Dieses Interview hat einen traurigen Hintergrund: Kurz nachdem Zlatko Dalić dem KURIER in Zagreb die letzte Frage beantwortet und noch unbeschwert gelächelt hatte, erfuhr der „Trainer“, wie sie ihn im kroatischen Fußballverband respektvoll nennen, vom Tod seines Vaters.
KURIER: Das Spiel gegen Österreich am Freitag: Ist das für Sie ein Vorbereitungsspiel für die WM, ein Bewerbspiel oder eine Mischung aus beidem?
Zlatko Dalić: Eine Mischung aus beidem. Für uns steht in diesem Jahr die Weltmeisterschaft im Vordergrund. Aber wir haben auch in der Nations League ehrgeizige Ziele, wollen gegen sehr starke Gegner unbedingt in der Gruppe A bleiben. Österreich darf also in Osijek vor unseren tollen Fans eine sehr wettbewerbsfähige kroatische Mannschaft erwarten. Wir möchten unbedingt mit einem Sieg in den Bewerb starten.
Eine persönliche Frage: Was hat Sie motiviert, nach dem Finalspiel bei der WM am 15. Juli 2018 weiterzutun?
Auf der einen Seite war es eine schwierige Entscheidung, weil ich wusste, dass es nichts Besseres gibt als im Finale einer Weltmeisterschaft zu spielen - das war für uns alle ein wahr gewordener Traum. Andererseits war es leicht: Ich sage immer, dass dies der bestmögliche Job ist. Ich bin so stolz und fühle mich geehrt, Cheftrainer der kroatischen Mannschaft zu sein, ich genieße jede Sekunde. Ich spürte auch, dass ich immer noch "hungrig" bin, und dass ich die Unterstützung der Mannschaft, des Verbandes und der Fans habe, um weiterzumachen. Ich wollte sie nicht enttäuschen.
Haben Sie Ihre Entscheidung schon einmal bereut?
Nein. Es gab schwierige Momente, vor allem wegen der Pandemie und allem, was damit einherging - leere Stadien, COVID-19-Tests, alle Regeln und Einschränkungen. Deshalb war auch die letzte EURO so schwierig für uns. Nach dem tollen Engagement unserer Fans bei der WM hatten wir während der EURO keinen Kontakt zu ihnen. Das hat alle schwer belastet, mich eingeschlossen.
Haben Sie speziell nach dem lauen Auftritt bei der EURO wirklich nie an Rücktritt gedacht?
Nein, ich habe es nie bereut, geblieben zu sein. Wir hatten immer noch so viele schöne und angenehme Momente, wie die Qualifikation für die EURO 2020, vor allem auch die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2022 in letzter Minute. Es gab einige gute Spiele und die Einführung neuer Spieler in die Mannschaft, die darauf brennen, ihre Qualität zu zeigen. Ich genieße diesen Prozess als Trainer und als Mensch.
Wie kritisiert oder lobt man den Weltstar Luka Modrić?
Nun, ehrlich gesagt: Es ist schwierig, Luka Modrić zu kritisieren. Denn er gibt einem nie einen Grund dazu. Er ist einfach ein fantastischer Spieler, der auf dem Spielfeld immer die richtige Entscheidung trifft - sein Fußballhirn ist perfekt und arbeitet ununterbrochen, und er macht alle anderen zu besseren Spielern. Aber auch abseits des Platzes ist er ein fantastischer Mensch: Er geht mit gutem Beispiel voran, und das macht die Arbeit des Trainers leichter. Wenn Luka als Erster zum Training kommt, wenn Luka auf die Anweisungen des Trainers hört, wenn Luka sich professionell und verantwortungsbewusst verhält und lebt, dann folgen ihm alle anderen.
Stimmt es, dass er sogar jedes Trainingsspielchen gewinnen will?
Ja, so ist er veranlagt. Was ihn neben seinen brillanten fußballerischen Fähigkeiten auszeichnet, ist seine Leidenschaft für den Fußball und seine Wettbewerbsfähigkeit. Er will immer gewinnen, gewinnen und noch mehr gewinnen. Er hat gerade seine fünfte Champions League gewonnen, und er hat im Fußball alles erreicht. Aber glauben Sie mir: Heute denkt er nur daran, wie wir Österreich in Osijek schlagen können.
Apropos Modrić: Seine Akademie war das Leben. Kann man so einen kreativen Spieler auch in einer systematisch ausgerichteten Akademie formen?
Nun, wir haben in Kroatien das Glück, dass wir kreative Spieler mit einer Vorstellungskraft hervorbringen, die man nicht wirklich lehren kann. Ja, unsere Spieler arbeiten auch sehr hart an ihrem Handwerk, einschließlich Luka, aber es gibt auch etwas Zusätzliches in unserer DNA: Man kann es bei Spielern wie Zvonimir Boban, Robert Prosinečki oder Aljoša Asanović in den Neunzigern sehen, oder bei Zlatko Kranjčar in Österreich in den Achtzigern. Luka hat diese DNA, genauso wie Mateo Kovačić, Lovro Majer oder Luka Sučić, die man auch in Österreich gut kennt. Sie sehen Räume, die andere Spieler nicht sehen, und spielen Pässe, die man ihnen nicht wirklich beibringen kann.
Warum qualifiziert sich Kroatien für jede Endrunde und Österreich fast nie?
Es fällt mir schwer, das zu vergleichen. Es ist jedenfalls nicht einfach, und man braucht Weltklassespieler, um es regelmäßig zu schaffen. Kroatien hat das Glück, diese Art von Spielern seit Jahren zu haben - von der Generation Boban und Šuker über die 2000er-Jahre bis heute. Selbst nach der Weltmeisterschaft 2018, als einige Schlüsselspieler aufhörten, haben wir immer noch neue Spieler, die in großen Klubs eine wichtige Rolle spielen. Es sind nicht nur Luka oder Ivan Perišić, die sehr erfahren sind. Wir haben Mateo Kovačić und Marcelo Brozović, die im besten Alter sind und zu den besten Mittelfeldspielern der Welt gehören. Und wir haben auch eine neue Generation, die nachrückt. Das eine ist reines Fußballtalent, aber wir haben auch gute Akademien, gute Trainer in den Verein und ein gutes System im kroatischen Fußballverband, das Talente früh erkennt und entwickelt.
Warum will der Salzburger Luka Sučić lieber für Kroatien spielen, und nicht für den ÖFB?
Luka ist nicht der einzige Spieler, der eine solche Entscheidung getroffen hat. Wir hatten so viele kroatischstämmige Akteure, die in Deutschland, der Schweiz, in Australien, Österreich und anderen Ländern geboren wurden und die sich für Kroatien entschieden haben: von den Brüdern Robert und Niko Kovač und Joe Šimunić angefangen bis zu den aktuellen Bayern-Spielern Josip Stanišić und Gabriel Vidović, und jetzt auch Igor Matanović vom FC St. Pauli.
Und woran liegt das?
Vielleicht liegt es daran, dass wir ein junges Land sind. Jeder hat wirklich Spaß daran, für Kroatien zu spielen. Ich weiß nicht, ob man das anderswo nachmachen kann, aber dieses Zusammengehörigkeitsgefühl und diese Geschlossenheit sind sicherlich sehr wichtig für unsere guten Ergebnisse. Wir Kroaten haben einen sehr starken Sinn für Patriotismus, und das zieht sich durch die ganze Familie. Selbst wenn sie ins Ausland ziehen, vermitteln viele Eltern ihren Kindern diesen Stolz.
Das Übrige tut der kroatische Fußballverband.
Unser Verband arbeitet auch sehr hart daran, diese Talente zu identifizieren und ihnen dann zu zeigen, dass sie für uns wichtig sind, und dass sie eine glänzende Zukunft in Kroatien haben, wenn sie sich so entscheiden.
Warum sind Ihre Landsleute auch in anderen Ballsportarten top?
Ein Teil davon ist Talent, ein Teil Tradition, dazu kommen ein gutes System und unsere Teamarbeit. Vielleicht liegt es an unserer schwierigen Geschichte, dass die Kroaten sehr stark sind, wenn es darum geht, Hindernisse zu überwinden - sei das damals im Krieg um die Unabhängigkeit oder eben bei einem Spiel im Fußball, Basketball, Wasserball oder Handball.
Belgien, Kanada, Marokko in der Gruppe F: Klingt machbarer als Argentinien, Nigeria und Island 2018, oder?
Es ist eine ziemlich vergleichbare Gruppe: Belgien ist der Favorit, genau wie Argentinien 2018. Wobei ich persönlich der Meinung bin, dass Belgien heute ein etwas stärkeres Team hat als die Argentinienier damals. Marokko ist ein starkes afrikanisches Team, genau wie Nigeria, und Island und Kanada haben außer dem kalten Wetter noch andere Gemeinsamkeiten. Beide sind sehr stolz darauf, für die Weltmeisterschaft qualifiziert zu sein, und sie haben einige sehr gute Spieler. Unser Ziel ist es aber, die Gruppenphase zu überstehen.
Was fällt Ihnen zu Ivica Osim ein?
Ich war sehr traurig, als ich von seinem Tod erfuhr. Er gilt zu Recht als einer der größten Trainer aus unserer Region, und seine Ergebnisse sprechen für sich. Er hatte eine großartige Zeit bei Sturm Graz. Und ich bin mir sicher, dass die Leute dort immer noch gerne an ihn denken. Er war sehr klug, fußballintelligent, ein wahrer Stratege, der eine große Ausstrahlung hatte. Ich bin sicher, dass alle seine Spieler großen Respekt vor ihm hatten.
Was schätzen Sie an Österreich?
Ein wunderschönes Land, vor allem, wenn man auf Winterwetter steht. Wien ist sicherlich eine der besten Städte der Welt, um dort zu leben, und ihr habt eine reiche Kulturgeschichte, vor allem in der Musik.
Also ein Land der Geiger, ein Land der Skifahrer?
Was ich bewundere, ist, dass die Menschen in Österreich regelmäßig Sport betreiben: wandern, laufen, Ski fahren usw. Ich genieße immer meine Besuche in Österreich und die österreichische Gastfreundschaft, und freue mich schon auf das Rückspiel in Österreich im September.
Apropos: Wann kommen Sie wieder mal zum Abend Ihrer Landsleute aus der bosnischen Stadt Livno nach Wien?
Ha, ha, gute Frage. Ich genieße solche Veranstaltungen, wenn Menschen aus meiner Heimat in einem fremden Land zusammenkommen. Deshalb freue ich mich natürlich immer auf gute Nächte mit meinen "Livnjaci".
Der Mensch: Geboren wurde Zlatko Dalić am 26. Oktober 1966, in Livno, einer Kleinstadt in Bosnien-Herzegowina. Verheiratet ist der Vater von zwei Söhnen seit 1992 mit Davorka Dalić. Seinen Hauptwohnsitz hat er heute in der nordkroatischen Stadt Varaždin. Derzeit dreht sich bei ihm mehr um die Familie als um den Fußball: Sein Vater ist in der Nacht auf Mittwoch in Livno verstorben.
Der Spieler: Dalić spielte fast ausschließlich in Kroatien, die meisten Spiele bestritt er für Hajduk Split. Länger tätig war er auch für Varteks in Varaždin, kurz auch im benachbarten Ausland für Velez Mostar und Podgorica.
Der Trainer: Auch als Trainer (in Kroatien und in den Emiraten) sorgte er zunächst nicht unbedingt für Furore. Dementsprechend skeptisch war man 2017 in Kroatien, als er aus der Not heraus als Cheftrainer der Nationalmannschaft präsentiert wurde. Der Rest ist Geschichte.
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