Timoschenko-Tochter: "Nicht um Boykott gebeten“

Timoschenko-Tochter: "Nicht um Boykott gebeten“
Die Tochter der in der Ukraine inhaftierten Ex-Regierungschefin freut sich über die wachsende Unterstützung Europas.

Wegen der schlechten Behandlung der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko sagen immer mehr europäische Spitzenpolitiker ihre Teilnahme an den EM-Spielen in der Ukraine ab. Die Führung in Kiew, die auf einen Image-Gewinn durch das sportliche Großereignis gehofft hatte, steht unter großem Druck.

Es kommt jetzt jedenfalls Bewegung in den Fall Timoschenko. Ab Dienstag will sich die 51-Jährige, die anscheinend unter einem schmerzhaften Bandscheibenvorfall leidet und sich seit zwei Wochen im Hungerstreik befindet, von deutschen Ärzten in der Zentralen Eisenbahnerklinik von Charkow behandeln lassen.

Jewgenija Timoschenko, die Tochter der ehemaligen Regierungschefin, versucht seit Monaten auf die verzweifelte Lage ihrer Mutter aufmerksam zu machen. Die 32-jährige Politikwissenschaftlerin tourt durch Europa, lobbyiert bei Politikern. Eine Tätigkeit, die jetzt plötzlich zu fruchten scheint. Diese Woche durfte Jewgenia Timoschenko ihre zu sieben Jahren Haft verurteilte Mutter im Gefängnis besuchen. Im Telefonat mit dem K­URIER zeigte sie sich danach sehr besorgt.

KURIER: Wie geht es Ihrer Mutter? Und wie stehen Sie zu den immer zahlreicheren Boykottaufrufen?
Jewgenija Timoschenko: Ich habe meine Mutter jetzt wieder gesehen, und es geht ihr nicht gut. Ich bin in Sorge um sie. Sie ist seit zwei Wochen im Hungerstreik. Die ganze Situation verändert sich unglaublich schnell. Die Proteste, die jetzt laut werden, sind natürlich eine Unterstützung für meine Mutter. Es ist ein Aufschrei, dass das aufhören muss. Es gibt in der Ukraine Gewalt gegen politische Gefangene, es herrschen Zustände wie in Sowjetzeiten. Die Lage ist inakzeptabel. Wir erfahren derzeit riesige Unterstützung durch europäische Spitzenpolitiker und sind dafür sehr dankbar.

Viele Ukrainer – auch durchaus regierungskritische – sind verärgert über den Boykott. Sie fühlen sich von der EU vor den Kopf gestoßen und machen auch Sie und I­hre Mutter für die Lage mitverantwortlich.
Wir machen nichts anderes, als um Hilfe zu schreien. Meine Mutter hat nie um irgendwelche Aktionen wie diesen Boykott gebeten. Wir rufen nur zur Fortsetzung der Proteste auf und hoffen, dass die Ukraine damit wieder zu demokratischen Spielregeln zurückfindet. Wir haben nicht gewollt, das so etwas passiert. Aber wir erfahren politische Gewalt. Die Fußball-Europameisterschaft war eine große Chance für die Ukraine – und jetzt ist sie wieder isoliert.

Und die kritischen Stimmen über Ihre Mutter?
Meine Mutter ist im Gefängnis – illegal, aus politischen Gründen. Sie kann nicht einmal ihre Familie anrufen. Wie sollte sie in ihrer Lage die Lage der ganzen Ukraine manipulieren? Wenn die Menschen meine Mutter für die Situation verantwortlich machen, ist das einfach falsch. Verantwortlich dafür ist ausschließlich die derzeitige Regierung. Wir als Opposition versuchen lediglich, Aufmerksamkeit zu erregen –und jetzt haben wir wieder Hoffnung.

Schließen Sie aus, dass Ihre Mutter tatsächliche oder politische Fehler begangen hat?
Jeder Politiker trifft Entscheidungen. Und die Frage ist nicht, ob diese Entscheidungen falsch oder ob sie richtig waren – Fakt ist, dass politische Entscheidungen nicht kriminalisiert werden dürfen. Das kann nicht sein.

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