Sie sind bekannt dafür, groß zu denken. Woher rührt das?
Um große Ziele zu erreichen, musst du sie dir zuerst vorstellen. Wenn ich mir nicht vorstellen könnte, dass wir zur EM und WM fahren, hätte ich nicht kommen dürfen. Wenn ich sehe, was bei der WM mit Marokko passiert ist (Halbfinale, Anm.), frage ich: Warum soll das nicht in Österreich möglich sein?
Warum sind Sie Fußballtrainer geworden?
Ich habe als Sechsjähriger beim Kicken auf dem Bolzplatz Ältere in Gruppen eingeteilt. Als Zehnjähriger musste ich in der Schule einen Aufsatz darüber schreiben, was ich einmal werden möchte. Für gewöhnlich kommt da Astronaut oder Fußballprofi, aber ich habe geschrieben: Lehrer für Englisch und Sport. Das habe ich tatsächlich studiert und mit 19 Jahren die erste Trainerprüfung gemacht. Dann musste ich mich als Spieler von Ulm entscheiden, ob ich einen Profivertrag unterschreibe oder fertig studiere. Den Traum vom Profi in der 2. Liga sausen zu lassen war eine schwierige Entscheidung, aber es war die Richtige.
Welche Art von Fußballer waren Sie denn?
Ich war Sechser, meine Aufgabe war es, dem gegnerischen Spielmacher den Tag zu vermiesen. Das erschien mir nicht als Sinn des Spiels. Daher hatte ich schon als junger Trainer nichts dafür übrig, nur das Spiel des Gegners zu zerstören. Für mich ist Fußball Unterhaltung. Zuletzt wurde das bei AS Roma diskutiert. Mit dieser Art von Fußball kann ich mich nur schwer identifizieren, trotz der unbestrittenen Erfolge von José Mourinho.
Sie sind seit mehr als drei Jahrzehnten Trainer. Was waren die massivsten Änderungen im Profifußball?
Der Trainerjob ist ein anderer geworden. Du bist Chef von 25 Spezialisten im Betreuerstab. Ich kann mich an Trainer erinnern, die sind direkt vom Golfplatz zum Training gefahren und haben sich auf der Fahrt überlegt, was sie im Training machen.
Gibt es die jetzt nicht mehr?
Das ist nicht mehr möglich. Fußball ist heute Hochgeschwindigkeitssport. Trotzdem bin ich jemand, der es liebt, wenn es nach Bratwurst riecht und ich das Gefühl habe, die Leute kommen wegen des Fußballs.
Tun sie das etwa nicht?
Also wenn ich im Stadion sitze, dann kommen zehn Minuten nach Anpfiff Zuschauer auf ihre Plätze, weil sie noch im VIP-Klub essen und ihr Glas Wein trinken mussten. Die entschuldigen sich dann.
Zumindest tun sie das.
Aber ich sag’ dann: „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, kommen Sie beim nächsten Mal einfach früher, das Spiel läuft schon seit zehn Minuten.“ Da wünsche ich mir die Zeit zurück, als es keine VIP-Bereiche gab. An dieser Stelle könnte ich noch eine Geschichte erzählen.
Bitte darum.
Vor Beginn meiner Schulzeit hatte die Sorge, dass ich meine Freunde verliere, wenn ich als einziger von meinen Kumpels aufs Gymnasium gehe. Und dass die denken, ich sehe mich als was Besseres. Deshalb habe ich gesagt: „Ich geh’ nicht aufs Gymnasium.“ Meine Mutter musste mich mit einem Besuch bei der Eisdiele und einem neuen Paar Fußballschuhe bestechen.
Erfolgreich?
Ja, da habe ich dann zugestimmt. Der Fußball war ja damals der Sport der Arbeiterklasse. Im Gymnasium haben andere Tennis oder Golf gespielt. Elitäre Sportarten. Wenn du in den 1970er- oder 80er-Jahren ins Büro gekommen bist und über die Fußballspiele vom Wochenende geredet hast, wurdest du schief angeguckt. Heute ist es andersrum. Wenn du nicht weißt, wie Bayern, Dortmund oder Rapid gespielt haben, wirst du dafür schief angeschaut. Der Fußball wurde zu einer Sportart aller sozialen Schichten, das finde ich gut. Aber man muss aufpassen, dass die Schere nicht so weit auseinandergeht, dass sich der gemeine Fan die Tickets nicht mehr leisten kann.
Sie sprechen vom Fußball als Hochgeschwindigkeitsspiel. In welchen Bereichen wird sich das Spiel noch ändern?
Wenn man sich die Entwicklung des 100-Meter-Weltrekords ansieht, dann ging es in den ersten 30 Jahren um Zehntelsekunden, danach um Hundertstelsekunden. So ist es auch beim Skifahren oder der Formel 1. Der Fußball hat sich in den letzten 20 Jahren durch dieses Umschaltspiel in beide Richtungen brutal entwickelt. Was passiert nach Ballverlust, was nach Ballgewinn? Wenn ich in die Glaskugel schaue, glaube ich, dass es genau in diesem Bereich um die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten geht. Richtige Entscheidungen zu treffen unter noch mehr Zeit- und Raum-Druck.
Welche Rolle wird Künstliche Intelligenz spielen?
Eine große. Was die KI aber nie ersetzen wird, sind zwischenmenschliche Beziehungen. Kein noch so gut vorbereiteter Zoom-Call ersetzt den persönlichen Kontakt. So wird es auch bei Trainern und Chefs bleiben. Die herausragenden Trainer haben neben all den Dingen, die sie zu Rate ziehen, eine zwischenmenschliche Beziehung. Damit steht und fällt alles.
Fußball ist Entertainment. Der Österreicher sieht lieber eine 3:4-Niederlage als einen langweiligen 1:0-Sieg.
Ich auch, aber ich sehe noch lieber einen 4:3-Sieg.
Sind Sie ein Entertainer?
Nicht auf dem Niveau wie Jürgen Klopp, da ist er unter allen Trainern ein Unikat. Aber ich bin der hundertprozentigen Überzeugung, dass es einer der Jobs von Fußballtrainern ist, die Zuschauer zu unterhalten. Die große Kunst ist es, unterhaltsame Spiele zu gewinnen. Da schließt sich der Kreis zur Spielidee. Ich will auch selber Spaß haben, wenn ich meiner Mannschaft zusehe. Diesen Anspruch habe ich auch an uns.
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