Nailsworth, 7.700 Einwohner, irgendwo im Nirgendwo im Westen Englands. London ist 170 Kilometer entfernt. Der Nabel Großbritanniens ist die Ortschaft in der Grafschaft Gloucestershire bestimmt nicht, aber für die altehrwürdige Sunday Times immerhin einer der 101 besten Orte, um in Großbritannien zu leben. Damit Nailsworth so lebenswert bleibt, dafür sorgt auch der lokale Fußballklub. Die Forest Green Rovers tragen Grün nicht nur in ihrem Namen und in den Klubfarben, sondern das Durch-und-durch-Grünsein wird gelebt – in jedem möglichen Bereich.
Dass das mit Erfolg getan wird, haben die Verantwortlichen des Viertligisten mittlerweile Schwarz auf Weiß. 2018 wurden die Forest Green Rovers von der UNO als erster Fußballverein der Welt mit dem Prädikat „Co2-neutral“ ausgezeichnet. Fast 120 Jahre war Forest Green (gegründet 1889) ein ganz normaler Verein, wie es Hunderte andere im Mutterland des Fußballs gibt. 2010 wurde aber viele anders. Da übernahm der Geschäftsmann Dale Vince den finanziell angeschlagenen Klub.
Was als monetäre Rettungsaktion begann, wurde schnell zu einem einzigartigen Projekt. „Ich sah es als Möglichkeit, eine neue Zielgruppe auf die Gefahr des Klimawandels aufmerksam zu machen, unsere Anliegen zum Thema Nachhaltigkeit in den Klub zu integrieren und damit nicht nur unsere Fans zu erreichen, sondern alle Fußballfans“, erklärte der heute 59-Jährige in einem Interview mit dem Spiegel.
Öko-Freak
Vince ist ein Öko-Industrieller. Seine Firma Ecotricity verkauft Strom aus Windkraftwerken und Sonnenkollektoren. „Da ich mein Geld mit grünem Strom gemacht habe, war meine Bedingung, dass ich den Verein nur nach meinen Prinzipien leiten würde“, erzählte der Engländer. Und sein Vorhaben setzte er um, auch wenn es natürlich Widerstände von den Fans gab. Besonders als Fleisch von der Speisekarte im Stadion verbannt wurde, gab es nicht nur Zustimmung. In englischen Stadien gehören Rindsuppe, Fleischpasteten, aber auch Burger und Würstel zum traditionellen Gaumenschmaus.
All das gibt es im Stadion The New Lawn nicht mehr. Schon seit 2014 wird nur veganes Essen verkauft. Laut Vince vervierfachte sich durch die Umstellung der Umsatz der Kantine. Mittlerweile wurde auch ein Catering-Unternehmen gegründet, das Klubs wie Chelsea oder Norwich beliefert. Als 2017 erstmals überhaupt der Aufstieg in das englische Profi-Ligen-System gelang, wurden T-Shirts mit der Aufschrift „Cheltenham, Swindon, Newport, lasst euch sagen, ihre werdet nächste Saison Hummus essen, denn die Forest Green Rovers sind in der Football League“ gedruckt. Es wurde zu einem Verkaufsschlager im Fanshop.
Die Spieler wie auch alle anderen Mitarbeiter müssen sich vegan ernähren, wenn sie im Job sind. In der Freizeit klappt das nicht immer. Fotos mit Burger essenden Rovers-Spielern sind ein Fressen für den englischen Boulevard. „Die vegane Vorschrift gilt nur im Verein. Privat können sie tun, was sie wollen“, sagt Vince dazu. Aber nur beim veganen Essen blieb es natürlich nicht. Auch andere Bereiche wurden ökologisiert – etwa die Rasenpflege. Auf Pestizide und künstliche Dünger wird verzichtet, der Bio-Rasen von einem solarbetriebenen Roboter gemäht und mit Regenwasser bewässert.
The New Lawn wird zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt – dafür sorgen unter anderem die Solarpaneele auf dem Stadiondach. Die E-Tankstelle auf dem Parkplatz wird auch vom Klubboss genutzt, der ein E-Auto fährt. Die Spieler wurden ebenfalls mit elektrisch betriebenen Firmenautos ausgerüstet. Ein auf diese Art und Weise betriebener Mannschaftsbus soll zeitnah gekauft werden.
E-Mobilität
Die Fans werden auch ermutigt, wenn sie schon nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad zum Stadion kommen, zumindest ein E-Auto zu nutzen. Reist man trotzdem mit einem Benziner an, dann kann man sich Bio-Treibstoff holen – recycelt aus dem Speiseöl, das in der Kantine angefallen ist. Die Umwelt soll so wenig wie möglich belastet werden. – auch bei Renovierungsarbeiten. So wurde beim Ausmalen der Klubräumlichkeiten nur ökologische Wandfarbe verwendet, die Spielerdressen werden mit phosphatfreiem Waschmittel gewaschen – bei umweltschonenden Temperaturen.
Und auch mit dem Stoff, aus dem die Trikots geschneidert werden, wurde experimentiert. Normalerweise bestehen diese ja aus Polyester. Die Rovers stellten zunächst um auf Dressen aus Bambus-Fasern. Mittlerweile wird aber ein neues Material im Ernstfall getestet: Es besteht aus Kaffeesud und recyceltem Plastik. Diese Trikots sollen leichter, atmungsaktiver und beständiger als die alten sein. Sportlich ist man in den Öko-Dressen jedenfalls erfolgreich. In dieser Saison könnte wieder ein Aufstieg gelingen. In der League 2, der vierten englischen Leistungsstufe, liegt man aktuell auf Platz 3.
Das wichtigste Projekt in der Klubgeschichte der Forest Green Rovers wurde erst im Februar von der englischen Fußball-Liga endgültig genehmigt: der Bau eines neuen Stadions, mit dem der ökologische Fußabdruck noch viel kleiner werden soll. Das „Eco Park Stadium“ wird ein Unikat werden. Geplant ist eine Arena mit 5.000 Sitzplätzen, die nur aus Holz errichtet wird. „Wir werden den geringsten Co2-Abdruck aller Stadien auf der Welt haben, seit die Römer den Beton erfunden haben“, kündigte Klubboss Dale Vince euphorisch an. Der Entwurf stammt aus dem Büro der 2016 verstorbenen Star-Architektin Zaha Hadid.
Der Eco Park, der von 5.000 Bäumen sowie einer 1,8 Kilometer langen Hecke umgeben sein wird und auf ein Fassungsvermögen von 10.000 Zuschauern ausgebaut werden kann, soll inklusive der kompletten Infrastruktur rund 110 Millionen Euro kosten. Das Stadion, das 2024 bezugsfertig sein soll, ist für den Viertligisten auch die Voraussetzung, um das sportliche Ziel zu erreichen. Dieses lautet Championship, also zweithöchste Liga. Vince geht es aber um viel mehr. „Fußball tritt bereits gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie ein – warum nicht auch endlich gegen die Klimakrise?“ Eine berechtigte Frage ...
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