Von Geburt an begabt
Wie wird Begabung definiert? Die einen sagen, es wäre eine natürliche Anlage, Besonderes zu leisten. Andere setzen sie mit einem hohen Intelligenzquotienten oder einfach nur dem Resultat harter Arbeit gleich.
Ist ein Zehnjähriger begabt, wenn er beim Schulkonzert exzellent Klavier spielt? Ja, wenn er nicht groß über Noten und Rhythmus nachdenken muss. Ja, wenn die Finger über die Tasten fliegen, als ob es nichts Leichteres gäbe. Nein, wenn er sich für das wenige Minuten lange Stück monatelang durch die Partitur gequält hat. Nein, wenn er nicht fühlt, was er spielt und im Nachhinein heilfroh ist, dass es vorbei ist.
Der Mensch kann sich also unterschiedlich anstrengen, das Ergebnis aber kann gleich gut ausfallen. Wie kann das sein?
Ein Blick auf die Definition hilft beim Aufklären: Der amerikanische Bildungspsychologe Joseph S. Renzulli bezeichnete eine ausgeprägte Begabung in seinem weltberühmten "Drei-Ringe-Modell" als eine Schnittmenge aus überdurchschnittlicher Fähigkeit, hoher Motivation und Kreativität in den Sozialbereichen Schule, Freunde und Familie. Man kann Hochbegabung auch als kognitive Leistungsfähigkeit verstehen und sie mit dem IQ-Wert messen (wer über 130 liegt, gilt als hochbegabt). Heute wissen wir aber, dass jemand mit einer besonderen Begabung nicht zwangsläufig auch einen hohen IQ haben muss. Zusätzlich zur Intelligenz können wir auch noch höchst kreativ sein, eine hohe soziale Kompetenz aufweisen, extrem musikalisch sein, eine besonders ausgeprägte Motorik haben oder künstlerisch veranlagt sein.
Wie Talent entsteht
Wir können also in praktisch jedem Lebensbereich von Geburt an begabt sein. Dennoch weisen die Menschen heute im Schnitt lediglich eine durchschnittliche Begabung auf – obwohl wir von Jahrzehnt zu Jahrzehnt eigentlich intelligenter werden. Die Erblichkeitsschätzung zeigt den Grund: In unserem Zeitalter bekommen wir etwa die Hälfte unserer intellektuellen Begabung vererbt, die andere Hälfte wird durch Umwelteinflüsse mitbestimmt. Wenn wir unsere Begabungen also nicht fördern, bleibt die Hälfte – jene, die wir vererbt bekommen haben – stecken und unsere Leistung stagniert. "Begabung ist lediglich das Potenzial zur guten Leistung", erklärt Roland Grabner, Leiter des ersten Lehrstuhls für Begabungsforschung in Österreich an der Karl-Franzens-Universität Graz. "Talente sind dann umgesetzte Begabungen, wenn man in einem gewissen Bereich bereits gute Leistungen zeigen kann", so der Forscher.
Unsere angeborene genetische Ausstattung hat also eine Obergrenze. Unterhalb dieser Grenze entscheidet die Förderung darüber, wie weit wir unsere Begabung realisieren können. "Alle Studien zeigen: Übung und Training sind der wichtigere Faktor als etwa Intelligenz. Bei durchschnittlicher intellektueller Begabung kann man mit viel Training auch überdurchschnittliche Leistung erbringen", erklärt Grabner. Bedeutet: Übt der Unbegabte viel und der Begabte wenig, wird der Unbegabte bessere Leistungen erzielen. Üben allerdings beide gleich viel, wird der Begabte besser. Das Praktische: Die Fähigkeit zu Lernen sei bei jedem Menschen von Geburt an grundsätzlich nahezu gleich ausgeprägt, sagen Psychologen.
Wie gut ist hochbegabt?
Der Frage, was die Hochbegabten von den "Normalbegabten" unterscheidet hat sich erstmals Lewis Terman, ein mittlerweile weltberühmter Psychologe aus Stanford, USA, in 1921 angenähert.
Terman untersuchte 1500 Kinder und Jugendliche mit einem IQ von durchschnittlich 150. Er, und später seine Mitarbeiter, verfolgten über 70 Jahre hinweg deren Entwicklung. Viele von ihnen machten Karriere, das große Geld. Doch keines dieser 1500 ursprünglich hochbegabten Kinder gewann tatsächlich auch eine Fields-Medaille, den Nobel- oder Pulitzerpreis. Das Spannende: Die Kinder dieser untersuchten Hochbegabten wiederum – die Terman für seine Studie allerdings für nicht intelligent genug hielt – haben sehr wohl brillante Leistungen erbracht – zwei davon erhielten sogar einen Nobelpreis in Physik.
Diese Studie zeigt: Begabung ist nicht immer messbar und auch nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen(wie es trotzdem gelingen kann, im Kasten rechts). Kindern mit einem IQ über 130 wird allerdings nachgesagt, sie seien seelisch stabiler und wären seltener ängstlich als andere Gleichaltrige.
Gefragte Überflieger
Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich der Ruf des Hochbegabten vom schrulligen Außenseiter zum coolen Wunderkind gemausert. "Immer mehr Eltern lassen den IQ ihrer Kinder testen, immer mehr wünschen sich, dass ihr Kind hochbegabt ist", sagt Grabner. "Doch die Anzahl der hochbegabten Schüler bleibt gleich" – und liegt etwa bei 2,3 Prozent der Menschheit generell. Einmal entdeckt, gehört die Begabung passend und ohne Druck gefördert. Hier stehen Eltern und Lehrer in der Pflicht, die aufkeimenden Interessensgebiete der Kinder zu unterstützen. Auf die schulische Begabtenförderung könne man sich eher verlassen. "Macht eine Lehrperson guten Unterricht, würde ich ausschließen, dass sie Begabungen in ihrer Klasse nicht erkennt", so Grabner.
Dabei besteht zwischen hochbegabten und normalbegabten Schülern auf den ersten Blick gar nicht mal so viel Unterschied: "Sie machen sogar die gleichen Fehler", so Grabner. Aber Hochbegabte lernen schneller – und sind daher auch schneller gelangweilt. "Sie brauchen keinen komplett anderen Unterricht per se. Lediglich einen, der ihrem schnelleren Lerntempo entspricht. "
„Eine Begabung ist unsichtbar. Man sieht nur die Leistung“, sagt Claudia Resch, Chefin des Österreichischen Zentrums für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZBF). Am deutlichsten zeigt sich eine Begabung im Vergleich mit Alterskollegen. Das macht ab dem siebten Lebensjahr Sinn, denn „alles davor könnten bloße Entwicklungsvorsprünge sein.“
Positiver Einfluss
Begabung gehört gefördert, da sind sich wohl alle Eltern einig. „Aber man muss sich nicht zum Sklaven der Begabtenförderung seines Kindes machen. Eltern und Lehrer haben die Verantwortung, doch das Kind muss selbst mitmachen wollen.“ Hier braucht es Fingerspitzengefühl und bloß keinen Druck. „Die Kinder brauchen ein positives Selbstkonzept, müssen erst Vertrauen in ihre Fähigkeiten entwickeln.“
Nicht immer ist die Begabung eines Kinder auf den ersten Blick auch als solche zu erkennen. Doch es gibt Indizien: „Spielen sie ein Musikinstrument mit acht Jahren schon besonders gut und gern, können sie gut andere Menschen oder Sprachen imitieren, Lieder nachsingen oder interessieren sie sich bereits früh für Fremdsprachen, könnte das ein Zeichen für Hochbegabung sein.“
Kann ein Kind bereits vor der Schule gut rechnen oder etwa auch schon schreiben, können Eltern probieren, dem Kind auch noch Anderes beizubringen, denn „scheinbar lernt es sehr leicht und schnell.“ Begabt sein können Kinder auch im physischen Bereich: Beim Zeichnen, Werken, Turnen oder Tanzen. Etwas versteckter zeigt sich die intrapersonelle Begabung. „Bei der haben Kinder ein besonderes Gespür für Menschen, sie fühlen, wenn es dem anderen nicht gut geht.“ Generell sei es wichtig, Kindern keine fertigen Lösungen bei neuen Aufgaben zu präsentieren. „Eltern sollten nur mögliche Lösungswege aufzeigen. Zur Antwort gelangen sollten die Kinder selbst.
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