Zittern in Zagreb: Kroatien vor WM-Halbfinal-Kracher gegen Argentinien

Am Montag in der Früh war Tihomir Gvardiol nicht an seinem Arbeitsplatz – in der Fischhalle des Dolac-Markts im Zentrum der kroatischen Hauptstadt Zagreb. An einem Nachbarstand meinte eine Verkäuferin: „Ich glaube, er ist jetzt doch geflogen.“

Papa Gvardiol hat seinem Sohn Josko bisher aus der Ferne die Daumen gedrückt. Durchaus mit Erfolg. Der Sohn, gerade mal 20 Jahre alt, aktuell bei RB Leipzig in Deutschland unter Vertrag, ist eine der Entdeckungen der WM in Katar. Am Dienstagabend möchte er im Halbfinale auch den Argentiniern das Toreschießen so schwer wie möglich machen (20 Uhr/ServusTV live).
Stolz ist Tihomir Gvardiol nicht nur auf die Leistung seines Sohnes im kroatischen Abwehrzentrum. Nach dem Spiel gegen Brasilien meinte er im kroatischen Fernsehen: „Noch mehr imponiert mir die Bescheidenheit, die er und seine Mitspieler zeigen.“
Weder Euro noch Schengen
Am Samstag hatte der Fischhändler, der aus einem kleinen Fischerdorf bei Zadar stammt, noch netten Besuch von Jakov Petkovic, einem weißhaarigen Gentleman mit Brille und Schnauzer. Er ist wiederum der Vater von Bruno Petkovic, der gegen Brasilien knapp vor Ende der Nachspielzeit den Ausgleich erzielt hatte. Das Tor seines Juniors hat er übrigens in einem Café am Kvatric-Platz mit anderen gefeiert.

In den Cafés Kroatiens gibt es de facto nur ein Thema: Und es ist nicht die Euro-Einführung und der Schengen-Beitritt per 1. 1. 2023. Über Bruno Petkovic redet man jetzt mit mehr Ehrfurcht als noch vor Wochen. Der 28-jährige Mittelstürmer aus der dalmatinischen Stadt Metkovic galt lange als ewiges Talent, das seinen Durchbruch weder in der Jugend von Dinamo Zagreb noch bei diversen Vereinen der italienischen Serie B geschafft hatte. Die Rückkehr zu Dinamo dürfte ihn jedoch geerdet haben. Teamchef Zlatko Dalic ist schon länger überzeugt von ihm.
Die Gespräche der 4,5 Millionen Hobby-Teamchefs und -Teamchefinnen drehen sich auch um Josip Juranovic, der in Dubrava, dem Simmering Zagrebs, kicken lernte. In Zagreb kam er über Einsätze bei Vorstadt-Klubs nicht hinaus, bei Hajduk Split durfte er auch nicht glänzen. Der Knopf ging dem Sprinter und Passgeber auf der rechten Außenbahn erst im Ausland, bei Legia in Warschau und nun bei Celtic Glasgow, auf.
„Josip ist ein gutes Beispiel dafür, wie viele Talente unser Land hat“, sagt Kreso Kundic auf einem Fußballplatz nahe der Save. Im Vorjahr hat er mit fünf Freunden 66.000 Euro investiert und den NK Kralj Tomislav gegründet.

Keine Euphorie
Auch hier erklärt sich, warum Kroatien nun schon zum zweiten Mal nach vier Jahren im WM-Halbfinale spielt: „Die Stadtverwaltung, der Zagreber Fußballverband und die Leute rundum – alle unterstützen unser Projekt.“
Das Projekt ist ambitioniert: „Nach dem Aufstieg in unserer ersten Saison aus der letzten Leistungsstufe wollen wir uns Schritt für Schritt nach oben arbeiten.“ Nicht unerwähnt lässt Ex-Kicker Kundic sein wahres Ziel: „Ein Land wie Kroatien benötigt eine zweite Mannschaft in der Champions League.“

Und wie geht das Halbfinal-Spiel gegen Argentinien aus? Niemand in Zagrebs Cafés wirkt euphorisch. Es gibt aber auch niemanden, der meint, dass Gvardiol, Petkovic, Juranovic und Kollegas chancenlos wären.
Kommentare