Der moderne Nostalgiker ging ab

Tschüss: Jupp Heynckes kehrte den Bayern den Rücken zu. Er wird wohl seine Karriere beenden.
Mit alten Werten und neuer Gelassenheit formte Jupp Heynckes die neuen Bayern.

Jupp Heynckes isst gern Huhn und, wenn es deftiger sein soll, rheinischen Sauerbraten. Den servierte seine Frau Iris auf dem Bauernhof im Schwalmtal bei Mönchengladbach, wohin ihr Mann seine Spieler zuletzt eingeladen hat. Mit ihr und Hund Cando unternimmt er auch gerne lange Spaziergänge. Jupp Heynckes sieht mit 68 so fit aus wie lange nicht, obwohl er nur eingeschränkt Sport betreiben kann, weil er seit 2008 ein künstliches Kniegelenk hat.

Jupp Heynckes gab am Samstag im Cupfinale in Berlin seine Abschiedsvorstellung als Trainer des FC Bayern München.

Kokett

Seit ihn die Bayern im Winter mit der Verpflichtung von Josep Guardiola überrumpelt haben, kokettiert er mit der Rolle des Auslaufmodells. „Wenn ich zehn oder 15 Jahre jünger wäre, würde ich vielleicht nochmal an ein Engagement im Ausland denken“, sagte er.

Ein bisschen gekränkt ist Heynckes noch immer. Uli Hoeneß hat seinen Freund Heynckes schon einmal als Bayern-Trainer aus dem Amt befördert. Der größte Fehler seines Lebens sei das gewesen, bekannte er später immer wieder.

Aber der Jupp Heynckes von damals war anders, war verbissen, dünnhäutig, unnachgiebig. Mönchengladbach-Tormann Uwe Kamps war einst mit einer missglückten Strähnchenfrisur zum Training gekommen. „Heynckes stand da und sagte zu mir: Du gehst jetzt sofort wieder zum Friseur und guckst, dass das bis morgen weg ist“, erzählte Kamps im Express-Interview. „Später saß ich mit Tränen in der Kabine.“

Heynckes ist versöhnlicher geworden. „Früher habe ich immer eine Menge referiert. Ich habe den Spielern gesagt: Ihr müsst das und das und das machen. Das mache ich überhaupt nicht mehr“, sagt Heynckes. Mittlerweile könne er das Wichtige vom Unwichtigen trennen. „Ich war immer Perfektionist, heute bin ich etwas nachgiebiger. Damit fährt man besser.“

Heynckes musste sich stets beweisen. Er wuchs in der Nachkriegszeit mit neun Geschwistern auf. Er musste Zahlungsunwillige davon überzeugen, ihre Schulden im Tante-Emma-Laden seiner Mutter zu begleichen. Vielleicht ist diese Geschichte der Grund dafür, dass es ihm nicht schwergefallen ist, divenhafte Spieler wie Franck Ribéry oder Arjen Robben dazu zu bringen, ungeliebte Defensivarbeit im Dienst der Mannschaft zu verrichten.

Tugend

Die Bayern glaubten bisher, dass die Mannschaft der 70er-Jahre mit dem dreimaligen Meistercup-Sieg die beste der Vereinsgeschichte war. Sie haben Tugenden gezeigt, die heute oft als verstaubt abgetan werden. Heynckes hat es geschafft, im ultramodernen Fußball jene Werte wieder aufleben zu lassen: harte Arbeit, Zusammenhalt, Teamgeist, Spaß und natürlich Disziplin.

Heynckes sagte es am Tag vor dem Cupfinale so: „Was wir erreicht haben, ist das Produkt aus intensiver Arbeit und professioneller Kommunikation. Eine Mannschaft kann nicht so Fußball spielen wie wir, wenn sich die Spieler nicht so gut verstehen. So etwas habe ich in meiner langjährigen Karriere noch nie erlebt.“

Wird er so etwas noch einmal erleben? Auf jeden Fall wird sein Name immer genannt, wenn es um einen Job im deutschen Fußball geht. Als Manager des Nationalteams – weil Oliver Bierhoff Veränderungswillen geäußert hat. Und gar als Teamchef – mehr als 80 Prozent haben auf Focus Online für Heynckes votiert, der magere Rest für Joachim Löw.

„Wenn ich ihm einen Rat geben sollte, dann kann er noch einmal eine Nationalmannschaft übernehmen“, sagte Ottmar Hitzfeld, einst erfolgreicher Bayern-Trainer – und seit 2008 Schweizer Teamchef.

Am 9. Mai 1945 wurde Josef „Jupp“ Heynckes in Mönchengladbach als eines von zehn Kindern geboren. Er ist verheiratetund hat eine Tochter. 2004 erkrankte seine Frau Iris an Krebs, worauf er sich eine eineinhalbjährige Auszeit nahm, um sie zu pflegen. Iris gewann den Kampf.

DER SPIELER 1963–’78 Heynckes war ein schneller und vielseitiger Stürmer, er spielte in seiner Profi-Karriere für Mönchengladbach und Hannover. In 39 Spielen für Deutschland traf er 14-mal.

DER TRAINER 1979 Heynckes beginnt als Assistent von Udo Lattek, den er im selben Jahr noch als Cheftrainer beerbt, bei Gladbach. Er war damals mit 34 Jahren der jüngste Cheftrainer der Bundesliga. 1987 Heynckes wird Trainer bei Bayern, wo er zum Entdecker des 18-jährigen Lothar Matthäus wird. 1989 und ’90 führt Heynckes die Bayern zum Titel. 1992 In Bilbao beginnt er sein erstes Engagement in Spanien, wo er den Spitznamen „Don Jupp“ erhält. 1998 Heynckes gewinnt mit Real Madrid die Champions League. Bereits vor dem 1:0-Finalsieg gegen Juventus Turin steht fest, dass er entlassen wird.

2009 Heynckes wird nach der Entlassung von Jürgen Klinsmann interimistisch zum zweiten Mal Bayern-Trainer und führt den Klub noch auf Platz zwei. 2011–’13 Die dritte Amtszeit des Trainers in München wird die erfolgreichste. Heynckes verabschiedet sich mit dem Gewinn der Meisterschaft und der Champions League.

Stationen als Trainer
1979–’87 Borussia Mönchengladbach
1987–’91 FC Bayern München
1992–’94 Athletic Bilbao
1994–’95 Eintracht Frankfurt
1995–’97 CD Teneriffa
1997–’98 Real Madrid
1999–’00 Benfica Lissabon
2001–’03 Athletic Bilbao
2003–’04 FC Schalke 04
2006–’07 Borussia Mönchengladbach
2009 FC Bayern München
2009–’11 Bayer 04 Leverkusen
2011–’13 FC Bayern München
Der moderne Nostalgiker ging ab
Auch mit Real Madrid gewann Heynckes die Königsklasse.

Kommentare