Reise nach Weißrussland: Urlaub beim Diktator

Ein gigantisches Betondenkmal ziert die Gedenkstätte "Brester Heldenfestung".
Das für Touristen lang verschlossene Land präsentiert sich Reisenden nun als Naturidyll zwischen Sowjet-Hardcore und Europa-Sehnsucht.

Die letzte Diktatur Europas, so wird Weißrussland oft bezeichnet. Politisch mag das trotz „freier“ Wahlen noch stimmen, für Touristen hat sich das Land aber schon geöffnet und birgt viele Überraschungen, Kultur- und Naturschönheiten. Nicht grundlos reihte es der „Lonely Planet“ unter den weltweit trendigsten Reisedestinationen 2019 an achte Stelle.

Schon die Fahrt durch den flächenmäßig größten Binnenstaat Europas ist entspannend – Wälder und Wiesen bis zum Horizont, und man sieht meist weit: Der höchste Berg ist nur 345 Meter hoch. Dafür gibt es rund 4.000 Seen. Und den letzten Tiefland-Urwald des Kontinents. Dort, an der  polnisch-weißrussischen Grenze,  befindet sich der Bialowieza Nationalpark, ein UNESCO-Welterbe und eine Mischung aus beeindruckender Natur und Freiluft-Gehege. Schön zu beobachten die mächtigen Auerochsen, traurig hingegen die auf zu engem Raum eingesperrten Braunbären.

Reise nach Weißrussland: Urlaub beim Diktator

Überraschend offen präsentiert sich die sehr grüne Metropole Minsk, vor allem entlang des Swislatsch-Flusses, der sich in Schlaufen durch die ganze Stadt zieht. Das Ufer zieren Prunkgebäude, aber auch viele Grün- und Freizeitflächen, mittendrin die „Insel der Tränen“, die an die Gefallenen des Afghanistan-Krieges erinnert. Gleich daneben die „Dreifaltigkeits-Vorstadt“, mit teils nachgebauten, aber trotzdem sehr hübschen Häusern sowie Kathedrale, Kirchen und Fußgängerzonen.

Das richtige, sehenswerte Zentrum findet man entlang der fünfzehn Kilometer langen Nezavisimosti-Avenue und dem Siegesplatz mit barocken und neoklassizistischen Gebäuden, aber auch stalinistischer Architektur, darunter etwa das riesige KGB-Gebäude (ja, so heißt der Geheimdienst hier noch). Fotografieren kann der Besucher überraschend oft ganz frei, trotz des rigiden Systems. Moderne Einkaufszentren, teils unter der Oberfläche, haben sogar westlichen Flair.

Chagall überall

Eine schöne Kathedrale, natürlich viele Kirchen, ein hübsches Rathaus und gleich zwei Flüsse machen den Charme von Witebsk aus, dem kulturellen Zentrum des Landes nahe der russischen Grenze. Und überall stolpert man über Marc Chagall, den berühmtesten Sohn der Stadt – Geburtshaus, Museum, Statuen, Gemälde sind omnipräsent. Nur nicht im zentralen Park, denn dort spielen die Kinder auf alten Panzern, MIGs und Geschützen.

Reise nach Weißrussland: Urlaub beim Diktator

In Witebsk, dem kulturellen Zentrum des Landes, geht es ruhig zu. Da bleibt Zeit, sich eingehend dem berühmtesten Sohn der Stadt zu widmen: Maler Marc Chagall.

Auf dem Weg durch den Norden passiert man das hübsche, alte Städtchen Polozk, auch hier kann der Besucher bestens erhaltene Kirchen und Klöster bewundern. Man darf nie vergessen, dass Weißrussland eine der am schlimmsten betroffenen Regionen des Zweiten Weltkriegs war. Auf dem größten Markt merkt man aber, dass Touristen schon dazugehören: Es gibt wirklich hübsche Souvenirs wie etwa die detailverliebt gestickten Matrjoschkas

Trotz Sprachbarrieren sind die Einheimischen ausgesprochen offen und freundlich, man freut sich sichtlich über das Interesse der Fremden an ihrem so lange verschlossenen Land. So wird eine Folklorevorstellung am idyllischen, einsamen Seeufer zur Verbrüderung zwischen Wirtsleuten, Sängerinnen und Touristen. Verköstigung mit rustikalen Delikatessen und viel Wodka fehlen natürlich nicht.

In Grodno, am Dreiländereck mit Litauen und Polen, haben sogar die blau uniformierten Fräuleins von der Post ihre Hetz mit den Gästen, tolle Beratung beim Briefmarkenkauf und Selfies im Park daneben inklusive. Und die Rezeptionistinnen des Hotels winken beim Abschied lange nach. Die Stadt am Fluss Memel ist auch architektonisch sehr reizvoll.

Rund um die historisch wichtige Stadt Brest erinnert viel an den Krieg, vor allem die Relikte der riesigen Festung mit einem gigantischen Beton-Denkmal. Kunst- und kulturhistorisch mehr zu bieten haben andere Sehenswürdigkeiten im Süden des Landes: Der prächtige, hervorragend erhaltene Palast von Neswisch ist UNESCO-Weltkulturerbe, ebenso wie das Schloss von Mir aus dem 16. Jahrhundert, im Renaissance-Stil umgebaut. Während der Fahrt zwischen diesen Attraktionen sieht man aber auch das einfache Leben am Land, mit bunten Holzhäuschen und Selbstversorger-Gärten in kleinen Dörfern. Hier hat sich im letzten Jahrhundert kaum etwas geändert.

Anreise
Mit Austrian Wien – Minsk zwei Mal täglich ab 430 € hin und retour. austrian.com

Beste Reisezeit
Mai bis September

Einreise
Bei Ein- und Ausreise über den Flughafen visumfrei für 30 Tage. Visum erforderlich bei Einreise über Land, Konsulat:  01/ 419 96 30 21

Währung
1 Weißrussischer Rubel (Br) = ca. 0,44 €, Bankomaten sind vereinzelt vorhanden

Essen
Schmackhafte, regionale Küche im ganzen Land, gute Suppen, exzellente Restaurants in Minsk, guter Wodka. Im Süden bei Pilzen und Beeren zurückhalten, Tschernobyl ist sehr nah

Hoteltipps
Minsk: Hotel Belarus, Top-Lage im Zentrum neben dem Fluss, Zimmer mit Balkon in oberen Etagen wählen, tolle Aussicht. hotel-belarus.com
Grodno: Hotel Semashko, ruhige Lage in der Altstadt, urige Einrichtung, herzliches Personal. hotel-semashko.ru

Pauschalangebot
Ruefa bietet eine neuntägige Rundreise  ab/bis Vilnius (Litauen), inkl. Austrian- Flügen und HP ab  1.398 €, mehrere Termine von Mai bis September 2020. ruefa.at

Buchtipp
„Weissrussland“, Trescher-Verlag,  21,95 €

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