährige Steirer hatte Anfang 2002 den Job übernommen und im Sommer 2004 nach einem Jahr im Oberhaus wieder verlassen – weil er sich vom Klubchef nichts dreinreden lassen wollte.
Martin Pucher hatte den Klub seiner Heimatstadt Mitte der 80er-Jahre übernommen – in der 2. Liga Mitte, der fünften Leistungsstufe. Der später gefallene Banker führte den Klub in nicht einmal 20 Jahren in die erste Leistungsstufe. Am 16. Mai 2003 stand ganz Mattersburg Kopf – nach einem 2:2 daheim gegen den Wiener Sportklub war der Aufstieg in die Bundesliga fix.

Rund um den Aufstieg war die Mattersburger Tribüne oft voll besetzt.
Verschworene Truppe
2003 schien die Fußballwelt in Mattersburg noch in Ordnung. Erstmals seit dem Abstieg von Eisenstadt im Jahr 1987 gab es eine Bundesligamannschaft im kleinsten Bundesland. Der SVM war erst der dritte burgenländische Klub nach Eisenstadt und Neusiedl in der höchsten Spielklasse. Das ganze Land stand hinter dem Verein, es waren Fußballfeste in Mattersburg, die Pendler machten auf dem Heimweg von Wien am Pappelstadion halt, die Fans feierten noch bis nach Mitternacht im SVM-Cafe unter der Tribüne mit den Spielern. Diese waren eine verschworene Truppe.
"Das war eine Gemeinschaft, so wie es jetzt in Freiburg ist", sagt Gregoritsch, der den Freiburger Teamgeist von seinem Sohn Michael kennt. "Es war so ein Zusammenhalt, dass ich 20 Jahre später komplett fertig war, als ich vom Tod von Schutti Wagner erfahren habe."

Der Fan-Magnet
Wichtigster Puzzleteil für den Aufstieg war Didi Kühbauer, der aus Wolfsburg heimkehrte und in der fünften Runde mit 31 Jahren erstmals das Leiberl seiner Heimatstadt überstreifte. Er war der Leitwolf einer Partie mit vielen Spielern aus dem Burgenland wie Schmidt, Köszegi, Mörz, Pauschenwein, Wagner, Kaintz oder Kantauer.
Stürmer Anton "Toni" Köszegi begleitete seit 1994 den Aufstieg von der Landesliga in die Bundesliga. Der heute 52-Jährige hat während der Kicker-Karriere ein Wirtschaftsstudium absolviert und arbeitet beim "Austria Wirtschaftsservice", der Förderbank des Bundes. Beim Aufstieg 2003 stand der SV Mattersburg noch auf gesunden Beinen, lieferte ein emotionales Fundament für das Luftschloss, das 2020 eingestürzt ist. Der Wirtschafter Köszegi rechnet vor: "Wir hatten in der 2. Liga damals einen Schnitt von mehr als 10.000 Zuschauern, wir hatten keine extrem teure Mannschaft, weil viele aus der Gegend gekommen sind und den Weg aus dem Amateurfußball mitgemacht hat."

Kühbauer und Pucher.
Dass Pucher schon damals mit den Bilanzen seiner Bank getrickst hatte, kam 2020 ans Tageslicht. Beim Fußball wurde ab 2013 sichtbar, dass der Kader zu teuer ist für das schwindende Zuschauerinteresse. Im Zuge des Commerzialbank-Skandals zeigte sich, dass in den letzten Jahren Millionen an Euro von der Bank in den Klub geflossen sind. Dieser stellte 2020 den Spielbetrieb ein und einen Insolvenzantrag.
9. April 2003: Mattersburg schlägt vor 17.557 Zuschauern im Cup-Viertelfinale den GAK 1:0.
16. Mai 2003: Mattersburg spielt daheim gegen den Wr. Sportklub 2:2 und fixiert damit vor 10.800 Zuschauern drei Runden vor Schluss den Aufstieg in die Bundesliga.
24. August 2003: Erstes Bundesligaspiel gegen Rapid, das 1:4 sehen 17.104 Zuschauer.
9. Jänner 2005: 4:3-Sieg im Finale des Stadthallenturniers gegen Rapid.
9. Mai 2006: Mattersburg steht erstmals im Cupfinale, verliert gegen die Austria 0:3.
10. August 2006: Erstes Antreten im Europacup, dem 1:1 von Wien folgt gegen Wisla Krakau ein 0:1 in Polen.
1. Mai 2007: Mattersburg steht wieder im Cupfinale, verliert wieder gegen die Austria (1:2).
2. August 2007: Das 4:2 daheim gegen Aktobe ist der erste Aufstieg im Europacup (0:1 in Kasachstan). Es folgt das Aus gegen Basel.
26. Mai 2013: Mattersburg war bis zur letzten Runde noch nie Letzter. Wr. Neustadt siegt bei Sturm, Innsbruck beim WAC, der SVM verliert daheim gegen die von Kühbauer betreute Admira 0:1 und steigt ab.
12. Mai 2015: Mit einem 1:1 gegen Austria Lustenau gelingt vor 4.300 Fans drei Runden vor Schluss der Wiederaufstieg.
6. August 2020: Der SV Mattersburg stellt nach 98 Jahren den Spielbetrieb ein und löst sich auf.
Sucht man heute auf der Homepage des burgenländischen Fußballverbandes nach Mattersburg, wird man in der 1. Klasse fündig. In der vorletzten Leistungsstufe führt im Landesteil "Mitte" der "Mattersburger Sportverein 2020" die Tabelle an. Der 2020 gegründete Nachfolgeverein wird aufsteigen in jene Liga, in der sein Vorgänger vor nicht ganz 40 Jahren seinen steilen Aufstieg startete, – in die 2. Liga Mitte.

Seit drei Jahren findet kein Spiel mehr im Pappelstadion statt.
Sehnsucht Pappelstadion
Der Nachfolgeklub spielt und trainiert auf dem Gelände der Fußball-Akademie Burgenland, deren Betrieb zu 80 Prozent vom Land Burgenland finanziert wird. "Ziel ist es, dass wir wieder im Pappelstadion spielen können", sagte der Vorstandsvorsitzende Manfred Strodl. Dort allerdings wurde im Zuge des Konkursverfahrens alles verkauft – Sitze, Kantinengeräte, Kabinengegenstände. Wann es zum Umzug kommen wird, ist noch offen.
Es wird mit der Stadtgemeinde Mattersburg verhandelt. Der Diplomingenieur freut sich, "dass wir 140 Kinder haben. Und dass wir in fünf bis zehn Jahren wieder dort sind, wo Mattersburg im Fußball hingehört." Das ist wohl die Ostliga, wenn nicht gar die 2. Bundesliga.
Martin Pucher wurde im Februar 67 Jahre alt. Der Sohn eines Frisörs mit sechs Geschwistern wuchs in Mattersburg auf und arbeitete bei der Raiffeisenbank. Unter seiner Führung schlossen sich in den 90er-Jahren einige Filialen im Raum Mattersburg zur Commerzialbank zusammen. Diese brach am 14. Juli 2020 zusammen, rund 820 Millionen Euro soll der Schaden betragen. Pucher hat schon 1992 mit Bilanzfälschungen begonnen und soll bereits im Jahr 2000 konkursreif gewesen sein.
Die WKStA ermittelt noch immer gegen 57 Beschuldigte wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs, Untreue, betrügerischer Krida und Geldwäscherei. Pucher beantragte aufgrund der an ihn gerichteten Schadenersatzforderungen Privatkonkurs. Er lebt noch immer in der zwischen Eisenstadt und Mattersburg gelegenen Ortschaft Hirm, ist in Folge mehrerer Schlaganfälle aber gesundheitlich schwer angeschlagen.
Pucher wurde in den 80er-Jahren Obmann des SV Mattersburg, den er aus der 2. Liga Mitte (5. Leistungsklasse) in die Bundesliga führte. Von 2005 bis 2009 war Pucher Bundesliga-Präsident. Wie sich im Zuge des Bankenskandals herausstellte, dürfte ein Großteil des Sponsorings mittels fiktiver Konten und durch Manipulation realer Verträge in der Bank „erfunden“ worden sein. Nachdem die Suche nach einem neuen Hauptsponsor gescheitert war, beschloss der Verein, seine Bundesligalizenz zurückzulegen und den Spielbetrieb einzustellen. Das Konkursverfahren gegen den Verein ist noch nicht abgeschlossen, weil in diesem Zusammenhang noch Zivilverfahren laufen.
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