Deutschland, vier Jahre danach: Der Weltmeister im Vergleich

Ist der Titelverteidiger stärker oder schwächer als 2014? Eine Gegenüberstellung vor dem Auftakt gegen Mexiko.

von Stefan Hermanns

Viele Experten schätzen den aktuellen Kader der Deutschen noch stärker ein als das Weltmeisteraufgebot von 2014. Ein Vergleich.

Neuer vs. Neuer
Kann man die Rolle als Torhüter überhaupt besser ausfüllen, als es Manuel Neuer 2014 in den K.-o.-Spielen getan hat? Im Achtelfinale gegen Algerien klärte er so oft so weit vor seinem Sechzehner, dass Oliver Kahn, der Linientorhüter alter Schule, als Experte im ZDF der Ohnmacht nahe war. Diesmal kommt Neuer nach mehr als achtmonatiger Verletzungspause auf 135 Spielminuten. Dass der 32-Jährige trotz allem ein sehr guter Torhüter sein wird, daran zweifelt im deutschen Team niemand. Aber vor vier Jahren in Brasilien war Manuel Neuer nicht sehr gut – er war herausragend.

Kimmich vs. Lahm
Philipp Lahm zu beerben, ist nicht so einfach“, sagt Toni Kroos. Dass die Erbfolge so geräuschlos vonstattengegangen ist, erzählt einiges über Lahms Nachfolger Joshua Kimmich und dessen Qualität. „Er ist prädestiniert dafür, ein Führungsspieler zu sein“, findet Kroos. „Ich versuche nicht, ihn zu kopieren“, sagt Kimmich. Der Thronfolger ist offensiv einen Hauch gefährlicher als Lahm es war. Dafür verfügte der Kapitän des Weltmeisterteams über noch mehr Spielintelligenz und mehr Qualität in der Defensive.

Boateng vs. Boateng
Für Jérôme Boateng 2014 gilt das Gleiche wie für Manuel Neuer 2014: Besser als Boateng im Finale gegen Argentinien kann man als Innenverteidiger nicht spielen. Allerdings gilt für Boateng 2018 ebenfalls das Gleiche wie für Neuer 2018: Er startet mit einem eklatanten Mangel an Spielpraxis in die WM. Zudem reiht Boateng, der im September 30 wird, seit der EM 2016 Verletzung an Verletzung. Die Frage, wie sehr er seinem eigenen Körper überhaupt noch vertraut, wird entscheidend dafür sein, wie viel Halt er der Nationalmannschaft geben kann.

Hummels vs. Hummels
Mats Hummels ist dieser Tage gefragt worden, ob diese WM sein letztes großes Turnier sein könnte. Ende des Jahres wird er 30. Dass sich der Innenverteidiger der Bayern mit solchen Fragen konfrontiert sieht, könnte allerdings auch daran liegen, dass er zuletzt nicht den allerfrischesten Eindruck hinterlassen und sogar selbst gesagt hat, dass er „in einem kleinen körperlichen Loch“ gesteckt habe. Sein Laufduell mit dem Frankfurter Ante Rebic im Cup-Finale hat das Land in eine Art Schockzustand versetzt. Dieses Duell hätte er wohl auch vor vier Jahren mit deutlichem Abstand verloren. Sein Spiel ist aber darauf angelegt, solche Situationen zu vermeiden. „Ich versuche, den Überblick zu bewahren“, sagt der 29-Jährige. Vielleicht ist der Überblick sogar ein bisschen besser geworden, auch die Sicherheit im Spiel nach vorne.

Hector vs. Höwedes
Benedikt Höwedes war neben Kapitän Lahm der einzige Feldspieler der Deutschen, der 2014 in Brasilien in jeder Minute auf dem Platz gestanden ist. Nicht schlecht für einen rechtsfüßigen Innenverteidiger, der auf der ungewohnten Position als linker Außenverteidiger auflaufen musste. Mit Hauptaugenmerk auf die Defensive. Jonas Hector, ein Lieblingsschüler Löws, hat die gesamte Breite im Programm, also auch Vorstöße in den gegnerischen Strafraum. Allerdings wirkte der Kölner, der in der vergangenen Saison monatelang verletzt war, in den Vorbereitungsspielen nicht ganz so sicher wie gewohnt.

Khedira vs. Khedira
Kaum jemand hat sich in den vergangenen vier Jahren so sehr verändert wie Sami Khedira. 2014 trug er die Haare schulterlang, inzwischen hat sich der Mittelfeldspieler für eine pflegeleichte Kurzhaarfrisur entschieden. Vor vier Jahren schaffte es Khedira erst auf den letzten Drücker in den WM-Kader, nachdem er sich im November des Vorjahres das Kreuzband gerissen hatte. Am Ende gewann er nicht nur mit Real Madrid den Titel in der Champions League, sondern auch mit der Nationalmannschaft den WM-Pokal. Khedira hat zugegeben, dass er damals vor allem mit sich selbst beschäftigt war. Das ist jetzt anders. „Seit über zwei Jahren spiele ich ohne Verletzung durch“, sagt er. „Deswegen fühle ich mich gut. Ich kann den Rundumblick haben, und ich kann Mitspieler führen.“

Kroos vs. Kroos
Die offizielle Bestätigung kam vier Tage nach dem WM-Finale: Toni Kroos wechselt für 30 Millionen Euro von Bayern München zu Real Madrid. Dabei ist Kroos bei der WM 2014 sogar noch ein bisschen unter dem Radar der großen Öffentlichkeit hinweggeflogen. Inzwischen ist der 28-Jährige die allseits anerkannte Autorität in der Nationalmannschaft. Kroos ist das Metronom im Mittelfeld, das dem deutschen Spiel mit seinen Pässen Struktur verleiht.

Müller vs. Müller
Was den Galliern in Asterix und Obelix der geheime Zaubertrank ist, das ist für Thomas Müller die Weltmeisterschaft: Sie verleiht ihm ungeahnte Kräfte. 2010 wurde Müller bei seinem WM-Debüt mit fünf Treffern Torschützenkönig, 2014 traf er erneut fünf Mal. Wer will also ausschließen, dass Müller in Russland wieder über sich hinauswächst? Seine Saison mit den Bayern war im Vergleich zu den Jahren zuvor überdurchschnittlich gut. In wettbewerbsübergreifend 44 Einsätzen kam Müller auf 15 Tore und 18 Vorlagen. Die Saison war allerdings nicht annähernd so gut wie jene vor der WM in Brasilien, als er in 48 Einsätzen 26 Tore erzielte und 15 vorbereitete.

Özil vs. Özil
In Russland wird Mesut Özil wohl zentral hinter dem einzigen Stürmer auflaufen; in Brasilien gab es diese Position im 4-3-3-System nicht. Özil musste deshalb auf die linke Seite ausweichen, in eine Rolle, die ihm sichtlich wenig behagte. Özil hat in den vergangenen vier Jahren einen Sprung gemacht, er wirkt insgesamt selbstsicherer. Bliebe noch die Frage, wie er den Wirbel um seine Person in der Trikotaffäre wegsteckt.

Reus vs. Schweinsteiger
Der Dortmunder hat die beiden letzten Turniere verpasst. Ihn erwarten daher viele bei seiner ersten WM als besonders motiviert – wenn der Körper des inzwischen 29-Jährigen mitspielt. Das galt vor vier Jahren auch für Bastian Schweinsteiger, der natürlich auf einer anderen Position spielte. Im Finale gegen Argentinien entpuppte sich der Münchner tatsächlich als entscheidender Faktor; dass das Spiel mit einem Foul gegen ihn endete, war fast sinnbildlich für Schweinsteigers Leiden. Richtig fit war er zu Turnierbeginn noch nicht. Das unterscheidet ihn von Marco Reus, der, so scheint es, vom ersten Moment an wichtig werden kann.

Werner vs. Klose
In Brasilien ist Miroslav Klose mit seinem 16. Turniertor zum erfolgreichsten Torschützen der WM-Geschichte aufgestiegen. Dieser Rekord überlagert ein wenig die Erinnerung daran, dass Klose mit 36 Jahren schon ein gesetzter Herr war, der sich auch einmal seine Pausen gönnte. Zwei Tore gelangen ihm 2014, das zweite beim 7:1 gegen Brasilien, weil Toni Kroos für den Rekord seinen Fuß wegzog. Timo Werner hingegen steht mit 22 Jahren am Anfang seiner Karriere. Er ist im Abschluss zwar manchmal noch zu fahrig, dafür unglaublich schnell und schwer zu stoppen. In diesen Tagen hat Joshua Kimmich den Leipziger daran erinnert, dass sie gemeinsam noch an keinem Turnier teilgenommen haben, bei dem Werner nicht Torschützenkönig geworden sei.

Stefan Hermanns ist Redakteur beim Berliner „Tagesspiegel“.

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