Sedlacek: "Wir waren in einem tiefen Tal"

Die Schiedsrichter-Bosse Fritz Stuchlik und Robert Sedlacek über Krisen und Chancen ihrer Zunft.

Die Schiedsrichter und ihre Fehler – ein ewiges Thema im Fußball. Im vergangenen Bundesliga-Herbst war die Kritik an den Unparteiischen jedoch besonders heftig. Zeit, um die obersten Vertreter der umstrittenen Zunft zu befragen. Schiedsrichter-Boss Robert Sedlacek und Referee-Manager Fritz Stuchlik im KURIER-Doppelinterview.

KURIER: Der Fußball wird immer schneller. Durch die vielen Kameras werden alle Fehler aufgedeckt. Wie können Sie den Schiedsrichtern helfen?

Robert Sedlacek: Es ist wichtig, dass es immer mehr Schulungen und Seminare gibt. Wir haben auch für alle großen Talente ein Mentoring-Programm mit Ex-Top-Schiedsrichtern wie Konrad Plautz.

Fritz Stuchlik: Wir haben auch schon Mentaltraining angeboten. Das nehmen nicht alle gleich gut an. Das muss privat genutzt werden, wenn es gewollt wird.

Sedlacek: Womit sie auch in Zukunft leben müssen, sind die ganz schwierigen Entscheidungen. Die muss man eher spüren als sehen.

Stuchlik: Es ist auch so schwer, weil der Verkauf nach außen im TV-Zeitalter noch wichtiger geworden ist. Zum Vergleich: Es gibt Radio-Journalisten mit einer sehr guten Stimme, die aber nicht ins Bild kommen sollten. Bei einem Schiedsrichter muss heutzutage auch das Aussehen und Auftreten passen.

Viele junge Schiedsrichter sind fehleranfällig. Warum werden nicht wie in England auch Routiniers über 45 Jahren eingesetzt?

Sedlacek: "Wir waren in einem tiefen Tal"
26.05.2005 Fussball Bundesliga Happelstadion Rapid-Austria 0:1 Schiedsrichter Stuchlik zeigt Joey Didulica (nicht im Bild) die rote Karte Agentur Diener/Georg Diener Marktgasse 3-7/4/5/21 A-1090 Wien Mobil +43 676 629 98 51 BA-CA Bank Nr. 12000 Account Nr. 00712 223 783 e-mail: agentur@diener.at Datenbank: www.diener.at
Stuchlik:Wenn wir zu den Routiniers sagen ‚Pfeift, solang ihr gehen könnt‘, würden die Jungen bei einer Zehnerliga mit nur fünf Spielen kaum die nötigen Einsätze zur Entwicklung bekommen.

Sedlacek: Wir waren in einem sehr tiefen Tal. Deshalb haben wir zuletzt die Jungen mit dem größten Potenzial forciert, damit wir bis 2020 wieder so gut aufgestellt sind, um Schiedsrichter bei einem Top-Turnier stellen zu können. Seit 2013 haben wir auch schon wieder Schritte vorwärts gemacht.

Endrunden-Besetzungen sind auch politische Angelegenheiten. Gab es zu wenig Lobbying?

Sedlacek: Wir haben das Netzwerken vor zweieinhalb Jahren begonnen und jetzt stärkeren Kontakt zu den Entscheidungsträgern.

Stuchlik: Durch die Umwälzungen im ehemaligen Ostblock hat die UEFA mittlerweile 54 Mitgliedsstaaten. Früher war es für Österreich also schon rein rechnerisch leichter, bei einer Endrunde dabei zu sein.

Die Schiedsrichter müssen immer jünger anfangen, um noch etwas erreichen zu können. Geht dadurch nicht das Gefühl für den Fußball aus den eigenen Erfahrungen verloren?

Sedlacek: Wir hatten in Wien ein Experiment, um Ex-Fußballer extrem schnell aufsteigen lassen zu können. Es ist trotzdem gescheitert, weil die Kandidaten gemeint haben: ‚So viel Aufwand für so wenig Geld – das zahlt sich nicht aus, weil bis zur WM schaff ich es eh nicht mehr, wenn ich erst mit 30 anfange.‘

Stuchlik: Niemand kommt als reiner Theoretiker zu uns. Es gibt ja auch sehr gute Trainer, die nicht überragende Fußballer waren. So ist es auch bei den Schiedsrichtern: Jeder hat Fußball-Erfahrungen und mischt die mit dem Wissen des Regelwerks.

Durch die sozialen Medien gäbe es viel mehr Möglichkeiten zu kommunizieren. Warum suchen die Schiedsrichter nicht selbst die Öffentlichkeit, wenn sie in der Kritik stehen?

Sedlacek: Es gab tatsächlich am Ende der Herbstsaison in Salzburg zwei sehr fehlerhafte Leistungen. Dann hat das Thema eine Eigendynamik bekommen. Bis dahin waren wir mit den Leistungen in dieser Saison zufrieden.

Stuchlik: Negative Geschichten ziehen eben viel mehr. Dass Oliver Drachta in die UEFA-Kategorie eins aufgestiegen ist, war in den Medien bestenfalls einen Halbsatz wert. Wenn wir also jede Runde eine Schiedsrichter-Bewertung veröffentlichen, würde das genauso verpuffen.

Altach-Trainer Canadi sagte: ‚Früher hatten wir einen Stuchlik, wo man gewusst hat, dass man aufpassen muss. Jetzt rennen zehn Stuchliks herum.‘

Stuchlik: Ich freue mich über das Kompliment von Canadi. Offenbar genießt er es, dass nur noch berechenbare Schiedsrichter herumlaufen. Das ist doch eine Auszeichnung.

Wie gehen Sie generell mit Kritik um?

Stuchlik: Ich als hauptamtlich Beschäftigter kriege die Kritik lieber ab, als es trifft ehrenamtliche Funktionäre oder junge Schiedsrichter.

Tatsächlich gibt es unter den Trainern den Vorwurf, dass viele Schiedsrichter arrogant auftreten würden.

Stuchlik: Einige könnten ja die Söhne von Trainern sein – da prallen auch Generationen aufeinander. Wenn ein Jüngerer selbstbewusst auftreten will, kann das auf den Älteren überheblich wirken.

Sedlacek: Sie sollen als Sportler, nicht als Oberlehrer wahrgenommen werden. Das gelingt nicht immer, aber wir sind darauf sehr bedacht.

Stuchlik: Man könnte die Kritik von der Bank auch andersherum sehen: Wie würde das von den Trainern aufgenommen werden, wenn wir hinlaufen und sagen: ‚Die heutige Taktik geht gar nicht‘? Da wären sie auch verstört.

Dauernd wird diskutiert, ob ein strafbares Handspiel im Strafraum dabei war. Sind Sie mit der aktuellen Regelung glücklich?

Stuchlik: Das Handspiel im Strafraum ist der einzige Tatbestand, bei dem im Regelwerk die Absicht herausgehoben wird. Der Schiedsrichter muss also überfordert sein, weil er ja oft gar nicht wissen kann, ob es Absicht war. Es gäbe nur zwei Möglichkeiten zur Verbesserung: Entweder, es wird irgendwann jeder Kontakt des Balles mit der Hand bestraft. Oder, es fällt uns noch ein besseres Wort als "absichtlich" ein.

Wird der Videobeweis in fünf Jahren eine große Rolle spielen?

Sedlacek: Da gibt es zwei Fragen: Wie sieht die Spielleitung aus, wer entscheidet? Und: Wie wäre das finanziell zu stemmen? Das ist schwer.

Stuchlik: Die Torlinientechnik hatte bei der WM einen guten Einstand. Für den Videobeweis wären aber Regeländerungen nötig. In fünf Jahren glaub ich deshalb nicht daran. Stellen Sie sich vor, dass dann einer im TV-Kammerl entscheiden muss, obwohl es selbst in der Wiederholung nicht ganz eindeutig zu sehen ist. Wir Schiedsrichter machen Fehler – und aus. Aber der Mann im Kammerl wäre ein wirklich armes Schwein.

Fritz Stuchlik

geboren 1966 in Wien, leitete 267 Liga- und 89 internationale Spiele. Er ist als Referee-Manager hauptberuflich beim ÖFB.

Robert Sedlacek

geboren 1955 in Wien, war Bundesliga- und FIFA-Referee. Er ist beruflich selbstständig, seit 2010 Präsident des Wiener Fußball-Verbandes und Vizepräsident des ÖFB. Seit 2013 ist er Vorsitzender der ÖFB-Schiedsrichter-Kommission.

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