Tarn: Ein guter Ort für Eigensinn

Tarn: Ein guter Ort für Eigensinn
Im Tarn, der Heimat des Malers Henri de Toulouse-Lautrec, ist auch das Mittelalter in faszinierender Weise präsent.

Sie kleines Monster!" schrieb die populäre Sängerin Yvette Guilbert als "Widmung" auf ein Porträt, das Henri de Toulouse-Lautrec 1895 von ihr angefertigt hatte.

Tarn: Ein guter Ort für Eigensinn
Henri de Toulouse - Lautrec Yvette Guilbert singt „Linger Linger Loo“, 1894 Staatliches Museum für Bildende Künste A. S. Puschkin, Moskau
Der klein gewachsene Maler, Spross aus uraltem südfranzösischen Landadel, verehrte Guilbert. Und er ließ auch nicht locker, als sich die Chansonnière von seinen oft karikaturhaften Zeichnungen , die sie mit vorstehendem Kinn, breitem Grinsen und ausladenden, stets in lange schwarze Handschuhe gehüllten Unterarmen zeigten, nicht geschmeichelt fühlte.

Toulouse-Lautrec dürfte die Aufsässigkeit aus seiner Heimat, der Region Tarn im Südwesten Frankreichs, mitgebracht haben: Wer hier unterwegs ist, begegnet an vielen Orten einer – oft charmant verpackten – Eigensinnigkeit. Die Region war stets ein Gegenpol zum zentralistischen Frankreich: Man sprach hier lange Zeit eine eigene Sprache (Okzitanisch) und ließ sich nur mit Gewalt in den großen Staat eingliedern. Das Bewusstsein, anders zu sein und sich nichts vorschreiben zu lassen, sitzt bis heute tief.

Die Albigenser

Albi, die Hauptstadt des Tarn, ist nicht nur die Geburtsstadt Henri de Toulouse-Lautrecs: Der Ort war im Mittelalter eine Hochburg der Katharer, jener religiösen Gruppe, die nach der Stadt auch "Albigenser" genannt wurden. Sie akzeptierten weder den Papst noch die ihm treuen Fürsten und Könige; widerständige Adelige, allen voran der Graf von Toulouse, beschützten sie aber.

Im Jahr 1208 rief Papst Innozenz III. zu einem Kreuzzug auf, der unvorstellbare Massaker zur Folge hatte. Was von den Katharern nach Ende des Kreuzzugs 1229 übrig war, vernichtete die Inquisition.

Im Tarn blieb diese Geschichte tief eingeschrieben. So ist die Kathedrale von Albi, die als Monument des Sieges über die "Ketzer" ab 1282 errichtet wurde, an Wehrhaftigkeit kaum zu überbieten – bis zu sechs Meter dick sind die Backsteinmauern dieser Trutzburg, die innen mit prächtigen Fresken geschmückt ist.

Palast und Museum

Im einstigen Bischofspalast neben der Kathedrale überlappt sich das Mittelalter schließlich mit der Moderne: Hier ist das "Musée Toulouse-Lautrec" beheimatet, das seit 1922 den Nachlass des Malers beherbergt. Nach einer sensiblen Restaurierung, bei der etliche bisher unbekannte Bau-Details entdeckt wurden, eröffnete das Museum 2012 neu; von Lautrecs lebhaften Zeichnungen und Gemälden aus dem "Moulin Rouge" führt der Rundgang über mittelalterliche Fliesenböden in eine Welt, in der vor 800 Jahren Inquisitoren am Werk waren.

Tarn: Ein guter Ort für Eigensinn
Cordes sur Ciel
Gegen die Machtausübung durch Kirche und Kreuzritter formierten sich im Tarn jedoch auch viele Widerstandsnester. Von den befestigten Dörfern oder "Bastiden" gehört Cordes-sur-Ciel nördlich von Albi zu den bemerkenswertesten: Als die Herrschaft der Katharer hier gebrochen war und die Bewohner angehalten waren, eine Kirche zu errichten, verzichteten sie kurzerhand darauf, auch eine Treppe zum Hauptportal zu bauen. Heute wird der Ort von Künstlern und Bohemiens am Leben gehalten, die in den alten Gemäuern Ateliers, Galerien und Geschäfte betreiben.
Tarn: Ein guter Ort für Eigensinn
Chateau de Mauriac
Die Rolle dieser, auf ihre Art unangepassten, Menschen für die Erhaltung der historischen Orte ist kaum zu unterschätzen. Das zeigt sich auch im "Château de Mauriac", einem Schloss, das in der von Weingärten besetzten Hügellandschaft zwischen Albi und dem Winzer-Zentrum Gaillac liegt und einst ebenfalls der Familie des Künstlers Toulouse-Lautrec gehörte.
Tarn: Ein guter Ort für Eigensinn
Tarn
Heute residiert hier der Maler Bernard Bistes, ein weißhaariger, bärtiger Herr, dem der sprichwörtliche Schalk im Nacken zu sitzen scheint. Abseits seiner eigenen Kunst – Bistes malt vorrangig kitschige Blumenbilder und Akte – hat Bistes das Schloss zu einer großen Zauberwelt umgebaut.

Der Schlossherr

Die Zimmer im Schloss sind mit Himmelbetten und Renaissance-ähnlichen Wandgemälden ausgestattet, einige Räume werden auch vermietet. Der Speisesaal, der jeder Ritterrunde zur Ehre gereichen würde, ist ein beliebter Ort für Hochzeitsfeiern in der Region.

Für die etablierte Kunstwelt mit ihren Kuratoren und Experten hat Schlossherr Bistes nicht viel übrig; mit Henri de Toulouse-Lautrec fühlt er sich allerdings in spiritueller Weise verbunden. Sein Großonkel, erzählt Bistes, sei zudem ein Jugendfreund des berühmten Malers gewesen. Die Beweislage für diese Verbindung erscheint dünn – wer konkretere Spuren sucht, muss nach Camjac ins "Château du Bosc", wo Toulouse-Lautrec nachweislich viel Zeit verbrachte.

Der Wegbereiter der modernen Kunst ist zweifellos eine Inspirationsquelle für die Region, die lange abseits der frequentierten Routen Frankreichs lag. Und doch ist er nur ein Wegweiser in eine längere Geschichte – eine Geschichte, die sich im Tarn unmittelbar erleben lässt und mit viel Überzeugung lebendig gehalten wird.

Tarn: Ein guter Ort für Eigensinn
Dept-. Tarn, Frankreich

Der direkte Draht ins Mittelalter hat sich auch im kulinarischen Angebot der Region Tarn erhalten: In der herzhaften Landküche, die in Restaurants und auf Märkten dominiert, findet man Rezepte und Spezialitäten, deren Stammbaum weit zurückreicht.
Die „Échaudés“ – trockene Aniskekse, die traditionell im Städtchen Carmaux gebacken werden – sind ein Beispiel dafür: Das Gebäck ist hervorragend haltbar und ist bis heute als Snack beliebt; weil es rasch hart wird, tunkt man es gerne in Sirup oder süßen Wein ein.

Weinregion Gaillac

Wein ist im Tarn untrennbar mit dem Namen „Gaillac“ verbunden: In der Region, die diese Herkunftsbezeichnung trägt, werden ausgewogene Weiß- und Rotweine sowie Rosés und Süßweine produziert. Dazu wird in einer eigenen Methode der Flaschengärung Schaumwein hergestellt. In den Weinen finden alte, für die Region typische Rebsorten Verwendung: „Mauzac“ und „Loin de l’oeil“ heißen die traditionellen weißen, „Duras“ und „Braucol“ die roten Reben, letztere werden oft mit Syrah-Trauben verarbeitet.

Stopfleber (Foie Gras) und Pasteten spielen in der Küche des Tarn ebenfalls eine große Rolle; allerdings gibt man meist Entenleber den Vorzug. Geräucherte Entenbrust ist günstig zu haben und wird gern als Vorspeise oder auf Salaten serviert.

Im Mittelalter gehörte die Region dank des Safran-Anbaus zu den reichsten Gegenden Frankreichs; in jüngster Zeit haben experimentierfreudige Bauern wie das Ehepaar Yves und Eve Boismartel diese Tradition wiederentdeckt. Die Fäden des Safrankrokusses werden von ihnen auch mit Sirup oder Honig verarbeitet; bestellbar via www.bioterroir.com.

Der Ort Lautrec ist in Gourmet-Kreisen übrigens weniger wegen des Malers, sondern wegen des hier kultivierten Knoblauchs bekannt, der aufgrund seiner Milde gern von Top-Köchen verwendet wird. Henri de Toulouse-Lautrec war seinerseits ein begeisterter Koch, der sogar selbst ein Kochbuch schrieb und illustrierte: „Die Kunst des Kochens“ ist 2004 in deutscher Übersetzung erschienen (Hädecke Verlag, 24,90 Euro). Im Lokal „Le Lautrec“ – gegenüber vom Geburtshaus des Malers in Albi gelegen – kocht man öfters nach dessen Rezepten.

Tarn: Ein guter Ort für Eigensinn
Anreise Air France bietet mehrere Verbindungen täglich von Wien nach Toulouse über Paris CDG und Lyon an. Information:www.airfrance.at

Nicht versäumen Das Museé Toulouse-Lautrec in Albi besitzt die weltweit größte Sammlung von Bildern und Hinterlassenschaften des Künstlers. In der Kathedrale von Albi befindet sich das größte Fresko, das italienische Renaissancekünstler je in Frankreich realisierten.

Über Land Zahlreiche Wander- und Aussichtsstrecken führen durch Weingärten und zu Schlössern. Eine Spezialität sind Ausflüge mit dem Retro-Motorfahrrad „Solex“. www.hedonistmotorcycle.com

Package Der Tourismusverband Tarn bietet ein Package „Auf den Spuren von Toulouse-Lautrec“ an: Ab 183 € pro Person im DZ ist eine Nächtigung im Hotel Château de Salettes (B & B und Abendessen, ohne Getränke) inkludiert; dazu Eintritt in die Schlösser Château du Bosc und Château de Mauriac, der „Albi Citypass“ für freien Eintritt in das Museé Toulouse-Lautrec, die Kathedrale Sainte-Cécile und weitere Ermäßigungen. Reservierung: + 33 (0)5 63 77 32 30, loisirs-accueil@tourisme-tarn.com,
www.tourisme-tarn.com

Auch Elite Tours (www.elitetours.at) und Ideal Tours (www.idealtours.at) bieten Reisen ins Tarn an.

Gewinnspiel Atout France verlost eine Reise „Auf den Spuren von Toulouse-Lautrec“ für zwei Personen: at.rendezvousenfrance.com

Kommentare