Southgates Psychotests gegen Englands Angst vor dem Elfer

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Englands Nationalcoach tritt dem Trauma mit der Wissenschaft entgegen.

Psychotests, regelmäßiges Training und fest geregelte Abläufe: Englands Nationaltrainer Gareth Southgate will beweisen, dass Elfmeterschießen kein Glück ist. Ausgerechnet er, sagen viele. Southgate sieht es jedoch anders. Er will aus der schlimmsten Erfahrung seiner Karriere eine Stärke entwickelt haben, die bei der WM in Russland im Extremfall greifen soll.

"Penalties" - schon alleine das Wort treibt englischen Fans Angst und Wut in die Glieder. Sieben Mal ist die Entscheidung über das Weiterkommen in K.o.-Spielen der "Three Lions" bei einer WM oder EM im Elfmeterschießen gefallen - sechs Mal verlor England. Zuletzt fünf Mal in Folge. Kein anderes Team hat eine schlechtere Bilanz. Es ist kein Problem ausschließlich des A-Teams der Männer: Zählt man das A-Team der Frauen und die U21 bei den großen Turnieren hinzu, steht Englands Bilanz bei 2:12.

Persönliches Trauma

Southgate hat sich von all den legendären Fehlschüssen wohl den fatalsten geleistet. Bei der EM 1996 gegen Deutschland vergab der damalige Aston-Villa-Verteidiger nicht nur den entscheidenden Elfmeter. Er verschoss im Halbfinale des Heimturniers als einziger. Greifbarer als damals schien ein Turniersieg für England seit dem WM-Triumph 1966 niemals davor und erst recht nie danach.

Sein persönliches Trauma hat Southgate längst überwunden. "Ich hatte ja ein paar Jahrzehnte Zeit dazu", sagte der 47-Jährige mit einem breiten Schmunzeln. Er will sich nun diese Erfahrung zunutze machen. "Elfmeterschießen ist definitiv kein Glück. Und es hat auch nichts mit Zufall zu tun", meinte er nun.

Englands Fußball-Verband geht das Reizthema wissenschaftlich an. "Es gibt mehrere Parameter, die das beeinflussen, durch die man die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs deutlich steigern kann", erklärte Southgate. Aus diesem Grund trainieren die Spieler der "Three Lions" seit März nach jeder Einheit Elfmeter. Und sie haben sich alle psychologischen Tests unterziehen müssen. So sollte zum einen herausgefunden werden, wer der Situation am ehesten gewachsen zu sein scheint und den Spielern umgekehrt ein Gefühl der Sicherheit gegeben werden.

Beim Halbfinale 1996 gegen den späteren Europameister Deutschland habe Coach Terry Venables auf dem Feld spontan gefragt, wer schießen wolle, berichtete Southgate. Er habe sich gemeldet, weil er dachte, Verantwortung übernehmen zu müssen. "Heute weiß ich: Es ist vielleicht mutiger zuzugeben, dass man sich nicht sicher fühlt."

"Es darf keine Nervosität herrschen"

Über den heutigen Kader existiert eine ausführliche Liste, wer in der bestmöglich simulierten Situation im Training am häufigsten getroffen hat. "Sie haben eine gewisse Routine und Sicherheit entwickelt", sagte Southgate. Und vor allem glaubt er, die Routine jedes Spielers zur Vorbereitung zu kennen. "Der eine will nicht gestört werden, der andere braucht Hilfe und Ermutigung." Auch das ist alles festgehalten. Und zu guter Letzt ist auch das Verhalten aller Nicht-Schützen klar geregelt.

"Um die Spieler herum muss es ruhig sein, es darf keine Nervosität herrschen", erklärte Englands Manager. "Es dürfen nur bestimmte Menschen auf dem Spielfeld sein. Die Spieler sollen nicht so viele Stimmen im Ohr haben." Was er damit schon erreicht hat: Der natürliche englische Pessimismus ist Selbstsicherheit gewichen. Auf die Frage, ob er schießen wolle, antwortete WM-Debütant Dele Alli: "Natürlich. Wir sind gut vorbereitet. Jeder würde gerne schießen." Ob das reicht, den Fluch zu beenden, wird sich zeigen. Womöglich schon im Achtelfinale am Dienstag (20.00 Uhr MESZ, KURIER.at-Liveticker) gegen Kolumbien.

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