Warum die Deutschen mit der "EM-Angst" im Gepäck nach Wien kommen

Warum die Deutschen mit der "EM-Angst" im Gepäck nach Wien kommen
Nach dem 2:3 gegen die Türkei wird beim Nachbarn wieder vieles infrage gestellt. Das Duell mit Österreich am Dienstag kann die Stimmung endgültig zum Kochen bringen.

Es war der 1. März 2006: Deutschland verlor ein Testspiel gegen Italien 1:4 – und plötzlich wurde alles infrage gestellt. Das Land war in Aufruhr, schließlich stand die Heim-WM vor der Tür. Es folgte das Sommermärchen inklusive Platz drei. Innerhalb kürzester Zeit aus dem Tal der Tränen zu einem euphorischen Fußball-Fest.

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Knapp 18 Jahre später ist die Situation ähnlich. Deutschland steuert auf die Heim-EM zu, nach der 2:3-Niederlage in Berlin gegen die Türkei wird die Kritik aber wieder laut. „Beängstigend“, beschreibt die Bild die Lage. „Ernüchternd“, analysierte Experte Lothar Matthäus, „weil die Türkei das Spiel nicht mit Glück gewonnen hat, sondern verdient“. In Fußball-Deutschland geht die „EM-Angst“ (Bild) um. Denn im Gegensatz zu früheren Jahren kann sich der vierfache Welt- und dreifache Europameister nicht mehr darauf verlassen, dass es bei Großereignissen dann schon wie gewohnt klappt.

Bei Weltmeisterschaften kam nach dem Titel 2014 zwei Mal in der Vorrunde das Aus, bei der letzten EM war im Achtelfinale Endstation. Um diesem Trend entgegenzuwirken, hat der DFB erst vor zwei Monaten die Reißleine gezogen und sich von Hansi Flick getrennt.

Julian Nagelsmann sollte die Kastanien aus dem Feuer holen. Wie niedrig die Trauben damals hingen, bewies eine Aussage des TV-Experten Steffen Freund, der den USA im ersten Länderspiel von Nagelsmann die Favoritenrolle zuschob.

Nagelsmann schien die Kehrtwende geschafft zu haben, wurde nach der US-Reise (3:1 gegen die USA, 2:2 gegen Mexiko) bereits als Retter gefeiert. Deutschland blickte plötzlich wieder voller Vorfreude Richtung Heim-EM. Doch nach der Niederlage gegen die Türkei steht auch der 36-Jährige wieder im Zentrum der Kritik. Mit dem Experiment, Offensivmann Kai Havertz links hinten spielen zu lassen, machte sich der Trainer keine Freunde, auch wenn er dem Arsenal-Legionär eine „Weltklasse-Leistung“ attestierte. Zudem sorgt die Doppel-Sechs mit Ilkay Gündogan und Joshua Kimmich für Aufregung. Die beiden seien zu ähnlich, harmonieren deswegen nicht miteinander. Doch von all dem wollte Nagelsmann nichts wissen.

Er ortete die Gründe für die Niederlage in der fehlenden Emotion: „Die Taktik ist zweitrangig, es ist immer erst die Emotion. Wenn du da auf 100 Prozent bist, kannst du taktisch auch deutlich schlechter sein. Wenn die Emotionen nicht so sind, musst du taktisch brillant sein, um das Spiel trotzdem positiv zu gestalten.“

Richtungsweisend

Während die Emotionen auf dem Platz fehlten, kochen jene im Land hoch. Gerade noch „himmelhoch jauchzend“ ist man schon wieder auf dem Weg zu „zu Tode betrübt“. „Wir können anfangen, alles schwarzzumalen, alles schlecht zu sehen. Da werden wir aber nicht weiterkommen“, sagt Nagelsmann.

Wohl wissend, dass das letzte Spiel des Jahres am Dienstag gegen Österreich ein für die Stimmung im Land Entscheidendes sein wird. Dementsprechend warnte er: „Österreich ist besser als die Türkei. Sie haben Spieler mit mehr Erfahrung. Und sie bringen diese extreme Emotion rein. Die wird natürlich vom Fußball, den Ralf Rangnick sehen will, gefördert.“

Die Lage der Deutschen ist vor der Reise nach Wien angespannt, doch Österreich ist gewarnt. Wie die Vergangenheit gelehrt hat, kann es auch ganz schnell wieder in die andere Richtung gehen. Fakt ist: Gewinnt Nagelsmann, ist er schnell wieder der Held. Verliert er in Wien, wird der Weg zur Heim-EM ein steiniger. Zumal die Ansprüche schon wieder groß sind. Das Erreichen des Endspiels müsse „der Anspruch“ sein, nannte DFB-Präsident Bernd Neuendorf das Ziel.

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