„Endlich reißt ihr euch den Arsch auf“

Former German football player Paul Breitner holds a ball during the draw of the Euro 2012 soccer championship at the Palace of Arts in Kiev December 2, 2011. (EURO 2012 DRAW) REUTERS/Kai Pfaffenbach (UKRAINE - Tags: SPORT SOCCER)
Die deutsche Fußball-Legende Paul Breitner über Österreichs Chancen gegen Deutschland.

KURIER: Herr Breitner, am Freitag kommt es wieder zum Nachbarschaftsduell Deutschland gegen Österreich. Bei der letzten Begegnung hat Österreich 1:2 verloren. Wie stehen die Chancen dieses Mal?
Paul Breitner:
Es geht kein Weg dran vorbei: Wenn die deutsche Mannschaft ihre Form findet, dann ist Deutschland klarer Favorit. Ich rechne mit einem klaren Sieg von zwei Toren. Außerdem ist die deutsche Mannschaft neben der spanischen Mannschaft die beste, die es derzeit gibt. Aber: Für Österreich ist jedes Spiel gegen Deutschland wie ein WM-Endspiel. Da reißen sich die Österreicher immer ganz besonders den Arsch auf. Das hat man auch bei der letzten Begegnung gesehen. Marko Arnautovic hatte den Ausgleich zum 2:2 auf dem Fuß gehabt. Das Tor hat er kurz vor dem Abpfiff nur aus reiner Unkonzentriertheit nicht geschossen. Einen Monat später gegen Kasachstan war die Motivation schon weniger hoch, da haben die Österreicher nur 0:0 gespielt.

Gegen diese Theorie spricht aber, dass Österreich im Retourmatch gegen Kasachstan 4:0 gewonnen hat. Gegen Irland gab es ein 2:2 und gegen Schweden einen 2:1-Sieg.
Das stimmt, weil Österreich endlich eine Fußballer-Generation hat, die sich ändert und anders tickt als die früheren Generationen. Endlich reißt ihr euch nicht nur gegen Deutschland den Arsch auf. Eure Nationalmannschaftspieler haben kapiert, dass es im internationalen Fußball nicht reicht, nur gegen Deutschland auf dem Spielfeld zu marschieren.

„Endlich reißt ihr euch den Arsch auf“
APAKMA03 - 21062007 - WIEN - OESTERREICH: ZU APA-TEXT SI - ARCHIVBILD - Der deutsche Fussballnationalspieler Paul Breitner (r) und der Osterreichs Bruno Pezzey (l) schuetteln sich die Haende nach dem WM-Spiel Deutschland gegen Oesterreich am 25.Juni 1982 in Gijon, Spanien. Das Match gestaltete sich nach einer fruehen deutschen 1:0-Fuehrung zu einer Farce. Beide Teams inszenierten bis zum Abpfiff ein harmloses Ballgeschiebe, da das 1:0 fuer den Einzug beider Manschaften in die Finalrunde reichte. Algerien wurde damit ausgeboten. Die Partie endete unter den wuetenden Protesten von 40.000 Zuschauern als einer der groessten Skandale in der WM-Geschichte. APA-FOTO: Picture-Alliance / ASA / Werek
Wie unterscheidet sich diese neue Generation von den früheren österreichischen Teamspielern?
Die neue Generation arbeitet viel professioneller. Bis vor einem Jahr glaubte ich, dass Brasilien für diese Mannschaft noch zwei Jahre zu früh kommt. Aber es gab eine Leistungsexplosion im letzten Jahr. Und jetzt sage ich: Österreich bei der WM in Brasilien? Warum nicht! Die Chance, sich für die WM zu qualifizieren, ist da. Denn es gibt Spieler, wie etwa David Alaba, die sich wahnsinnig schnell entwickeln und teilweise schneller, als man dachte. Spieler wie Alaba bringen eine neue Qualität in das Nationalteam hinein. Diese Mannschaft hat eine große Zukunft. Meiner Einschätzung nach schaut die Zukunft so aus, dass der österreichische Fußball in Europa wieder ernstgenommen wird und nicht mehr unter ferner liefen stattfindet.

Sind Sie überzeugt, dass das Team zur erweiterten Spitze aufschließen wird können?
Ich wurde lange nicht richtig verstanden, als ich gesagt habe: In Österreich wird auch Fußball gespielt. Das hat auch bedeutet, Ski fahren war bis jetzt einfach wichtiger. Der Skisport ist bei euch im Stellenwert auf Platz eins, zwei, drei, vier, fünf und dann kam lange nichts. Das scheint sich jetzt zu ändern.

Hat die neue mentale Einstellung vielleicht auch damit zu tun, dass diese Generation viele Jahr nach dem Match in Córdoba zur Welt kam und an diese Legende keine Erinnerungen hat?
Ganz richtig. Das ist ein ganz entscheidender Moment. Gott sei Dank kann diese Generation mit Córdoba nichts mehr anfangen. Diese Nationalmannschaft ist vom Córdoba-Fluch befreit und kann frei atmen. Die Teamspieler glauben nicht, in Córdoba Weltmeister geworden zu sein und das alles andere, was danach kam, wurscht war. Ganz im Gegenteil: Der neuen Generation ist Córdoba wurscht. Österreichs Nationalmannschaft will endlich wieder etwas erreichen. Auch früher gab es Talente im österreichischen Fußball, aber leider sind diese Hoffnungen sehr oft als Talente in Rente gegangen. Die neue Generation will mehr und sie weiß, dass man sich dafür aber ständig überwinden und an die Leistungsgrenze gehen muss.

Was zeichnet für Sie David Alaba aus?
Er hat eine brillante Technik, Schnelligkeit, Überblick, Ruhe, Abgeklärtheit und vor allem viel Hirn. Und er weiß, was er sich, seinem Namen, seinem Standing und seiner Nationalmannschaft schuldig ist.

Glauben Sie, dass David Alaba ein ganz Großer werden kann?
Schon vor vier oder fünf Jahren, als ich David das erste Mal in der Bayern-Jugend spielen sah, habe ich einigen Freunden in Österreich erzählt, dass ich den österreichischen Spieler gesehen habe, der der Größte seit 50 Jahren werden wird. Dann haben alle gesagt: „Du bist deppert.“ Und ich habe geantwortet: „Nein, ich bin nicht deppert.“ Ich weiß, dass ich an diesem Satz nochmals gemessen werde. Ich stehe mehr denn je zu diesem Spruch. David Alaba ist ein Hochgenuss – als Mensch und als Spieler.

Der größte Spieler Österreichs ist noch keine Messlatte. Kann David Alaba auch im internationalen Fußball ein Star werden?
Die hohe Messlatte ist, dass David Alaba seine Leistungsgrenze erreichen kann, um mit 27 oder 28 der perfekte Alaba zu sein. Er hat noch 30 Prozent Entwicklungspotenzial. Dann kennt er alle Tricks und ist als Fußballer fertig.

Der 61-jährige Bayer ist dafür bekannt, dass er sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Egal, ob es sich um den österreichischen oder den deutschen Fußball handelt. Die Fußball-Legende wusste aber schon als Spieler, wie man die Medien auf sich lenkt. Er fiel in den 70er-Jahren durch seine lockige Haarpracht auf. Breitner gab sich ganz bewusst linksorientiert, posierte gerne mit einer Mao-Bibel und erklärte, ein Verehrer Che Guevaras zu sein.

Doch Breitner ist nicht nur ein Mann der starken Worte, auch sportlich hat der Ex-Bayern-München-Star einiges aufzuweisen. 1974 wurde er mit der deutschen Nationalmannschaft Fußball-Weltmeister. Zwischen 1972 und 1974 wurde Breitner mit den Bayern drei Mal en suite deutscher Fußballmeister. Zudem gewann Breitner 1974 mit Bayern auch den Europapokal der Landesmeister. In dieser Ära spielte er mit Ausnahmekönnern wie Franz Beckenbauer, Sepp Maier oder Gerd Müller in der Mannschaft.

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