Die dunkelste Seite des Fußballs

Woodward, heute 43, beichtete vom Missbrauch und löste eine Welle aus.
Immer mehr englische Fußballer berichten von sexuellen Übergriffen in ihrer Jugendzeit.

55 Klubs sollen in den Missbrauchsskandal im englischen Fußball verwickelt sein. Das berichtete der Observer unter Berufung auf einen Polizei-Insider. Demnach hat bereits ein Drittel der englischen Polizeistationen Untersuchungen zu verschiedenen Fällen von sexuellem Missbrauch eingeleitet.

Auch der englische Verband FA ist inzwischen ins Zwielicht gerückt. Russell Davy, einst Torhüter in der Jugend von Charlton Athletic, beschuldigte die FA, 1986 nicht auf seinen Brief geantwortet zu haben, in dem er auf Missbrauch durch Scout Eddie Heath aufmerksam gemacht hatte. "Das macht mich wütend", sagte Davy dem Sunday Mirror, "Ich wurde im Stich gelassen und habe noch immer das Gefühl, dass es niemanden kümmert."

Seit zwei Wochen sehen die Briten fast täglich Tränen von Ex-Fußballern. Immer mehr treten an die Öffentlichkeit und berichten von schlimmen Erlebnissen in ihrer Jugend – mit Trainern, Scouts oder Betreuern. Die britische Polizei teilte am Freitag mit, dass sie nach 639 eingegangenen Hinweisen gegen insgesamt 83 Verdächtige ermittle, und sprach von rund 350 potenziellen Opfern.

Outing

Als Erster ist Andy Woodward, der bei Bury und Sheffield United spielte, an die Öffentlichkeit gegangen. Der 43-Jährige sagte im Guardian, dass er im Alter von elf bis fünfzehn Jahren bei Crewe Alexandra vom damaligen Trainer Barry Bennell systematisch missbraucht worden sei. "Es begann mit sexuellen Berührungen, aber es wurde sehr schnell schlimmer, und er vergewaltigte mich. Ich kann nicht sagen, wie oft es passiert ist. Aber es dauerte vier Jahre."

Die vor zwei Wochen publik gewordene Geschichte könnte zu einem der größten Skandale im britischen Fußball werden. Mehr als 350 ehemalige Spieler haben sich schon bei der Polizei gemeldet. In sechzehn britischen Distrikten nahmen die Behörden Ermittlungen auf.

Eine Woche nach Woodward meldete sich Steve Walters zu Wort. Der heute 44-Jährige erzählte die gleiche Geschichte – von demselben Klub, demselben Trainer. Während seiner aktiven Zeit habe er gedacht: "Wenn das je rauskommt, dann war es das mit meiner Karriere."

Monster

Dann hat er gelesen, was Woodward gesagt hat, und eine Last fiel von seinen Schultern. "Ich muss das tun, und ich hoffe einfach, dass es anderen dabei hilft, sich zu erklären." Seine Hoffnung erfüllte sich. Seither meldeten sich täglich Spieler in Zeitungen oder Talkshows zu Wort.

Trainer Bennell, der auch bei Manchester City und Stoke City gearbeitet hatte, wurde 1994 wegen Vergewaltigung eines Jungen in den USA zu vier Jahren Haft verurteilt. Später musste er in Großbritannien wegen Missbrauchs in 23 Fällen für neun Jahre ins Gefängnis. Im vergangenen Jahr wurde er abermals verurteilt, wegen eines sexuellen Übergriffs gegen einen Zwölfjährigen in einem Trainingscamp im Jahr 1980. Während des Prozesses bezeichnete sich Bennell als "Monster".

Die Affäre geht aber über diesen einen Fall und über die Person Bennell hinaus. Auch George Ormond, der unter anderem bei Newcastle United Trainer war, wurde beschuldigt. Ormond war schon im Jahr 2002 wegen Missbrauchs vor Gericht gestanden. Vorwürfe wurden auch gegen den inzwischen verstorbenen Talentsucher Eddie Heath laut, der in den Siebzigerjahren für Chelsea tätig war. Er wurde 1979 entlassen.

Schweigegeld

Die betroffenen Klubs geben sich besorgt und kooperationswillig. Crewe kündigte eine interne Untersuchung über den Umgang mit den Missbrauchsfällen in seinen Reihen an. Dass nicht überall offen mit den Verbrechen umgegangen wird, zeigt das Beispiel Chelsea. So soll der frühere Stürmer Garry Johnson vom aktuellen Tabellenführer der Premier League vor zwei Jahren eine Art Schweigegeld erhalten haben. Für 50.000 Pfund unterschrieb Johnson seine Zusage, über die Vergewaltigungen durch Heath nicht öffentlich zu reden.

Englands "Football Association" (FA) richtete vergangene Woche eine "Helpline" ein, bei der sich inzwischen Hunderte gemeldet haben. Vielen geht das nicht weit genug. Der Vorsitzende des Unterhausausschusses für Kultur, Medien und Sport, der konservative Abgeordnete Damian Collins, kritisierte, die FA reagiere zu langsam und gehe das Problem nicht grundsätzlich genug an. Die Hoffnungen ruhen also auf der Polizei, die mittlerweile auf Ermittlungen sexueller Missbrauchsfälle spezialisiert ist. Seit zweieinhalb Jahren läuft die "Operation Hydrant". Sie steht in Verbindung zum "Child Abuse Inquiry", einer groß angelegten Untersuchung historischer Missbrauchsfälle im Umfeld von Politik und Prominenz.

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