Pickerljagd bei der WM: Wie der Sticker-Kult von Panini entstand

Von Nicolas Lendl
An sein erstes Panini-Album erinnert sich ein jeder Fußballfan. Wem es gelingt, als Erster das ganze Heft vollzukleben, der wird zum Helden des Schulhofs – früher wie heute. Doch wie viel kostet es, ein Album vollzubekommen? Wer war auf dem ersten Sticker zu sehen? Und welche Rolle spielt ein Butterfass in der Geschichte Paninis? Ein Überblick.

Ein halbes Jahrhundert
Die WM 1970 machte den Anstoß zur großen Sammeljagd im Zuge einer Fußball-WM, 13 weitere Hefte sollten bis heute folgen. Doch die Geschichte der kleinen Kult-Pickerl aus dem Hause Panini begann bereits einige Jahre vor der Endrunde in Mexiko. 1961 gründete Giuseppe Panini mit seinem Bruder Benito das Unternehmen, die zwei weiteren Geschwister Umberto und Franco stießen zwei Jahre später hinzu.
- Der Erste
Bruno Bolchi, Mittelfeldspieler bei Inter Mailand, war 1961 der erste Fußballer, dessen Antlitz einen Panini-Sticker zierte. Das Traditionsunternehmen aus Modena brachte zeitgleich das erste Album auf den Markt. Die Bilder von Spielern der Serie A, darunter auch Giovanni Trapattoni, füllten das erste Heft.
- Butterfass
15 Umdrehungen vorwärts und 15 Umdrehungen rückwärts sorgten damals für die Lösung von Paninis größtem Problem: Wie verhindert man, dass niemals ein Bild doppelt in eine Tüte gelangt? Die Gebrüder Panini zweckentfremdeten ein Butterfass und erschufen daraus in Kombination mit einem Rad die erste Stickermischmaschine.

- Die Mischung
Ein Student sorgte zu Beginn dafür, dass die Maschine angetrieben wird. Die Paninis experimentierten in Folge mit weiteren Mischverfahren. Sie warfen etwa die Bilder in die Luft und mischten sie anschließend mit einer Schaufel durch. Doch für die Massenproduktion musste auf Dauer eine professionelle Lösung her.
- Die Maschine
Die Fifimatic wurde nicht nur das Herzstück der Firma, sondern zugleich auch die Lösung des Problems. Der Techniker Umberto Panini entwickelte 1964 die Misch- und Einpackmaschine, die dafür sorgte, dass nie zwei gleiche Sticker in einem Packerl landen. Noch heute stehen 25 dieser Maschinen im Panini-Werk.
1961 erblickte der erste Panini-Sticker das Licht der Welt.
Rund 25 Milliarden Packungen hat das Familienunternehmen seit seinen Anfängen in den 70er-Jahren produziert.
85%Trefferquote hat Panini bei der Auswahl der Turnierkader. Für das Heft zur WM 2022 mussten die Kader bereits am 15. Juni festgelegt werden.
Sieben bis acht Millionen Stickerpackungen produziert Panini in den Hochzeiten täglich.
12.038 Euro zahlte ein Italiener für ein volles Album der WM 1970. Er kaufte das vollständige Heft für seinen Sohn. Das Besondere an dem Heft ist die Unterschrift von Pelé.
Die Kosten Rund 1.000 Euro muss man ausgeben, um das aktuelle Heft zur WM 2022 in Katar vollzukriegen, das ergab eine Berechnung des Mathematikers Paul Harper. Rund 5.000 Sticker bräuchte man, um rein rechnerisch alle 670 Exemplare zu bekommen. Laut einer Recherche des Guardian müsste ein Arbeiter, der beim Bau der Stadien in Katar mitgeholfen hat, dafür durchschnittlich fast 2.000 Stunden arbeiten.
"Astronomische" Preise
Auch Panini-Geschäftsführer Hermann Paul, der den Markt in Deutschland und Österreich verantwortet, weiß darüber Bescheid. "Diese Zahlen gehen ins Astronomische, aber das ist absolut nicht der Fall. Es gibt da gewisse Tipps: Wenn man eine Box mit 100 Packerln kauft, hat man mit einer hohen Wahrscheinlichkeit schon 80 Prozent des Heftes gefüllt. Und dann muss man tauschen oder Sticker nachbestellen. Und dann zahle ich maximal 130 bis 150 Euro. Das ist definitiv ein realistischer Preis." Die Zeiten, zu denen man wenige Schilling oder Cent auf den Tisch legen musste, gehören trotzdem der Vergangenheit an. Für die bevorstehende WM 2022 zahlt man einen Euro pro Packerl, also 20 Cent pro Sticker.
Obwohl Panini die offiziellen Vermarktungsrechte für die EM 2024 verloren hat, ist das nicht das Ende von Panini. "Bis zur EM sind noch zwei Jahre Zeit, und wir werden sicher Lösungen finden, um ein schönes Album zu erstellen. Es wird mit Sicherheit ein Panini-Album zur EM 2024 geben", versichert Geschäftsführer Paul. Der Kult um die kleinen Fußball-Sticker ist also nicht zu bremsen.
Hermann Paul ist seit 2013 Geschäftsführer von Panini. Im Gespräch mit dem KURIER sprach er über ...
... das Erfolgsgeheimnis von Panini
"Mit den Stickern hat man eine Wundertüte. Und wenn man die dann aufreißt, hat man gleichermaßen die Freude über neue als auch die Enttäuschung über doppelte Sticker. Und in Verbindung mit einem Album entsteht der Drang nach Vollendung. All das macht die Faszination Panini aus."
... eine Altersbegrenzung
"Es gibt keine Altersgrenzen, wenn es um Panini geht. Jung und Alt sammeln sie, Männlich und Weiblich. Über alle Gesellschaftsschichten hinweg. Da sammelt der Uni-Professor genauso wie die Schulkinder."
... die Produktion eines Heftes
"Nach der WM ist bei uns vor der WM. Wir müssen überlegen, wer könnte dabei sein. Man braucht Lizenzverträge. Ein Jahr vorher beginnen die Überlegungen, wie der Kader aussieht. Ein Team in Modena versucht, sich da in die Köpfe von 32 Nationaltrainern zu versetzen."
... seltene Spieler
"Dass manche Sticker seltener als andere sind, ist tatsächlich nur ein Mythos. Wir können zu 100 Prozent sicher sagen, dass alle Sticker gleich oft produziert werden. "
... den österreichischen Sammlermarkt
"Die Österreicher sind sehr intensive Sammler. Wenn man das auf den Pro-Kopf-Konsum umrechnet, dann ist der Sammlertrieb noch stärker als in Deutschland."
... den Sticker-Weltmeister
"Der Stickerweltmeister sind die Brasilianer. Im Vergleich zu den Österreichern liegen da noch einmal Welten dazwischen."
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