Turin: Die kühle Schöne
Turin ist Fiat ist Fußball. Aber auch die Krone des Piemont: kulinarisch wie kulturell. Ein Paradies für Naschkatzen. Denn aus der Stadt am Po kommt auch das Nougat: Gianduia, eine Erfindung aus napoleonischer Zeit, als die Vorräte knapp wurden, und die Konditoren den Kakao mit gemahlenen Haselnüssen streckten. Das Nougat, in Bohnenform gegossen und einzeln verpackt, bekam den Namen "gianduiotto", nach dem Gianduia, dem piemontesischen Vetter des Harlekins. Friedrich Nietzsche, der Mann der Zarathustra zu uns sprechen ließ, schrieb 1888 an einen Freund: "Dies ist eine Stadt nach meinem Herzen!" Und war voller Bewunderung: "Nein, was für ernste und feierliche Plätze!" Sogar für die piemonteser Gastronomie fand der Philosoph nur Lob: "Hier gibt es die schönsten Cafés, die ich je gesehen habe." Tipico torinese sind sie, die blattgoldverzierten Anbetungsstätten von Espresso und Cappuccino, das "Caffè Torino" an der Piazza San Carlo Nummer 204 oder das Jugendstil-Café "Baratti & Milano" an der Piazza Castello. Plätze hat diese Stadt, als ob sie immer noch den Aufmarsch der königlichen Garde abnehmen müsste.
Das Reiterstandbild des Emanuele Filiberto, Testa di Ferro, also Eisenschädel genannt, ist trotz aller kriegerischen Symbolik Wahrzeichen einer harmonischeren Zeit, und die Piazza San Carlo als Salon der Stadt der harmonischste aller italienischen Plätze. Pastellgelb, spiegelsymmetrisch und arkadenumkränzt öffnet er sich zu erstaunlicher Weite.
Turin - 1861 die erste Hauptstadt Italiens für nur vier Jahre, ehe das Zentrum der Macht nach Florenz und später nach Rom verlegt wurde - inszeniert sich immer wieder neu: In den 1960er- und 1970er-Jahren war Turin Zentrum der Klassenkämpfe, ja des Terrors. Vor fünf Jahren fanden hier am südwestlichen Rand der Alpen die Olympischen Winterspiele statt. Zwei Jahre später wurde die einstige Residenz der mächtigen Savoyer, die an der Peripherie Lustschlösser im Dutzend errichtet haben, zur Welthauptstadt des Designs gekürt. Spötter meinen: Turin sei eigentlich immer eine monarchistische Metropole gewesen, erst der Savoyer, dann der Fiat-Dynastie Agnelli.
Tatsächlich sind die Piemonteser so arbeitsam und sparsam, dass sie als die Preußen oder Schwaben auf der Apenninenhalbinsel gelten. Schließlich steht das schönste Filmmuseum Europas in Turin. Am 7. November 1896 wurde in der Via Po auf der damaligen Nummer 33 von den Brüdern Lumière der erste Kinoabend veranstaltet. Die ersten Filmfirmen, die ersten Diven und die ersten Kolossalfilme stammen tatsächlich aus "Filmopoli" Turin, ehe Mussolini die Produktion in den 20er-Jahren nach Rom verlegte. Das im Jahr 2000 eröffnete Museo del Cinema in der Mole Antonelliana, dem bizarren Turm eines überehrgeizigen Architekten, der dem Eiffelturm nacheiferte, erzählt davon. Das surreal anmutende Ambiente von La Mole, wie die Einheimischen das Bauwerk nennen, wirkt wie geschaffen für einen Film. Und wer nicht unter Höhenangst leidet, sollte sich auf keinen Fall entgehen lassen, mit dem frei in der Mitte der 80 Meter hohen Halle schwebenden Aufzug zur Aussichtsplattform zu fahren.
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