Bei einem Elfmeterschießen hat einer immer das Bummerl. Am Mittwochabend erwischte es Marc Roca. Der Mittelfeldspieler vergab beim sensationellen Pokal-Aus der Bayern bei Zweitligist Holstein Kiel den entscheidenden Versuch. „Es macht ihm keiner einen Vorwurf. Wir stehen da zusammen und werden ihn unterstützen“, meinte sein Trainer Hansi Flick, der mit seiner Mannschaft anders als 2020 in diesem Jahr das Triple nicht gewinnen wird.
Dass die erfolgsverwöhnten Bayern in der 2. DFB-Pokal-Runde ausscheiden, ist extrem selten. Für die Münchener war es das erste so frühe Aus seit mehr als 20 Jahren (2000 in Magdeburg) und das erste gegen ein klassentieferes Team seit 17 Jahren (2004 in Aachen). Natürlich könnte man die Blamage auf das fehlende Glück schieben. Immerhin haben die Kieler erst in allerletzter Sekunde der regulären Spielzeit zum 2:2 ausgleichen können, nachdem der Pokal-Titelverteidiger über weite Strecken der 94 vorhergehenden Minuten die Partie kontrolliert hatte.
Oder auch auf einen Trikot-Fluch. Die Münchner waren nämlich in Kiel in Sondertrikots angetreten, die sich stark an einem Shirt der 1990er-Jahre orientierten. Dieses trugen die Bayern in den Saisonen 1991/‘92 und 1992/‘93 im Pokal. Das Kuriose: In beiden Jahren verabschiedete sich man in der 2. Runde aus dem Wettbewerb – so wie dieses Jahr. Doch das alleine wäre natürlich zu kurz gegriffen. Denn es war ein Ausscheiden mit Ansage. Die Bayern schwächeln nämlich seit Wochen.
Eine Saison wie die vergangene, in der die Münchner die Bundesliga, den DFB-Pokal und die Champions League gewonnen haben, lässt sich natürlich nicht toppen. Aber es gehört zum Selbstverständnis des Klubs, jeden Bewerb zu gewinnen, in dem man mitspielt. „Natürlich hatten wir uns das Ziel gesetzt, das Triple zu verteidigen, aber das können wir uns nun abschminken. Es gibt auch nicht die Ausrede, dass wir zu viele Spiele und zu wenig Pause hatten. Wir haben gezeigt, dass wir auch 120 Minuten auf Tempo gehen können“, meinte Flick.
Woran liegt es aber, dass die Bayern in dieser Saison nicht so auf Touren kommen wie noch vor einem Jahr? Ein Grund ist wohl in der Kaderpolitik zu suchen. Es ist gut fünf Wochen her, da wurde Robert Lewandowski von der FIFA als bester Fußballer und Manuel Neuer als bester Tormann der Welt ausgezeichnet, dazu wurden mit Robert Lewandoski, Alphonso Davies, Joshua Kimmich und Thiago vier Bayern-Spieler in die Weltelf gewählt. Doch Letzterer hat die Münchner im Sommer Richtung Liverpool verlassen und wurde nicht adäquat ersetzt.
Neben Schalke-Keeper Alexander Nübel und einigen Talenten wurde im Sommer zunächst nur Leroy Sane von Manchester City geholt. Der deutsche Teamspieler sollte so etwas wie der Königstransfer sein, die Mannschaft auf ein noch höheres Level heben. Doch dieser Rucksack dürfte für den 25-Jährigen ein zu schwerer sein. Sane schoss zwar in Kiel ein wunderschönes Freistoßtor. Aber die hohen Erwartungen konnte er (bisher) nicht erfüllen. Ein absolutes Upgrade zum zu Inter zurückgekehrten Leihspieler Ivan Perisic ist Sane momentan jedenfalls nicht.
Flick war mit den Transfertätigkeiten seines Arbeitsgebers auch nicht wirklich zufrieden, monierte immer wieder, dass es seinem Kader an der Breite fehle. Er meinte etwa nach dem 8:0 im ersten Bundesliga-Spiel gegen Schalke 04: „Es ist schon wichtig, dass man eine gute Kadergröße hat. Wir arbeiten daran, dass wir mehrere Optionen haben." Das versuchten die Bayern am letzten Tag der Sommer-Transferzeit Anfang Oktober. Und das ging ziemlich in die Hose.
Am Deadline Day wurde neben Roca (Espanyol) auch Douglas Costa (Juventus), Eric Maxim Choupo-Moting (PSG) und Bouna Sarr (Marseille) geholt. Diese vier Spielern entsprechen aber noch gar nicht den Ansprüchen der Münchner, sind maximal Kaderergänzungen, aber kein qualitativ gleichwertiger Ersatz, wenn einer aus der doch verletzungsanfälligen ersten Elf eine Pause im dichten Programm benötigen würde. Sie spielen auch dementsprechend selten. In Kiel stand nur Sarr in der Startelf.
Die größte Schwachstelle der Bayern bleibt aber die Defensive. Für ein absolutes Spitzenteam bekommen die Münchner einfach zu viele Tore – und das trotz der unbestreitbaren Extraklasse von Keeper Neuer. "Wir haben momentan keine intensiven Trainingseinheiten, in denen wir das einstudieren können“, meint Flick. In Kiel waren es wieder zwei Gegentore. Besonders das 1:1 zeigte die Probleme auf. Der Kieler Routinier Fin Bartels konnte alleine auf das Tor laufen. Ähnliche Tore hatten die Münchner zuletzt einige bekommen.
Die Münchner verteidigen extrem hoch. Damit war man vergangene Saison extrem erfolgreich. Doch momentan klappt das nicht, auch weil die Gegner dies mittlerweile ausnützen. Und das auch zugelassen wird. Gerade auch in der Abwehr zeigen sich Personalprobleme. David Alaba, jahrelang als Linksverteidiger absolute Weltklasse, spielt ja mittlerweile im Zentrum der Viererkette. Das klappte in den ersten Monaten blendend. Mittlerweile schaut auch der Österreicher nicht immer gut aus.
Aber auch seine Abwehrpartner haben so ihre Probleme. Jerome Boateng sollte schon mehrmals dem Verein verlassen, ist aber noch immer da. Der Schnellste ist der Weltmeister von 2014 nicht mehr. Niklas Süle ist nach seinem zweiten Kreuzbandriss noch immer nicht dort, wo er schon einmal war. Und die beiden französischen Weltmeister Lucas Hernandez und Benjamin Pavard, die 2019 um viel Geld (zusammen 115 Millionen Euro Ablöse) und mit großen Vorschusslorbeeren geholt wurde, sind auch noch keine Felsen in der Brandung.
Am Personal wird sich bei den Bayern in naher Zukunft aber eher nichts ändern. Für die Wintertransferzeit sind jedenfalls keine Neuzugänge geplant. Es ist natürlich auch schwierig, Spieler zu finden, die eine so starke Mannschaft wie jene der Münchner sofort verstärken. Das hat ja die Sommertransferzeit bewiesen. Die Ziele bleiben aber genauso so hoch wie das Programm dicht. Neben der Bundesliga und der Champions League wartet auf die Bayern ja auch noch die Klub-WM, die man natürlich auch gewinnen will. Da ist es vielleicht gar nicht so schlecht, dass nun das eine oder andere Pokalspiel wegfällt. Das ist aber wohl einzige „positive“ Aspekt der Blamage von Kiel.
Kommentare