"Nicht zu verwechseln mit Gent" – der erste Satz im Wikipedia-Eintrag zu Genk ist durchaus logisch, unterscheidet die beiden belgischen Städte doch auf den ersten Blick nur ihr letzter Buchstabe. Doch schaut man genauer hin, ist es viel mehr.
Als in Genk gerade einmal eine Handvoll Häuser standen, war Gent schon eine Metropole. Belgiens zweitgrößte Stadt (nach Antwerpen) hatte schon im Spätmittelalter 50.000 Einwohner und war eines der Handelszentren Europas. Noch heute ist der Glanz von damals zu sehen. Das Zentrum mit fast 10.000 historischen Gebäuden der Stadt im Nordwesten Belgiens lockt Jahr für Jahr Tausende Touristen an.
Die verirren sich hingegen nach Genk, nur maximal dann, wenn sie sich für aufgelassene Kohlegruben oder für Fußball interessieren. Denn wie auch Gent hat Genk einen sehr erfolgreichen Verein, der die Großen des belgischen Fußballs (Anderlecht, FC Brügge, Standard Lüttich) seit Jahren fordert und in dieser Saison sogar in der Champions League spielt. In dieser empfängt Belgiens Meister am Mittwochabend Salzburg.
Die Ortschaft im Osten Belgiens nahe der niederländischen Grenze, die erst im Jahr 2000 zur Stadt erhoben worden ist, ist sonst einfach zu unbedeutend und uninteressant. Mit 61.500 Einwohnern rangiert man im Ranking der größten Städte Belgiens irgendwo unter ferner liefen, nämlich auf Rang 23.
Kohlerevier
Der ganze Stolz Genks ist der Koninklijk Racing Club (kurz KRC), der mindestens eine so kuriose Geschichte wie der Ort hat, in dem er beheimatet ist. Bis ins Jahr 1901 war Genk nur ein Dorf in der Region Limburg. Doch dann fand der Geologe André Dumont bei Bohrungen ein riesiges Kohlevorkommen.
Es sollte der Ursprung für ein Steinkohlerevier mit insgesamt sieben Zechen sein. In und um Genk gab es plötzlich Tausende Arbeitsplätze. Die Ortschaft wuchs extrem schnell, verzehnfachte in 30 Jahren seine Einwohnerzahl auf knapp 25.000. Die Zuwanderer kamen aber nicht nur aus Belgien, sondern auch aus Polen und der Ukraine. Und wie in den anderen europäischen Bergbauregionen etwa in England oder Deutschland wurde von den Kumpels Fußball gespielt.
In Genk entstanden zwei Klubs, die Namen von Kohlenminen trugen und in Belgiens Topliga spielten: Thor Waterschei und KFCWinterslag. Ersterer war der etwas ältere Verein. Die Waterschei's Sport Vereeniging Thor (das steht für "Tot Herstel Onzer Rechten", auf Deutsch übersetzt "Zur Wiederherstellung unserer Rechte") wurde 1919 gegründet. Der Football Club Winterslag, der seit 1958 den Zusatz Koninklijk ("Königlicher") tragen durfte, entstand vier Jahre später.
Thor Waterschei war auch mit zwei Cupsiegen (1980, 1982) und dem Erreichen des Semifinales im Cup der Cupsieger 1983 der erfolgreichere Klub. Aber 1986 war man nach acht Jahren in der belgischen Topliga abgestiegen. Der Lokalrivale, der 1981 im UEFA-Cup immerhin Arsenal London ausgeschaltet hatte, stieg hingegen ein Jahr später wieder einmal auf, spielte danach allerdings in der 1. Liga immer nur gegen den Abstieg.
Es war die Zeit für Veränderungen gekommen – nicht nur für Genk, sondern auch für die beiden Profivereine. Im Zuge des Strukturwandels und der Kohlenkrise wurde auch in Limburg eine Mine nach der anderen geschlossen, 1987 jene im Genker Ortsteil Waterschei, ein Jahr später jene in Winterslag.
Spätestens da war es klar, dass es auch im Fußball so nicht weitergehen würde. Es gelang, was in vielen anderen Städten aus Konkurrenzdünkel unmöglich ist: Es kam zu einer Bündelung der fußballerischen Kompetenz, aus Waterschei und Winterslag entstand 1988 der KRC Genk. Es sollte schlussendlich eine der erfolgreichsten Fusionen im Weltfußball werden.
Davon war man zunächst weit entfernt. Gleich in seiner ersten Saison musste der KRC Genk absteigen, stieg aber nach einem Jahr wieder auf. Zwei Faktoren führten den Klub in die Erfolgsspur: die Verpflichtung von Trainer Aimé Anthuenis 1995 und der Bau eines Stadions für mehr als 20.000 Zuschauern 1999.
Titelsammler
Unter Anthuenis wurden mit dem Cupsieg 1998 und dem Meistertitel 1999 die ersten großen Erfolge gefeiert. Es folgten bis heute sechs weitere Titel (je drei im Cup und in der Liga). KRC Genk ist mittlerweile einer der erfolgreichsten Klubs Belgiens.
Mit den Erfolgen, aber auch dank der neuen Arena, verdoppelte sich auch der Fanzuspruch – von knapp 9000 vor 20 Jahren auf mittlerweile rund 18.000. Für so eine kleine Stadt eine durchaus beachtliche Zahl.
Genk machte sich allerdings auch einen Namen als Ausbildungsverein. Belgiens Superstar Kevin De Bruyne (Manchester City) verdiente sich genauso die ersten Sporen wie Keeper Thibaut Courtois (Real Madrid), Kalidou Koulibaly (Napoli), Sergej Milinkovic-Savic (Lazio) oder Leon Bailey (Leverkusen).
Der Klub ist der Stolz einer gebeutelten Industrieregion, ein Hoffnungsschimmer in einer tristen Lage. 2014 schloss trotz heftiger Proteste ein Werk des Autoherstellers Ford mit 4300 Arbeitern. Mehr als 5000 Jobs bei Zulieferern waren ebenfalls betroffen.
Die Arbeitslosigkeit in einer Stadt, in der 54 Prozent der Einwohner Immigranten aus 85 unterschiedlichen Ländern sind, ist allgegenwärtig. Ablenkung gibt es nur immer dann, wenn der KRC ein Heimspiel hat – so wie heute Abend, wenn die Luminus Arena mit 21.500 Zuschauern voll sein wird.
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