Formel-1-Überraschung in Ungarn: Premierensieg für Esteban Ocon

Formel-1-Überraschung in Ungarn: Premierensieg für Esteban Ocon
Sebastian Vettel disqualifiziert, Lewis Hamilton holt sich in einem verrückten Rennen mit Massencrash die WM-Führung zurück.

In einem verrückten PS-Thriller in der Puszta mit Massencrash, Regen und Reifenpoker hat Sebastian Vettel den ersten Sieg seit fast zwei Jahren zunächst nur knapp verpasst und wurde später sogar disqualifiziert. Lewis Hamilton eroberte hingegen trotz Taktikpanne dank einer wilden Aufholjagd die WM-Führung zurück. Vettel musste sich in einem mitreißenden Großen Preis von Ungarn am Sonntag zunächst nur dem 24 Jahre alten französischen Sensationssieger Esteban Ocon im Alpine geschlagen geben: Der 34-Jährige kam 1,8 Sekunden hinter Ocon über die Ziellinie. Problem: In seinem Tank waren am Ende nur noch 0,3 Liter und nicht wie vorgeschrieben ein Liter. Was Stunden nach dem Rennende zur Disqualifikation führte. Damit erbte Hamilton sogar noch Platz zwei und Carlos Sainz jr. den dritten Rang.

Siebenfach-Weltmeister Hamilton, der zum 101. Mal von der Pole gestartet war, war zwischenzeitlich auf dem letzten Platz gelegen, auf seinen 100. Grand-Prix-Sieg muss er nun weiter warten. Für die Eroberung der WM-Führung reichte es aber für den Briten mit nun acht Punkten Vorsprung, denn Rivale Max Verstappen gehörte zu den Betroffenen des Auftaktcrashs, ausgelöst durch Hamiltons Teamkollegen Valtteri Bottas. Mit einem beschädigten Red Bull schleppte sich der Niederländer als Neunter ins Ziel.

Formel-1-Überraschung in Ungarn: Premierensieg für Esteban Ocon

Fingerzeig: Esteban Ocon behielt den Durchblick

Regen- und Reifenpoker

Die ersten bangen Blicke gingen nicht Richtung Kurve eins unmittelbar vor dem Start, sondern in den Himmel. Am Vormittag hatte es teilweise schon heftige Gewitterschauer über Budapest gegeben, und auch für die Anfangsphase des Rennens war Niederschlag vorhergesagt. Fügung für Verstappen? Die Tatsache, dass er und auch Teamkollege Sergio Pérez eigentlich mit den weichsten Reifen hätten starten müssen, hieß auch: voller Attackemodus, vorbei an Hamilton nach dessen 101. Pole und dem Qualifikationszweiten Bottas, schnell einen Vorsprung rausfahren und die haltbareren Reifen aufziehen.

Dann kam er aber, der Regen. Die mehreren zehntausend Zuschauer zogen sich auf den Tribünen teilweise Capes über, auf dem sogenannten Grid herrschte Hektik. Die womöglich vorentscheidende Frage: Welche Reifen? Regen oder das Mischgummi für feuchte, aber nicht nassen Asphalt? Fast alle wählten die zweite Variante, die sogenannten Intermediates mit der grünen Markierung.

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Das wird teuer: Valtteri Bottas' Mercedes

Kleinlauter Finne

Von einem Massencrash mit viel Blech-, aber glücklicherweise ohne Personenschaden hielt sie das nicht ab. Und Auslöser war wieder ein Mercedes. Diesmal krachte Bottas nach einem Schneckenstart ins Heck von Lando Norris, der mit seinem McLaren am Finne vorbeigezogen war. „Ich hätte früher bremsen sollen, es war mein Fehler“, sagte Bottas, der sich bei seinen Rivalen auch entschuldigte.

Denn was er auslöste, war Formel-1-Domino. Vorne entkam Hamilton dem skurril anmutenden Unfallgeschehen noch, dahinter krachte Norris in den Wagen von Verstappen, Bottas rutschte auch noch in den Red Bull von Pérez, etwas weiter dahinter kollidierte Lance Stroll im Aston Martin mit dem Ferrari von Charles Leclerc.

Kurve eins auf dem 4,381 Kilometer langen Kurs bei Budapest glich einem Trümmerfeld - abgestellte Rennwagen und deprimierte Piloten. Bottas, Pérez, Leclerc und Stroll konnten nicht mehr weitermachen. Das Safety-Car musste raus, das Rennen wurde unterbrochen und vor allem die Red-Bull-Mechaniker versuchten, teilweise sogar mit Klebeband die erheblichen Schäden Wagen von Verstappen zu reparieren. Eine Viertelstunde hatten sie Zeit, dann ging es wieder in die Formationsrunde und in die Startaufstellung entsprechend der Reihenfolge der Unterbrechung.

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Mehr Arbeit als befürchtet: Max Verstappen und die Red-Bull-Techniker

Und wieder ein Hoppala

Mittlerweile war die Strecke abgetrocknet und fast alle kamen in die Box, um auf Trockenreifen zu wechseln. Nur einer nicht: Hamilton. Allein stand er dort mit seinen Mischreifen und fuhr los. Der Rest folgte aus der Boxengasse. Warum nicht auch Mercedes die Reifen direkt gewechselt hatte, schien Hamilton verantwortet zu haben. Er kam nach einer Runde rein und als Letzter raus. „Sorry, Leute“, funkte Hamilton an die Box.

Knapp 20 Sekunden trennten ihn von Platz eins, auf dem nun Ocon fuhr, Vettel lag dahinter, auf drei war zunächst Nicholas Latifi im Williams. Mick Schumacher fuhr vorerst in den Punkterängen auf Platz zehn - vor Verstappen, der zunächst größte Mühe hatte vorbeizukommen.

Beim nächsten Reifenwechsel lagen Hamilton und Mercedes dann goldrichtig und machten allein in der Box zwei Plätze gut. Und der 36-jährige Brite, der schon achtmal in Ungarn gewann, blieb in Angriffslaune, die WM-Führung kam mit jedem erfolgreichen Überholmanöver näher, während Verstappen mehr mit seinem demolierten Red Bull als mit der Konkurrenz zu kämpfen hatte.

Vom Führungstrio kam Vettel als erster zum nächsten Reifenwechsel rein, sein Stopp dauerte aber eine Sekunde länger als der von Ocon eine Runde später. Auch Hamilton kam noch mal rein und ging aufs Ganze. „Lewis, du kannst das gewinnen“, schaltete sich Teamchef Toto Wolff sogar in den Boxenfunk ein. Bei Alonso war aber erstmal Schluss, die früheren Teamkollegen bei McLaren (2008) lieferten sich einen knüppelharten Zweikampf, ehe Hamilton vier Runden vor Rennende vorbeikam. Weiter ging es auch für ihn nicht, während ganz vorn Ocon in unbändigen Jubel ausbrach. Und Max Verstappen? Der zog ernüchtert folgende Bilanz: „Die letzten zwei Rennen waren total scheiße.“

Wirbel um Vettel

Sebastian Vettel musste am Sonntagabend zunächst noch um seinen zweiten Platz beim Großen Preis von Ungarn fürchten, bis er ihn kurz nach 22 Uhr verlor. Schon zuvor war der Deutsche verwarnt worden, weil er unmittelbar vor dem Rennen bei der ungarischen Hymne ein T-Shirt in Regenbogenfarben mit der Aufschrift „Same Love“ getragen hatte. Zusammen mit zwei weiteren Verwarnungen für Fehlverhalten auf der Strecke kann das auch zu einer Startplatzstrafe führen

Rennleiter Michael Masi erklärte am Abend im Fahrerlager, dass den Piloten die Möglichkeit gegeben sei, vor dem Start die Unterstützung für die offizielle Formel-1-Kampagne „We race as one“ zu zeigen. Die Hymne des Gastgeberlandes solle aber respektiert werden, indem die Fahrer ihre Rennanzüge tragen, betonte Masi. „Das war schon bei einer Reihe von Events so. Und es ist nun das erste Mal, dass es passiert ist. Sebastian war auch nicht der Einzige.“

Es sei ein kleines Zeichen der Unterstützung, betonte Vettel, der mit einer Geldstrafe gerechnet hatte. Der Deutsche hatte wie auch Weltmeister Lewis Hamilton bereits Tage zuvor deutlich zu einem geplanten Referendum gegen Rechte nicht-heterosexueller Menschen (LGBT) in Ungarn Stellung bezogen. „Es ist beschämend für das Land“, hatte Vettel am Donnerstag bei einer Pressekonferenz gesagt. Er könne nicht verstehen, warum die ungarische Regierung so damit kämpfe, dass die Menschen einfach frei leben könnten, wie sie wollten.

Nach diesem turbulenten Sonntag fährt die Formel 1 in die vierwöchige Sommerpause. Weiter geht's mit dem zwölften von 23 geplanten Saisonrennen am 29. August im belgischen Spa-Francorchamps.

Endstand nach 70 Runden à 4,381 km/306,630 km:
  1. Esteban Ocon (FRA) Alpine 2:04:43,199 Std.
  2. Lewis Hamilton (GBR) Mercedes +2,736
  3. Carlos Sainz Jr. (ESP) Ferrari +15,018
  4. Fernando Alonso (ESP) Alpine +15,651
  5. Pierre Gasly (FRA) Alpha Tauri +1:03,614 Min.
  6. Yuki Tsunoda (JPN) Alpha Tauri +1:15,803
  7. Nicholas Latifi (CAN) Williams +1:17,910
  8. George Russell (GBR) Williams +1:19,094
  9. Max Verstappen (NED) Red Bull +1:20,244
10. Kimi Räikkönen (FIN) Alfa Romeo + 1 Rd.
11. Daniel Ricciardo (AUS) McLaren + 1 Rd.
12. Mick Schumacher (GER) Haas + 1 Rd.
13. Antonio Giovinazzi (ITA) Alfa Romeo + 1 Rd.

Disqualifiziert: Sebastian Vettel (GER) Aston Martin
Ausfälle: Charles Leclerc (MON) Ferrari, Lance Stroll (CAN) Aston Martin, Sergio Pérez (MEX) Red Bull, Valtteri Bottas (FIN) Mercedes (alle 1. Rd.), Lando Norris (GBR) McLaren (3. Rd.), Nikita Masepin (RUS) Haas (4. Rd.).
Schnellste Rennrunde: Pierre Gasly 1:18,394 Min.
Fahrer-Wertung (11/23): 1. Hamilton 195, 2. Verstappen 187, 3. Norris 113, 4. Bottas 108, 5. Pérez 104, 6. Sainz Jr. 83, 7. Leclerc 80, 8.  Gasly 50, 9. Ricciardo 50.
Konstrukteure: 1. Mercedes 303, 2. Red Bull 291, 3. Ferrari 163, 4. McLaren 163, 5. Alpine 77

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