Systematisches Doping, Korruption, angekündigte Dopingtests. Und jetzt auch noch das: Mit Maria Scharapowa wurde die schillerndste Sportlerin des Landes als Betrügerin überführt. Der 28-Jährigen droht eine Sperre von zwei Jahren. Was in der stolzen Sportnation Russland vorgeht:
Was ist geschehen?
Maria Scharapowa hat nach eigenen Angaben seit 2006 das Herzmittel Meldonium genommen. Sie sei oft krank gewesen, es habe Anzeichen von Diabetes gegeben, die EKG-Ergebnisse seien unregelmäßig gewesen. Seit 1. Jänner 2016 steht das Mittel auf der Dopingliste. Scharapowa wurde eine Urinprobe am 26. Jänner zum Verhängnis. "Ich habe nicht auf die Liste geschaut", sagt sie.
Ist das glaubwürdig?
Zum Teil. Vermutlich hat das Umfeld der bestverdienenden Sportlerin der Welt (2015 nahm sie 27 Millionen Euro ein) versagt und vergessen, sie vor den neuen Doping-Regularien zu warnen. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass sie das Mittel ein Jahrzehnt lang aus gesundheitlichen Gründen genommen hat. Meldonium werden wahre Wunderdinge nachgesagt. Die Durchblutung soll ebenso gesteigert werden wie die physische und psychische Belastungsfähigkeit. Das Medikament wird in Lettland unter dem Namen Mildronat vertrieben und vor allem in den baltischen Staaten und in Russland verkauft. In Österreich, Deutschland und in den USA (wo Scharapowa lebt) ist es nicht zugelassen. Scharapowa ließ sich Mildronat aus Russland schicken. Dennoch ist sie kein klassisches Produkt des Dopingsystems ihres Heimatlandes: Sie verließ Russland als Kind, in ihrem Team arbeiten keine Russen.
Wer ist noch betroffen?
Meldonium wurde vor allem in Russland zur Standard-Medizin für Sportler. Allein bei den Europaspielen in Baku im Juni 2015 wurde bei 490 Aktiven das (damals noch legale) Mittel nachgewiesen. Auf Meldonium positiv getestet wurden in den vergangenen Wochen russische Eiskunstläufer, Volleyballer, Eisschnellläufer, Shorttracker, Radsportler Gewichtheber und Rugbyspieler. Offiziell gibt es bisher zehn russische Meldonium-Fälle, weltweit wurden seit 1. Jänner bereits mehr als 60 Sportler überführt.
Wird das Medikament nach diesem Skandal vom Markt genommen?
Im Gegenteil. Die russische Webseite RUPharma verkaufte nach dem Geständnis von Scharapowa innerhalb von 24 Stunden 150 Packungen Mildronat – im Vergleich zu 850 im gesamten Vorjahr. Der Preis sei verdoppelt worden, sagte ein Sprecher der Firma: "Wir nennen Mildronat schon scherzhaft Scharaponat." Derzeit ist das Mittel ausverkauft und kann um 35 Euro nur vorbestellt werden.
Hat Doping in Russland immer noch System?
Das ist zu befürchten. Im November prangerte die Welt-Anti-Doping-AgenturWADA ein gigantisches Doping- und Korruptionssystem in der russischen Leichtathletik an. Der Verband wurde suspendiert. Doch die Kultur des Betrugs und des Dopings scheint ungebrochen. Noch immer arbeiten im Hintergrund Trainer, die in massive Dopingvergehen involviert waren und eigentlich suspendiert wurden, wie eine WDR-Reportage zeigte. In der russischen Anti-Dopingbehörde RUSADA sind noch immer die gleichen Mitarbeiter beschäftigt. Die aktuelle Chefin soll einst Athleten den Zeitpunkt der Kontrollen verraten haben. Zwei (Ex-) Mitarbeiter der RUSADA können dazu nicht mehr befragt werden: Sie verstarben innerhalb von zwei Wochen unerwartet. Einer davon soll an einem Enthüllungsbuch über Doping gearbeitet haben.
Werden die russischen Leichtathleten bei Olympia starten?
Das ist unsicher. Um eine Aufhebung der Sperre zu bewirken, müssen die Kriterien des internationalen Verbandes IAAF erfüllt werden, was vorerst nicht der Fall ist. "Es ist keine revolutionäre Lösung in Sicht", sagte Sportminister Witali Mutko am Freitag nach der Tagung des IAAF-Councils. Es mehren sich Stimmen, die ein Antreten der russischen Leichtathleten ablehnen. Auch Dick Pound, Chef der WADA-Kommission, glaubt nicht an eine Aufhebung der Suspendierung vor Olympia.
Was wäre Olympia ohne russische Leichtathleten?
Es wäre historisch beispiellos und eine nationale Katastrophe. Die stolze Sportnation (Vierte im Olympia-Medaillenspiegel von 2012) müsste mit einem Rumpfteam antreten. Thomas Bach, der deutsche Chef des Internationalen Olympischen Komitees, ist allerdings eng mit Wladimir Putin verbunden und wünscht sich eine Teilnahme Russlands.
Was sagt das offizielle Russland?
Auf höchster Ebene werden Ansätze von Selbstkritik sofort gestoppt. Es dürfe nicht sein, dass ein Schatten auf die Leistungen des russischen Sportes falle, sagte Putin-Sprecher Dmitri Peskow: "Es geht um einzelne Sportler, um einzelne Fälle. Man darf die Situation nicht auf den gesamten russischen Sport übertragen." Grundsätzlich werden Dopingvorwürfe nicht als Problem, sondern als westliche Verschwörung gesehen. Sportminister Mutko kritisierte die Diskussion als "politisiert". Der Chef des Eisschnelllauf-Verbandes behauptete gar, dass Meldonium den Sportlern untergeschoben wurde.
Gibt es auch kritische Stimmen in Russland?
Wassili Schestakow von der Kremlpartei Geeintes Russland sieht die "Schuld beim gesamten Trainerstab". Versagt hätten Verbände und Funktionäre. Die Zeitung Sport-Express sieht Russland am Scheideweg. "Halten wir Doping tatsächlich für ein Übel und eine Gefahr für die Gesundheit der Nation, die schwerer wiegt als unsere möglichen Siege?" Dann müsse ernsthaft etwas getan werden. Es reiche nicht, die Vorwürfe immer wieder nur als "antirussische Kampagne im Weltsport" abzutun.
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