Zagreb im Porträt: Die Stadt hinter der Grenze
Advent auf dem zentralen Jelačić-Platz in Zagreb. Ein weißes Festzelt wurde aufgebaut. Doch die meisten Menschen eilen teilnahmslos zur Straßenbahn, die sie hinaus in die Peripherie bringt. Sie tragen dabei schwer. Nicht nur an den Besorgungen für den Tag.
Am 4. Dezember hat die Mehrheit die konservative Regierung abgewählt, ohne Euphorie für das nun stimmenstärkste linksliberale Bündnis. Und auch die Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags mit Kroatien am Freitag in Brüssel wird nur von wenigen bejubelt.
Die allgemeine Sorge ist in die Gesichter vieler Zagreber gezeichnet. Sie leben an sich in einer lebenswerten Stadt. Nur 15 Minuten Autofahrt von der EU-Außengrenze entfernt. Doch der Krieg auf dem Balkan, die Vettern- und Misswirtschaft nach dem Kriegsende und die Euro-Krise haben ein besseres Leben in weite Ferne gerückt.
Unbekannte Hauptstadt
Die Stadt hinter der Grenze ist weiterhin die unbekannteste Hauptstadt Mitteleuropas. Sie liegt in einem "mentalen Spalt", wie der Zagreber Autor Edo Popović in einem seiner Romane festhält: Die einstige k. und k. Provinzstadt ist mehr Mitteleuropa, als man sich nur 370 km nordöstlich, in Wien, ausmalen mag. Zum anderen hat das vormalige Agram weit weniger Sehenswürdigkeiten zu bieten, als der eitle Bürgermeister Milan Bandić und seine Genossen im Tourismusamt oft behaupten.
Anders als Ljubljana befindet sich Zagreb in einer Zwischen-Zeit. Zwischen zwei großen Föderationen. Gestern YU, morgen EU. Gegensätze prallen besonders hart aufeinander. Hie und da parkt in der Stadt ein verbeulter Jugo, der Volkswagen im ehemaligen Vielvölkerstaat. Das Stadtbild prägen aber auch hier deutsche Autos, die sich ihre Besitzer de facto kaum leisten können.
Ein in Zagreb tätiger österreichischer Bankmanager wundert sich: "Dass all die Kredite noch nicht zusammengebrochen sind?" Der finanzielle Rahmen ist gefährlich eng bemessen: Jüngst wurde bei der Erdölgesellschaft INA ein Ingenieur in Pension geschickt, ein internationaler Fachmann in seinem Metier. Er muss jetzt mit 300 Euro im Monat das Auslangen finden.
Tickets mit Handschrift
Auf dem Hauptbahnhof werden internationale Fahrkarten immer noch mit der Hand geschrieben. Als wäre der Computer noch nicht erfunden. Doch Vorsicht! Zagreb ist nicht nur hintennach. Gut ein Jahr, bevor der Wiener Bürgermeister "Handy-Parken" als eine Wiener Errungenschaft verkauft hat, tat dies bereits sein Amtskollege Milan Bandić.
In Anlehnung an ein Bonmot von Karl Kraus bezeichnet der Wiener Geschäftsmann und Kroatien-Kenner Miroslav Grimm Zagreb als "ein größenwahnsinniges Graz". Tatsächlich erinnert der mit Zeitverzögerung renovierte Stadtkern an die Mur-Metropole. Novi Zagreb, die Schlafstadt auf der anderen Seite der Save, ist dagegen mehr mit der Großfeldsiedlung bzw. Transdanubien zu vergleichen.
Und der einst für Josip Broz Tito imperial gebaute Amtssitz oben auf dem Pantovčak? Der wirkt heute für den Staatspräsidenten ein bisserl überdimensioniert.
Advent in Zagreb. Wirbt ein Plakat auf dem Hauptplatz. Was es nicht verrät, und auch der Bürgermeister nicht sagt: Dass dieser Advent viel düsterer ist als der Advent in Wien. Es wird erzählt, dass jeder Fünfte keine Arbeit hat. Nur die Mieten und die Preise in den Supermärkten haben EU-Standard erreicht.
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