Skitouren: Die Freiheit hinter der Piste
Der Mensch hat zwei Sehnsüchte: Sicherheit und Freiheit. Er mag einmal geregelte Bahnen, dann das Abenteuer. Oder präparierte Pisten und unverspurte Hänge. Goethe nannte das "Wurzel und Flügel".
Seit Jahren zieht es den skifahrenden Mensch zunehmend ins Gelände, Skitouren boomen. Längst gibt es sogar eine Community, die sich im Dezember schon zum dritten Mal beim Austrian Skitourenfestival in Osttirol versammelte. Die Region hat sich dem Trend verschrieben und widmet sich besonders dem, was Fans jenseits der Skipiste suchen: Glücksgefühle.
Kochen im Schnee
Immerhin erobert man den Berg auf Skitour selbst. Schritt für Schritt statt im beheizten Liftsessel. Man folgt keiner Markierung, sondern Gelände und Gespür. Die Abfahrt im jungfräulichen Schnee empfinden viele als ursprünglichste Art des Skifahrens. Die Faszination besteht auch darin, das Vorgefertigte gegen Selbstverantwortung zu tauschen. Ski fahren ist Mikrowelle, Skitour ist Kochen.
"Es ist umfangreicher, was die Sportart anbelangt. Ich muss das Gelände einschätzen und mit Schnee anders umgehen lernen." Edlinger empfiehlt Einsteigern, sich der Sache langsam zu nähern und erfahrenen Skitourengehern anzuschließen. Denn ein Teil der Faszination ist das Ungesicherte. Und das ist gefährlich.
Die Freiheit hat einen weißen Schatten. Wer Skitour sagt, muss auch Lawine denken. Ein Schneebrett löst sich ohne Ankündigung. Wenn man die Risse auf der Oberfläche erkennt, zieht es die Beine schon weg. In einer Lawine hat man meist keine Chance, Tonnen an Schnee verdichten sich wie zu Beton, am Ende des Abgangs liegt man ohne Atemluft gepresst unter den Massen. Im Schnitt sterben so jährlich 26 Menschen in Österreich. In schneearmen Wintern meist mehr, weil der Schneeaufbau oft problematischer ist, weil Menschen mehr Risiko nehmen, wenn sie schon mal auf den Berg kommen. Über die Hälfte aller Lawinenunfälle passieren bei Lawinenwarnstufe 3, dabei geht die Skala bis 5.
Hangneigung
Experte Edlinger ist auch Einsatzleiter der Bergrettung und unterscheidet zwei Typen: "Der eine ist zurückhaltend, macht einen Kurs, tastet sich langsam an schwierigeres Gelände heran und bereitet sich auf jede Tour gut vor. Die zweite Gruppe will den coolen Freeridetouch ausleben, die wollen raus, fahren in alle Hänge hinein und informieren sich nicht." Nicht so gut. Insgesamt plädiert Edlinger für eine kompetenzorientierte Ausbildung. "Wir haben gesehen, dass man nicht nur stur nach Lawinenwarnstufe oder Hangneigung gehen darf. Diese ganz klaren Standards werden der Natur oft nicht gerecht." Es gibt zwar so etwas wie einen "lawinensicheren" Bereich, also unter 30 Grad Hangneigung, und gerade die Modetouren für Anfänger verlaufen dort. "Trotzdem ist es wichtig, die lokalen Bereiche einzuschätzen. Die kann einem auch der Lawinenbericht nicht immer sagen." Den abzufragen und ernst zu nehmen, sei aber die Basis jeder Tourplanung. Mitten in der Weite gelten dann aber manchmal andere Regeln. Und vor dem mächtigen Einzelhang, auf dem die Sonne tausendfach funkelt, liegt die Entscheidung bei dir, ob du hineinfährst.
Sehr viele der neuen Aufsteiger wollen gar nicht zu den entfernten Hängen, sondern steigen mit dem Tourengerät neben der Piste auf. Für Edlinger auch wegen der Kosten beim Skifahren. Diese Benutzung des "gesicherten Bereichs" brachte zuletzt garstige Diskussionen. Erstens wollen die Betreiber auch einen Obolus, wenn jemand nicht Lift, aber Piste benutzt. Zweitens wechseln Tourengeher gerne auf die Piste, überhaupt wenn es wie heuer nur ein dünnes Schneeband gibt – das die Betreiber mühsam hegen. Aber: Zunehmend richten Skigebiete Aufstiegsspuren ein, perfekt für Anfänger, die bei der Abfahrt keine Powder-Tiefschnee-geil-Action brauchen. Übrigens wächst auch die Zahl an Kurs-, Verleih- und Guide-Anbietern rasant.
Ausrüstung
Außerdem hat die Entwicklung der Ausrüstung für Kondi-Schwache viel gebracht: Bei Tourenskiern mit den Fellen (braucht man zum Aufstieg, um nicht abzurutschen) und Schuhen wird vor allem am Gewicht gearbeitet. Früher lag der Fokus auf perfektem Abfahrtsmaterial, heute muss das Zeug möglichst leicht sein. Es geht ja vor allem um das Training.
Und um ein Zukunftsmodell für den Wintertourismus. Denn von der neuen Begeisterung haben viele etwas und treiben den Boom deshalb auch beharrlich voran: Der Handel verkauft gut 50.000 Paar neue Skier im Jahr. Entlegene Berghütten haben mit Tourengehern das Wort Winterauslastung entdeckt. Der Tourismus bekommt neue Gäste, oft abseits der Hochsaison, ohne in Liftanlagen investieren zu müssen.
Aktionen
Das weiß man auch in Osttirol. Durch Aktionen sollen Tourengeher bald 20 Prozent der Gäste sein. Diese Bemühungen und die Kulisse machen die Gegend perfekt für Interessierte. Denn wo Skifahrer von Pistenkilometern begeistert sind, klingt für Tourengeher "1500 Täler, die noch nie einen Lift gesehen haben und 266 Dreitausender" wie die Musik der Freiheit, die hinter der Piste beginnt.
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