Let’s andiamo! Aber langsam
Wir sagen immer einfach "Mittelmeer", aber das ist ja nicht ganz richtig. In alten Karten steht noch "Mittelländisches Meer" fürs Mare Mediterraneo. Nicht das Meer, die Länder liegen in der Mitte. Mitten im Meer! Das Schiff ist also das natürliche Vehikel. Und die richtige, die ideale Annäherung, das ist mir jetzt klar geworden, ist die von der Meerseite. Wir kommen also, wie der Phönizier, der Grieche oder Kreuzritter, von vorn und nicht von hinten über den Autobahnzubringer, Gewerbegebiet oder versiffte Flughafenrolltreppen-Depression. Erst schauen wir der Stadt Barcelona, La Valetta usw. also in das Gesicht, in die Augen! Und nicht erst arschseitig – Verzeihung.
Slow Cruise
Ich selbst wäre ja nicht auf die Idee gekommen, eine Kreuzfahrt zu machen. Kreuzfahrt, das ist doch so ... Traumschiff, künstliche Palmen, Sascha Hehn und Kapitänsdinner mit Wunderkerzen all-inclusive. Aber dann, die Einladung der Reiseredaktion klang ganz interessant: Slow Cruise, keine überdimensionierten Schiffe, längere Stopps, neue Anlegeplätze mit viel Zeit, diese zu erkunden. Und jetzt wollen Sie wissen, wie’s war. Und ich sag: Super war’s! Kreuzfahrt Slow ist super!
Ganz wichtig, mein Extratipp. Sie sind der King an Bord. In Toulon konnte ich beispielsweise das Militärtheater an Deck von Frankreichs einzigem Flugzeugträger "General De Gaulle" (klar!) genau mitverfolgen. Und alles ist rund, wie durch ein Bullauge! Gefällt mir.
Keineswegs will ich mich da jetzt aufpudeln als Kreuzfahrt-Spezialist: War meine erste. Die Linie: Costa. Das Schiff: NeoRiviera. Die Tour: das westliche Mittelländische Meer.
Die Idee der Kreuzfahrt ist ja, dass Sie mit dem Hotel herumfahren und nicht: Sie fahren, und das Hotel steht. Absolut praktisch, schon rein gepäcktechnisch. Und das Hotel parkt immer recht zentrumsnah! In unserem Fall ist das Hotel mit über 600 Kabinen eher klein. (Meine Güte, in Barcelona sind wir volle Breitseite neben einem Bruttoregistertonnen-LasVegas-Betten-Öltanker gestanden, dagegen waren wir eine leichte Fregatte.)
Unser Schifferl aber hat alles, was das Herz begehrt (schöne Kajüte mit Balkon, Sonnendecks, modernes Fitnessstudio ...), und auch was das Herz nicht begehrt (Bingoquiz, Whirlpool, Hüpfburg – nein, Hüpfburg gibt’s keine – da hab’ ich mich getäuscht, das waren die vier Damen in ihren bunten Badeanzügen da beim Pool). Und keine einzige künstliche Palme.
Pieter Brueghel hat so ein Kreuzfahrtschiff unter dem Titel "Turmbau zu Babel" dargestellt, und entsprechend babylonisch ist die Sprachverwirrung an Bord: Es überwogen Italiener, Franzosen, Spanier. Nur ganz wenige Deutschsprachige. Beim Personal dann sowieso die ganze Welt: Einer war aus Nepal. Höhenangst wahrscheinlich. Dazu kommt, dass man jeden Tag in einem anderen Land ist, bis man nachdenken muss, was die eigene Muttersprache schnell noch war. Die Stadtführerin hat dann irgendwann gesagt: "Vamos, let’s andiamo!" Und wir sind alle ganz brav und widerspruchslos hinten nachgegangen. In Aix-en-Provence!
Slow Cruise, das heißt auch: Mehr Zeit an Land. In Barcelona zum Beispiel sind es eineinhalb Tage, und das bedeutet: auch den Abend kann man in der Stadt genießen.
Hier trainiert Messi
Ich bin schon so entspannt, dass ich völlig unvorbereitet dort ankomme. Nicht einmal die halbe Seite Touristeninformation über Barcelona hab’ ich mir am Schiff durchgelesen. Für schlechtes Gewissen ist es aber zu spät, und wir lassen uns herrlich treiben. Die Stadt ist ganz und gar geprägt vom weltberühmten Architekten Lionel Messi. Die unvermeidliche Hauptader ist eine Straße, die zu Recht "Rambla" heißt. Da gibt’s selbst für Messi kein Durchkommen. Oder übt der da? Messi bin ich übrigens begegnet, was heißt einmal – hundert Mal! Wenn Messi in Barcelona unerkannt spazieren gehen will, muss er nur ein Barca-Leiberl mit Messi hinten drauf anziehen. Fällt er keinem mehr auf.Keinem einzigen mit Gaudí-Leiberl bin ich begegnet, aber irgendwann stehen wir dann doch vor der berühmten Gaudí-Kirche: Ich sehe jedes meiner Vorurteile bestätigt. Ein Irrweg der Architektur. Letztes Aufbäumen des Schnörkels vor der Abschaffung. Der Dom von Schlumpfhausen. Kultur-Alternative: Salvador Dalí. Ein ähnliches Kaliber. Wer sich die Augen wieder einrenken will, kann das Picasso-Museum besuchen. Jetzt dürfen Sie wegen meiner Ketzerei aber nicht glauben, dass mir Barcelona nicht gefallen hat! Wunderbare Stadt, köstliche Tapas, spektakuläre Markthalle. Großstadt mit entspanntem Lebensgefühl. Spät zurück in mein schwimmendes Hotel. Das schaukelt im Meer und fährt los, der Dieselmotor brummt, oben stinkt es raus, und draußen tuckern die Lichter des Hafens vorbei und Leuchttürme und kanonenbewehrte Festungen glitzern im Meer in mein Bett.
Tag auf See
Also Slow Cruise! Lassen wir uns Zeit: "Auf See". So heißt das. Tag auf See. Man kann nichts besichtigen. Kein Museum, keine Ausgrabung, Kirche. Den ganzen Tag Kajüte, Deck, herumflattern am Schiff. Faulenzen. Herrlich. "Auf See" müsste auch an Land eingeführt werden! I kann heut’ net, i bin auf See!
Raub und Gebet
Malta.Ein gelber Felsen im blauen Meer. Alle Gebäude sind aus dem gelben Stein, woraus auch sonst: eine Skulptur. Das Konzept von Malta fußt übrigens auf Raub und Katholizismus. Ersteres in jeglicher Form (See-Wegelagerei, Piraterie, Tourismus). Es gibt mehr Kirchen als in Salzburg, Rom und Polen zusammen. Und Denkmäler. Nirgendwo ist es leichter, ein Denkmal zu bekommen. Irgendein 2-Jahre-Ministerpräsident kriegt ein Bronzestandbild, als hätt’ er Amerika entdeckt und dort Schießpulver und Smartphone erfunden.
Unter Plastikpalmen
Überhaupt: Sollen doch all die Verächter im Rudel-Schwarm "individuell" an den jeweils angesagten Hotspot pilgern und auf die Kreuzfahrer herabblicken: Ich erhol’ mich hier 1 a, sitz’ unter der Plastikpalme (im Lauf der Fahrt wurde von einer deutschen Firma eine nach der anderen aufgestellt), blinzle in die Sonne mit Prachtaussicht auf die Amalfiküste und hab’ nicht das Gefühl, hier der Getriebene zu sein.
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