Es lebe der Ski, oder: Ein Blick in die österreichische Volksseele

Das Hochamt des alpinen Skilaufs in Österreich: Olympiasieger Matthias Mayer 2020 in Kitzbühel
Die Fahrt von Nina Ortlieb zu WM-Silber hatten am Samstag 676.000 Österreicher im TV verfolgt, einmal mehr lag der Marktanteil bei einer Ski-Übertragung im ORF bei über 60 Prozent. Auch wenn der Winter bis zur WM für das ÖSV-Ski-Team nicht nach Wunsch verlaufen war – der Skisport bleibt für die Österreicher eine der wichtigsten Nebensachen der Welt.
Diese Hingabe für einen Sport ist beileibe kein österreichisches Phänomen. In Deutschland dreht sich seit einigen Tagen alles nur um ein Thema. Seit einem Interview von Tormann Manuel Neuer in der Süddeutschen Zeitung gehen die Wogen hoch. „Man hat das Gefühl, es wird daraus eine Staatskrise“, erklärt Johannes Knuth, der für die SZ von der Ski-WM berichtet. „Im Grunde machen wir in Deutschland dasselbe mit dem Fußball. In Österreich wird eben Skifahren wie eine nationale Angelegenheit behandelt.“

Höhen und Tiefen: Daniel Hemetsberger und Vincent Kriechmayr bei der WM-Abfahrt in Courchevel
„Eine Schippe heftiger“
Das wird im Erfolg wie im Misserfolg gleichermaßen deutlich, wenn es ÖSV-Sportler oder deren Trainer bis in die Hauptnachrichten schaffen. Oder wenn nach dem spontanen Rücktritt von Matthias Mayer schnell eine Sondersendung ins TV-Programm geschoben wird.
Es sei für ihn in diesem Winter sehr spannend zu beobachten gewesen, wie in Österreich mit den schlechten Ergebnissen umgegangen worden sei, meint Philipp Bärtsch von der Neuen Zürcher Zeitung. „Wenn ich die Ski-Krise in Österreich mit der Krise vor zehn Jahren in der Schweiz vergleiche, dann gehen in Österreich die Wogen schon noch einmal eine Stufe höher. Das ist eine Schippe heftiger als in der Schweiz, wenn dieses Selbstverständnis als Skination erschüttert wird.“

Der Abgang eines Doppelweltmeisters: Vincent Kriechmayr blieb in Frankreich medaillenlos
Die leidige Fallhöhe
Das hängt vor allem auch mit den Erfolgen des ÖSV-Skiteams in den vergangenen 25 Jahren zusammen. Von Maier bis Hirscher, von Götschl bis Veith – Ski-Österreich konnte sich der Triumphe und Nationalhelden gar nicht erwehren. „Die Fallhöhe ist extrem hoch, deshalb jammert Österreich auch auf einem höheren Niveau als die Schweiz. Und dann wird der Neunfachsieg am Patscherkofel hervorgekramt“, sagt Journalist Bärtsch.
Der deutsche Kollege Johannes Knuth zeigt sich derweil immer wieder fasziniert vom österreichischen Weg, mit Erfolg und Misserfolg umzugehen. „In Deutschland werden Siege und Niederlagen immer sehr ernst und bedeutungsschwer behandelt. Da habe ich schon den Eindruck, das in Österreich alles mit einer gewissen Lässigkeit und Schmäh gesehen wird.“

Handörgeli statt Steirische Harmonika: Cornelia Hütter feierte im House of Switzerland
Geschätzte Kollegen
Rivalität? Welche Rivalität?
Das trifft auch auf die traditionelle Rivalität zwischen den beiden großen Skinationen Schweiz und Österreich zu. Das große Konkurrenzdenken ist längst Schnee von vorgestern, bei dieser WM feierte etwa Cornelia Hütter ihre Super-G-Medaille im Haus von Swiss Ski, die Drähte zwischen den Generalsekretären der beiden Verbände glühen. „Es gibt nicht mehr viele Leute, die diese Rivalität richtig bierernst nehmen. Man spielt und kokettiert eher damit“, meint Bärtsch. „Auch wenn der Skisport in Österreich noch einen Tick wichtiger genommen wird als bei uns in der Schweiz.“
Das Verhältnis zum Skisport würde Einblick in die österreichische Mentalität geben, ist SZ-Mann Knuth überzeugt. Das werde bei Niederlagen deutlich. „In gewisser Weise zelebriert man in Österreich auch das Nicht-Erfolgreichsein. Diese wurschtigere Weise finde ich amüsant, weil es einiges über die Volksseele erzählt.“
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