La Castellane: Zu Gast in Zinedine Zidanes Viertel

Die Betonsiedlung La Castellane versprüht wenig Charme - und ist berüchtigt für den Drogenhandel.
In der Sozialsiedlung im Norden Marseilles dominiert nach wie vor die Kriminalität. Eine Reportage.

La Castellane, einst musterhafte Sozialsiedlung im Norden von Marseille, errichtet Anfang der 1960er für Flüchtlinge des Krieges in Algerien (1954–1962). Hier, in diesem Quartier unweit des Mittelmeers und in Sichtweite des Stadtzentrums, in einem der Problemviertel der südfranzösischen Hafenstadt, wuchs der berühmteste Fußballer der Metropole auf: Zinédine Yazid Zidane. Mit Real ist der nunmehrige Trainer nach dem 2:1 in München auf dem Weg zum dritten Triumph in der Champions League in Folge.

Geboren wurde „Zizou“ 1972, als letztes von fünf Kindern einer Berberfamilie, die noch vor dem Beginn des Algerien-Krieges nach Frankreich ausgewandert war. In Saint-Denis, jener Pariser Vorstadt – in der heute das Stade de France steht und wo Zidane mit dem Gewinn des WM-Titel 1998 seinen größten sportlichen Erfolg gefeiert hat – hatte sein Vater Smail Probleme, seine Familie zu versorgen.

Erst als die Zidanes in den Süden Frankreichs gingen und Mitte der 1960er in Marseille den zweiten Neuanfang wagten, ging es besser. Weil Smail Zidane neben seinem Job in einem Lagerhaus auch einen als Nachtwächter annahm. Reich waren die Zidanes nicht. „Wir hatten nie viel, aber immer genug“, erzählt der beste französische Fußballer der Geschichte. Fußball spielten sie alle, die vier Söhne der Zidanes. Der Talentierteste war der Jüngste. Auf der Place de la Tartane, dem Hauptplatz, hat Zinédine seine ersten Fußballschuhe zerrissen. Gewohnt hat die Familie gleich ums Eck.

Zinédine Zidane wuchs unter „Beurs“ auf – das sind wie er in Frankreich geborene Kinder von Einwanderern aus den ehemaligen Kolonien in Nordafrika. Alle haben einen engen Bezug zu Marseille, einen noch engeren zu ihren Wohnblocks. „Ich bin stolz auf die Gegend, aus der ich stamme, und ich werde nie die Leute vergessen, mit denen ich aufwuchs. La Castellane ist immer noch meine Heimat“, sagt der dreimalige Weltfußballer.

Im 16. Bezirk

Zurück nach La Castellane: Es ist eine triste Gegend, das 16. Arrondissement im Norden Marseilles. Die Armut ist genauso sichtbar wie die hohe Arbeitslosigkeit. Es ist ein ganz normaler Vormittag unter der Woche. An jeder Straßenecke stehen Männer und warten, wohl auf bessere Zeiten. Aber ob diese wirklich noch einmal kommen?

6500 bis 7000 Menschen sollen in La Castellane leben, in nur etwas mehr als 1200 Wohnungen, zumeist in sechs- bis siebenstöckigen Häusern. Grauer Beton, schmale Fenster, winzige Balkone und Satellitenschüsseln prägen das Bild.

Die Kriminalität hat Zidanes Heimatbezirk fest im Griff. Prostitution, Waffenhandel und besonders der Drogenverkauf haben dem Ruf des Quartiers mehr als geschadet. Banden kontrollieren das Innere der Wohnhäuser. In französischen Zeitungen wird La Castellane auch schon gerne als „Supermarkt für Drogen“ beschrieben.

Schusswechsel

Die Polizei ist ziemlich machtlos. Wird ein Drogenring gesprengt, entsteht kurz darauf der nächste. Sechs bis sieben sollen es sein, die La Castellane kontrollieren. Die Stadtverwaltung reagierte mit Umbauplänen auf die ausufernde Gewalt. Mehrere Gebäude wurden mittlerweile abgerissen, um den Drogenhandel zumindest etwas einzudämmen. Auch der Fußball in La Castellane leidet unter der Bandenkriminalität. Der Fußballplatz in der Siedlung soll von rivalisierenden Gangs für Schießereien missbraucht worden sein. Die Kinder, die in einem Klub das Fußballspielen lernen wollen, trainieren auf der anderen Seite der Schnellstraße, direkt beim Wohnquartier. Dort soll es sicherer sein.

Mit neun Jahren kam auch der kleine Zinédine zu einem Verein. AS Foresta gibt es heute in der damaligen Form nicht mehr. Sein Talent wurde schnell erkannt – zumindest von den kleinen Klubs aus dem Norden Marseilles. Nach einem Jahr holte ihn US Saint-Henri, wieder ein Jahr später SO Septèmes-les-Vallons. Nur die Scouts von Olympique Marseille, dem großen Klub aus der Hafenstadt, wollten Zidane nicht. Angeblich sei er ihnen zu langsam gewesen.

Also spielte der größte Fußballer Marseilles nie beim größten Verein dieser fußballverrückten Stadt, dessen Anhänger er wie so ziemlich jeder andere Bewohner von La Castellane auch war. Sein Idol war einer der Stars von Olympique in den 1980er-Jahren: Enzo Francescoli.

Von ihm bekam Zidane ein Trikot, das er noch heute als „mein Heiligtum“ bezeichnet. Sein ältester Sohn trägt den Vornamen Enzo – nach dem genialen Spielmacher aus Uruguay.

Hinaus in die Welt

Bis er knapp 15 Jahre alt war, lebte Zinédine Zidane noch in La Castellane. Denn 1986 war er in einem regionalen Talentezentrum, in dem er drei Mal die Woche trainieren durfte, von Jean Verraud entdeckt worden. Der Talentescout ermöglichte ihm die Aufnahme in die Nachwuchsakademie von AS Cannes.

An der Côte d’Azur startete er seine Weltkarriere: Frankreich führte er zwei Jahre nach dem WM- auch zum EM-Titel, mit Real Madrid gewann er die Champions League, wurde spanischer Meister und zwei Mal italienischer Meister mit Juventus. Aber das ist eine andere Geschichte – weit weg von La Castellane.

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