Scharner: „Ich bin gescheiter geworden“

Paul Scharner vor dem FA-Cup-Finale mit Wigan über Träume, Fehler und Erkenntnisse.

Das Spiel seines Lebens wollte Paul Scharner bei der WM 2014 in Brasilien bestreiten. Daraus wird nach dem Crash mit Teamchef Koller nichts. Der 33-jährige Ex-Teamspieler suchte sich ein neues Ziel und dachte schon bei der Unterschrift für Wigan im Jänner an die Chance auf das FA-Cup-Finale im Wembley Stadium. Am Samstag läuft der Verteidiger aus Purgstall als erster Österreicher im Endspiel des ältesten Fußball-Bewerbes der Welt ein und will ab 18.15 Uhr (ORF Sport+ live) in London gegen Manchester City die Sensation schaffen.

KURIER: Sie hatten im Cup-Halbfinale gegen Millwall Tränen in den Augen. Gibt es dazu noch eine Steigerung?
Paul Scharner:
Ja. Dass die Tränen ausbrechen und mir übers Gesicht laufen, weil das Ganze diesmal noch ärger wird. Das Stadion und diese Atmosphäre mit knapp 90.000 Fans sind einzigartig. Ich werde jede einzelne Sekunde genießen.

Erleben Sie zwischen Abstiegskampf und Cup-Finale die aufregendste Phase Ihrer Karriere?
Ja, fünf Spiele in 15 Tagen. In England nennt man das ,exciting‘. Davor hab’ ich noch 87 Final-Tickets für Freunde aus Österreich, England und Norwegen besorgt. Ich sehe das Finale als Insel, von der ich aus dem Alltag abtauchen kann. Weg vom Kampf gegen den Abstieg, hin zur Chance auf einen Pokal.

Welche Chancen rechnen Sie sich gegen die Stars von Manchester City aus?
Das ist eine zusammengekaufte Truppe, gegen die ich mit Wigan sogar eine positive Bilanz habe. Und in einem Spiel, wo nur einer übrig bleiben kann, gibt es ohnehin eigene Gesetze.

Wigan-Trainer Martinez meint, dass Ihre besten Jahre noch kommen werden ...
Das ist Musik in meinen Ohren. Ich habe immer auf meinen Körper geschaut, bin gereift und sehe auch kein Ende meiner Karriere. Nur bei Wigan ist im Juni mit dem Ende des Leihvertrages Schluss, das ist mit dem HSV auch klar kommuniziert.

Martinez setzt mit Ihnen auf eine Dreierkette. Welche Erfahrungen machen Sie damit?
Wir sind sehr flexibel. Ich glaube, dass die Dreierkette die Zukunft im modernen Fußball sein wird. Wir setzen die Viererkette nur noch situativ ein.

Im Champions-League-Finale kommt es in zwei Wochen im Wembley-Stadion zu einem deutschen Duell. Hat die Bundesliga die Premier League überflügelt?
Nein. Bayern ist 20 Punkte vorne, Dortmund noch einmal sechs vor dem Dritten – das ist also eine eigene Liga in der Liga. Es stimmt, dass die deutsche Spitze besser ist: Manchester United ist momentan klar hinter den Bayern. Aber in der Durchschnittsstärke der Liga ist England sicher noch vor der Bundesliga.

In England und Norwegen sind Sie als Fußballer voll anerkannt. Fühlen Sie sich dort besser verstanden, wo nicht Deutsch gesprochen wird?
In England zählt nur, dass du deine Leistung bringst und bei jedem Match voll da bist. Ob ich einen Mentaltrainer habe oder einen Personal Coach oder sonst etwas, ist in England allen egal. Deutschland würde ich nach den sechs Monaten beim HSV noch nicht endgültig bewerten.

Aber als Mensch fühlen Sie sich in England doch am besten verstanden?
Natürlich. SkySports hat nach meiner Rückkehr zu Wigan einen Beitrag gemacht, und da haben mir alle gesagt, wie sehr sie sich freuen, weil ich als einer der großen Charaktere in der Liga gelte. Natürlich liefere ich auch mal was Schräges, aber ich bin voll akzeptiert.

Erlauben Sie, dass wir vor Ihrem größten Spiel auf Aufreger der Vergangenheit blicken. Wie sehen Sie sich heute ... als „Maverick“ (Außenseiter, Einzelgänger, Anm.)?
Mein erster Wigan-Trainer Paul Jewell musste damit scheinbar ausdrücken, wie er selbst war. Und das hat er auf mich gelegt. (lacht)

... auf der rechten Außenbahn, wo Sie Ihren Eintausch verweigert haben?
Das hat sich damals zwischen Jogi Löw und mir so zugespitzt, weil ich bei der Austria schon sieben Positionen gespielt habe. Ich wollte als 23-Jähriger endlich eine echte Position haben.

... als Einzelsportler?
Ich wurde daraufhin von Löw suspendiert. Dann war eine Karriere als Einzelsportler ein echtes Thema, das ich ernsthaft diskutiert habe. Nur die Sportart möchte ich nicht verraten.

... als Mittelfeldspieler?
Da hat mir mein Charakter einen Strich durch die Rechnung gemacht: Ich kann nicht damit umgehen, wenn nix los ist. Und als Innenverteidiger war mir früher zu wenig los. Ich wollte immer in jeder einzelnen Situation mittendrin sein. Ich bin gescheiter geworden mit dem Alter und habe erkannt, dass ich als Innenverteidiger am besten bin. Ich sehe ein: Ich im Mittelfeld – das war eine Fehl-Selbsteinschätzung.

... als Barcelona-Spieler?
Träumen darf man ja, oder? Und ich träume gerne. Aber es sollte nicht jeder Traum von früher öffentlich werden.

... mit gefärbten Haaren?
Das war eine Phase. Die Wigan-Fans haben das fürs Finale wieder gefordert. Aber das bin ich nicht mehr. Unter 30 war ich auch mal für einen Skandal zu haben. Bei allem Sinn fürs Entertainment – das ist vorbei.

wurde am 11. März 1980 geboren, wuchs in Purgstall (NÖ) auf. Von dort ging er ins BNZ St. Pölten und 1996 zur Austria, wo er von 1998 bis 2003 Profi war. 2004 kickte er kurz bei Austria Salzburg. Nach einem Jahr bei Brann Bergen (Norwegen) schaffte er den Sprung nach England.

2005 bis 2010 spielte er in Wigan, 2010 bei 2012 bei West Bromwich. 2012 ging er zum Hamburger SV, Anfang 2013 wurde er an Wigan verliehen. Er spielte 40-mal im Team. Bei seinem Debüt am 17. April 2002 meinte Kameruns Stürmer Samuel Eto’o: „Der stärkste Mann, gegen den ich je gespielt habe.“

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