Eisel: "Olympia zahlt Rechnungen nicht"
Das Training auf der olympischen Radstrecke hat etwas länger gedauert. Jetzt legt Bernhard Eisel seine Beine hoch, entspannt sitzt der 31-jährige Steirer auf dem Balkon seines Appartements im olympischen Dorf in der Sonne und lässt die Gedanken schweifen.
Am Samstag (11 Uhr MESZ) beginnt für Eisel die Tortur nach der Tour, der 250 Kilometer lange Kampf um eine olympische Medaille im Straßenradrennen. Die Briten fiebern dem Rennen entgegen, Favorit auf Gold am ersten echten Wettkampftag ist Eisels Sky-Teamkollege, der Lokalmatador Mark Cavendish.
KURIER: Sie kommen gerade von einer Trainingsfahrt vom Rennkurs. Liegt Ihnen die Strecke?
Bernhard Eisel: Absolut, die kommt mir entgegen. Und die Zuschauerzahl wird unglaublich sein. Mit dem Box Hill gibt es nur einen Anstieg, und auch der ist nicht so schwer. Ich kann nur hoffen, dass es windstill ist, denn dann kann man ein Rennen besser kontrollieren, in dem nur 140 Fahrer am Start sind.
Aber das österreichische Team besteht nur aus Ihnen und aus Daniel Schorn. Wie können zwei Fahrer ein Rennen kontrollieren?
Wir sind zu zweit nur Statisten. Ich werde versuchen, mich bei den Briten anzuhängen oder bei den Schweizern. Aber das versuchen andere auch.
Wie könnte das perfekte Rennen für Sie am Samstag aussehen?
Daniel und ich werden sicher nicht versuchen, früh in eine Fluchtgruppe zu gehen. Denn da fährt man nur für das Fernsehen und sicher nicht für eine Medaille. In den letzten drei Runden wird so richtig das Feuerwerk abgehen. Vielleicht löst sich eine größere Gruppe, wo ich vorne mitsprinten kann.
Die Tour de France ist für Sie fast perfekt gelaufen. Ihr britischer Sky-Teamkollege Bradley Wiggins gewann die Gesamtwertung, Landsmann Mark Cavendish holte drei Etappensiege. Aber war es in Hinblick auf Olympia gut, die Tour zu Ende zu fahren?
Wenn ich meinen Gehaltszettel sehe, war es sicherlich gut. Olympia zahlt ja nicht meine laufenden Rechnungen. Es ist eine Tatsache: Der Radsport ist die Tour de France. Das steht ganz oben, danach kommt lange nichts. Fast jeder kennt die Tour-Sieger der vergangenen Jahre. Aber wer kennt schon die Olympiasieger? Außerdem bin ich mir sicher, dass auch der neue Olympiasieger die Tour zu Ende gefahren ist. Man ist nach so einer langen Rundfahrt vielleicht nicht ausgeruht, aber man bringt viel Druck auf das Pedal.
Mark Cavendish ist die große Gold-Hoffnung der Briten, dem Radsport wird viel Aufmerksamkeit geschenkt. Wie erklären Sie sich den Radsport-Boom auf der Insel?
England war nie eine Radsport-Nation. Aber seit Sydney 2000 haben sie einfach viel richtig gemacht. Besonders auf der Bahn – Wiggins, Cavendish, ... sie alle kommen von der Bahn.
Wenn Sie wählen könnten: Hätten Sie lieber einen Etappensieg bei der Tour de France oder eine olympische Medaille?
Ich würde das ungefähr gleichsetzen. Bei den Radsportlern ist der Stellenwert einer Tour-de-France-Etappe höher. Aber eine Olympia-Medaille ist ein nationales Anliegen.
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