Großmacht England: Das Königreich für den Fußball
„Wir müssen ganz klar sagen, dass die beste Liga in England ist. Denn money makes the world go round. Es ist einfach so. Dort – und in Spanien – spielen die besten Spieler. Und damit müssen wir uns abfinden.“
Bayern-Trainer Niko Kovac sprach aus, was die Europacup-Ergebnisse der vergangen Jahre verdeutlichen. Die deutsche Bundesliga hat wie die italienische Serie A den Anschluss verloren an die beiden anderen Topligen. Die englische Premier League und die spanische Primera División geben den Ton an.
An der Spitze kündigt sich nun ein Machtwechsel an. Noch liegt Spanien im UEFA-Länderranking, einer Fünfjahreswertung, auf Platz 1. Aber schon in der vergangenen und auch in der aktuellen Saison ist England punktemäßig besser. Und in dieser auch sportlich erfolgreicher.
Premiere
Erstmals stellt mit der Premier League eine Liga alle vier Europacup-Finalisten. Arsenal und Chelsea bestreiten am 29. Mai in Baku das Europa-League-Finale, Liverpool und Tottenham am 1. Juni in Madrid das Champions-League-Finale. Englands Topliga, gegründet 1992, als sich die Klubs der alten First Division von der Football League abspalteten, ist finanziell schon lange die Nummer eins im Fußball. Der Motor ist der lukrative TV-Vertrag. Die 20 Klubs erhalten rund 2,4 Milliarden Euro für den Verkauf der Übertragungsrechte. Pro Saison.
Mit den sechs englischen Großklubs – zu den vier Finalisten kommen City und United aus Manchester – können finanziell in Europa maximal Bayern Müchen, Juventus Turin, Paris Saint-Germain, der FC Barcelona, Real Madrid und Atletico Madrid mithalten. Selbst kleine Klubs wie Fulham zahlen Millionengehälter. Denn auch sie erhalten aus dem TV-Topf dreistellige Millionensummen. Das Geld lockt, England ist mittlerweile Ziel fast aller Spieler, aber auch Trainer geworden. In der Premier League geben Legionäre den Ton an. Fast 60 Prozent der Spieler kommen nicht aus England.
Das hat aber einen durchaus positiven Effekt für die unteren Ligen, in denen das sportliche Niveau in den letzten Jahren gestiegen ist. Denn irgendwo müssen die Talente ja spielen, für die in der Premier League kein Platz ist. Die Besten wie Jadon Sancho (Bild oben), der bei Borussia Dortmund spielt, gehen ins Ausland, viele aber auch in die drei anderen englischen Profiligen. In die Ausbildung haben die Topklubs extrem viel investiert, das zeigt sich auch in den guten Ergebnissen der englischen Nachwuchsnationalteams.
Die Trainerausbildung ist für den Chef der österreichischen Trainerausbildung eine der besten der Welt: „Wenn man über den Tellerrand schaut, ist England für mich da ganz weit vorne“, sagt Dominik Thalhammer. Weil aber in der Premier League auch bei den Trainern zum Großteil auf Ausländer gesetzt wird (nur sechs der aktuell 20 sind Engländer), arbeiten viele top-ausgebildete Coaches in den niedrigeren Ligen, was natürlich auch das Niveau hebt.
Dass die Stadion-Infrastruktur in England top ist, dafür hat auch die Politik gesorgt – mit dem Taylor-Report, der die Ursachen und Auswirkungen der Hillsborough-Katastrophe 1989 mit 96 Toten thematisierte. Alle Premier-League-Klubs spielen mittlerweile in neuen Arenen oder haben ihre alten Stadien so umgebaut, dass sie den höchsten Sicherheitsstandards entsprechen.
Stehplätze sind in der Premier League verboten, wogegen es große Proteste der Fans gab und gibt. Das Flair der alten Stadien ist zweifelsfrei verloren gegangen, die Stimmung bei Weitem nicht mehr so enthusiastisch wie noch in der 1980er-Jahren. Trotzdem boomt die Premier League. Der Zuschauerschnitt ist von 21.132 in der ersten Saison (1992/’93) auf aktuell 38.192 gestiegen. Trotz mittlerweile horrender Eintrittspreise von bis zu 100 Euro ist die Auslastung mit fast 97 Prozent die höchste in Fußball-Ligen weltweit.
Fanmassen
Aber nicht nur die Premier League lockt die Fans. In der zweithöchsten Liga, der Championship, beträgt der Schnitt 20.000, nur ein einziger der 24 Klubs hat weniger als 10.000 Zuschauer pro Spiel. Insgesamt kamen in der abgelaufenen Saison 18,3 Millionen Zuschauer zu den Spielen der drei unteren Profiligen – und damit so viele wie seit 60 Jahren nicht mehr.
Aber die Klubs, die ja keine Vereine im mitteleuropäischen Sinn sind, sondern alle Eigentümer haben, tun auch viel für die Zuschauer. Auch die kleineren Klubs investieren viel Geld in die Infrastruktur. Aktuell baut etwa der Londoner Zweitligist FC Brentford ein neues Stadion mit einem Fassungsvermögen für 17.250 Zuschauer.
Zuschauerservice wird großgeschrieben – auch im Internet: Selbst bei Amateurklubs kann man Tickets online kaufen. Das getan, erhält man am Tag vor dem Spiel ein eMail mit den wichtigsten Informationen zum Spieltag. Und dann wöchentlich einen Newsletter mit den Neuigkeiten des Klubs. Ein klubeigener You-Tube-Channel mit Highlight-Videos zu den Spielen, Trainerinterviews und Hintergrundberichten ist ebenfalls Normalität.
Auch wenn die Stimmung in den Stadien vielleicht nicht mehr so gut ist wie vor 30, 40 Jahren, ist ein Matchbesuch in England noch immer ein Erlebnis – auch in den unteren Ligen. In diesen ist das Service ebenfalls top – vom obligatorischen Matchprogramm über einen Fanshop, der seinen Namen auch verdient, bis hin zu einem Ordnerdienst, der Zuschauer als Gäste behandelt.
Die Klubs sind in vielen kleinen Städten oder Stadtteilen der Metropolen soziale Treffpunkte. Diese sind sich aber auch ihrer Rolle bewusst. Praktisch jeder Klub betreibt ein sogenanntes "Football in the Community"-Programm. Da werden aber nicht nur Fußballkurse für Kinder und Jugendliche angeboten oder Schulen besucht, sondern es gibt etwa auch Lernhilfen in den Stadien oder spezielle Programme extra abgestimmt auf Flüchtlinge.
Die Fan-Klubbindung ist vielleicht auch deshalb extrem hoch. Bei Weitem nicht alle Engländer interessieren sich für Fußball, aber die, die es tun, beschäftigen sich intensiv mit dem Weltsport Nummer 1 – und unterstützen zumeist über Generationen ihren lokalen Klub. Der Zuschauerzuspruch ist auf der Insel auch nicht so abhängig vom sportlichen Erfolg wie in vielen anderen Ländern.
Ein aktuelles Beispiel: Bradford City, gerade als abgeschlagenes Schlusslicht von der 3. in die 4. Liga abgestiegen, hat schon 13.000 Abos für die kommende Saison verkauft – zum Preis von umgerechnet 260 Euro pro Stück.
Kommentare