Gerhard Struber: Wie Lionel Messi selbst den Franzosen wehtun kann

Gerhard Struber: Wie Lionel Messi selbst den Franzosen wehtun kann
Die Stärken in der Offensive bei den beiden WM-Finalisten und warum Lionel Messi der X-Faktor für die Argentinier ist.

Von Gerhard Struber

Zum Ende der WM stellt sich die Frage nach sportlichen Erkenntnissen. Für mich als Trainer sticht eine heraus: Wenn du auf höchstem Niveau erfolgreich sein willst, musst du in jeder Phase des Spiels Lösungen parat haben. Neben einem klaren Defensiv-Plan braucht es offensiv Variabilität: Gegner im Umschaltverhalten über Speed und Dynamik knacken zu können, ist ebenso wichtig wie Angriffe aus dem stabilen Ballbesitz, wo überraschende Rhythmuswechsel der Schlüssel sind.

Im Finale stehen zwei Teams, die diese Parameter erfüllen. Und entgegen der oft strapazierten Weisheit, wonach es die Defensive ist, die Meisterschaften entscheidet, sind es durchaus die offensiven Qualitäten, die beide Finalisten so weit gebracht haben.

Die Franzosen sind in ihrer offensiven Ausprägung das Maß aller Dinge. Sie sind über Mbappé und Dembélé im höchsten Tempo unterwegs, andererseits durch Giroud im Strafraum enorm präsent. Die Argentinier zeichnet in der Offensive ihr Positionsspiel aus: Sie schaffen oft Überzahl auf den Flügeln und haben dazu mit Messi einen Spieler, der sich unter höchstem Druck stets herausmanövrieren kann und den perfekten Laser-Pass hinter die Abwehr beherrscht.

Vor allem Messi ist es auch, der die kleinen defensiven Schwächen der Franzosen ausnutzen kann. Die Verteidiger Konaté und Upamecano nehmen oft Risiko, indem sie sehr Mann-orientiert nach vorne verteidigen. Dadurch verlassen sie ihre Position in der Kette, und in ihrem Rücken entstehen Räume. Die kann Messi nutzen mit seiner Raffinesse und der Fähigkeit, überraschende Dinge zu tun, die für den Gegner nicht zu kontrollieren sind. Jeder kennt ihn, aber keiner kann ihn aus dem Spiel nehmen, auch Frankreich nicht.

Gerhard Struber: Wie Lionel Messi selbst den Franzosen wehtun kann

Messi und Argentinien haben bislang allen Grund zum Jubeln

Der X-Faktor

Er hat sich bei dieser WM in einen Flow gespielt, mit 35 Jahren noch eine Schar an Fans dazugewonnen und es geschafft, in jeder Partie der X-Faktor zu sein. Es ist außergewöhnlich, wie seine Mitspieler mit ihm umgehen und ihn hochleben lassen. Dabei bin ich mir sicher: Wie Ronaldo hat auch Messi ein ausgeprägtes Ego. Allerdings weiß er, wie wichtig es ist, jeden einzelnen Spieler an Bord zu haben, um als Team Großes erreichen zu können. Dieses Miteinander hat man bei den Portugiesen bei dieser WM nicht so wahrgenommen.

Ein weiterer mentaler Faktor: Die Argentinier haben im Vergleich zu den meisten Franzosen diesen Titel noch nicht gewonnen. Sie sind womöglich eine Spur hungriger und leidensfähiger. Ich denke, sie werden die Nase vorn haben – und Messi wird ganz oben stehen: auf einer Stufe mit Diego Maradona.

Der 45-jährige Salzburger Gerhard Struber coachte in England den FC Barnsley und ist seit 2021 Cheftrainer der New York Red Bulls.

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