Cassano, der plappernde Tabubrecher

Cassano, der plappernde Tabubrecher
Vor dem Kroatien-Spiel regt sich Italien über die schwulenfeindliche Aussage des Stürmers auf.

Die Italiener haben am Donnerstag ein wichtiges Spiel gegen Kroatien. Doch alles dreht sich nur um einen Spieler. "Sturm über Cassano", titelte am Mittwoch die Gazzetta dello Sport.

Nach dem Training im Stadion von Cracovia Krakau übersiedeln die Spieler über die Straße in die Casa Azzurri. Die hat der Fußballverband für VIP-Verköstigungen und Pressekonferenzen in einem ehemaligen Kulturheim eingerichtet.

Antonio Cassano saß auf dem Podium. Der 29-jährige Stürmer von AC Milan ist ein gefundenes Fressen für die Journalisten: Er gilt nicht als der Hellste, reagiert oft emotional und trägt dann sein Herz auf der Zunge.

Im Zuge der Pressekonferenz wurde Cassano gefragt, was er denn von Äußerungen des italienischen Fernsehmoderators Alessandro Cecchi Paone halte. "Ich hatte eine Beziehung zu einem der Nationalspieler. Und der hat mir gesagt, dass es noch einen Schwulen in der Mannschaft gibt", hatte der behauptet.

Cassano lachte bei der Frage, wollte vorerst nichts sagen, plapperte dann aber doch munter drauf los. "Es ist besser, wenn ich nichts sage", meinte er. Und er hätte sich an seinen Vorsatz halten sollen. Aber dann lachte er wie ein Pubertierender und meinte: "Schwule? Ich hoffe doch, dass keine in der Mannschaft sind." Die Journalisten lachten wie über einen schlechten Witz. Auch Cassano grinste.

Tabuthema

Dank des 29-Jährigen wurde eine in Italien zuvor nur am Rande geführte Diskussion um Homosexuelle in der Nationalmannschaft zum Riesenthema.

Italiens Kicker haben Frauenhelden zu sein. So wie Cassano, der in seiner vor vier Jahren erschienen Biografie behauptet, dass er mit 600 bis 700 Frauen Sex hatte. Real Madrids Ex-Boss Calderón regte sich noch nach Jahren über den trainingsfaulen Italiener auf, dass der in Madrid (von 2006 bis 2007) hauptsächlich "die Geburtenrate gesteigert und die Prostitution belebt hat". Aber Cassano denkt in Sachen Frauen nicht mehr in Hunderter-Schritten. Nach dem Erscheinen seiner Biografie lernte er die Wasserballerin Carolina Marcialis kennen. Die beiden haben geheiratet und seit etwas mehr als einem Jahr Sohn Cristopher.

Lebensgefahr

Rund ein halbes Jahr nach der Geburt hatte Cassano eine Lebenskrise: Er tat sich nach der Rückkehr von einem Spiel schwer mit dem Sprechen. In einer Operation wurde ihm ein Loch zwischen den Herzvorhöfen geschlossen. Für ihn war es ein Wunder, dass er überhaupt bei der EM dabei sein kann. "Es war beängstigend, zwischen Leben und Tod zu stehen. Ich bin Gott sehr dankbar", sagte er nach dem 1:1 gegen Spanien.

Dabei lachte er nicht. Und jetzt ist ihm das Lachen ordentlich vergangen.

Noch am Abend sah man im italienischen Verband dunkle Wolken aufziehen. Cassano entschuldigte sich: "Das tut mir aufrichtig leid. Ich wollte niemanden beleidigen. Schwulenfeindlichkeit ist mir absolut fremd", teilte er der Nachrichtenagentur ANSA mit.

Zu spät. Am Mittwoch forderten Vertreter italienischer Homosexuellen-Organisationen den EM-Ausschluss von Antonio Cassano.

Seine unbedachte Art hat Cassano schon oft Skandale eingebrockt. Vor eineinhalb Jahren stand seine Karriere vor dem Aus, weil er den Vereinspräsidenten von Sampdoria Genua auf das Übelste beschimpft hatte. Genua warf ihn daraufhin raus.

Kindheitstrauma

Cassano kommt aus Bari. Sein Vater war ein Kleinkrimineller, der sich mit Zigaretten-Schmuggel über Wasser hielt. "Die Schnelligkeit hat Antonio von mir geerbt", sagte Cassano senior einmal stolz. Der junge Antonio musste wohl schnell sein, um den Schlägen des Vaters mit der Eisenstange zu entkommen.

Cassano junior behauptete, seinen Schulabschluss geschenkt bekommen zu haben, nachdem er sechs Mal sitzen geblieben war. "Wäre ich nicht Fußballer geworden, wäre ich ein Verbrecher geworden. Ich war arm, aber ich habe nie gearbeitet, weil ich außer Fußball nichts kann", schrieb er in seiner Biografie. Bei deren Präsentation sagte er überzeugend ehrlich: "Ich bin wohl der Erste, der mehr Bücher geschrieben als gelesen hat."

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