Nostalgie pur: Unterwegs mit Kaiser-Fans in Bad Ischl
Treue Fans halten auch dann zu ihrem Kaiser, wenn das Kaiserwetter Pause macht. Tief hängen die Wolken über Bad Ischl, als Fremdenführerin Helga, eine Original Ischlerin in Original Ischler Tracht, einem Aristo-affinen Touristen-Grüppchen die Lieblingsplätze von Franz Joseph und Elisabeth näherbringt. Immerhin 82 Sommer (was ist eigentlich die Mehrzahl von Sommerfrische?) verbrachte der Kaiser im oberösterreichischen Kurstädtchen, angeblich verdankt er der Ischler Luft sogar seine Existenz: Weil Erzherzogin Sophie im hohen Alter von 23 noch kinderlos war, schickte sie Hofarzt Wirer zur Kur ins Salzkammergut. Ein Jahr später, am 18. August 1830, ward Franz Joseph geboren, drei Söhne folgten (daher „Salzprinzen“).
An den folgenschweren Rat des Arztes erinnert ein riesiges Monument am Kurplatz, einem Dreh- und Angelpunkt Ischls. Die Größe scheint angemessen, ohne Wirer gäbe es keinen Kaiser und keinen Sisi-Mythos, und Bad Ischl wäre eine hübsche, aber gewöhnliche Kurstadt ohne K.-u.-k.-Kitsch, pardon, -Flair geblieben. Wer jedoch den Kaiser in Stein bewundern möchte, muss hinaus nach Kaltenbach fahren. Dort ging er am liebsten auf die Pirsch.
„Wenn Sie also Probleme mit der Fruchtbarkeit haben – wir kümmern uns darum“, scherzt Helga, als sie die Empfängnisanekdote zum Besten gibt. Sie steht auf der mindestens weltberühmten Esplanade, der Flaniermeile am Ufer der Traun, vor einem Haus mit gelber Fassade. Wahre Kaiser-Fans halten nun den Atem an. Hinter diesen Mauern verlobte sich der junge Franz Joseph mit seiner erst 15-jährigen Cousine, Prinzessin Elisabeth in Bayern. (Nachzusehen an den Weihnachtsfeiertagen im Fünfzigerjahre-Schmachtfetzen von Ernst Marischka, Teil eins.)
Elektro-Beats statt Kotillon
Jedes Jahr Mitte August ist Ischl – das „Bad“ kam erst 1906 dazu – noch mehr Kaiser als sonst. Man müsste sich sehr anstrengen, um einen republikanischen Flecken in der Stadt zu entdecken, aber wer will das schon? Schließlich wird in den Tagen vor dem 18. August der Geburtstag des Kaisers zelebriert, ein Volksfest für 10.000 Hardcore-Nostalgiker und Monarchie-Liebäugler. Nebst Ankunft des historisch gewandeten Kaiserpaars in der Dampflok, Kaiserfest im Kurpark und Kaisermesse am heutigen Sonntag holte man heuer auch die Jugend ins Boot. Beim „Kaiserbeats“-Clubbing im ehrwürdigen Lehár Theater wurde erstmals zu House-Musik getanzt. Der Kaiser, er ist in der Generation Y angekommen.
Die Neigungsgruppe Monarchie um Kaiser-Kennerin Helga weilt indes noch in der Vergangenheit. Wo ginge das auch besser als in der Kaiservilla, idyllisch oberhalb der Stadt im weitläufigen Kaiserpark gelegen. Das Hochzeitsgeschenk von Erzherzogin Sophie diente dem Kaiserpaar viele Jahrzehnte als Sommerresidenz. Der rote, abgewetzte Ledersessel im Arbeitszimmer sieht so aus, als wäre Franz Joseph soeben noch darin gesessen. Dabei liegt sein letzter Besuch 105 Jahre zurück: Am 28. Juli 1914 unterzeichnete der hochbetagte Regent während der Sommerfrische die Kriegserklärung an Serbien und ebnete damit den Weg für die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Kurz danach reiste er ab und kehrte bis zu seinem Tod 1916 nicht wieder zurück.
Wie geht man in der idyllischen Kaiserstadt mit dieser düsteren Episode um? „Es gehört eben dazu“, sagt Helga. Thema abgehakt.
Der Monarchie als Staatsform trauern die meisten Ischl-Besucher ohnehin nicht nach. Den Kaiser-Kult begreifen sie als romantische Reminiszenz, Alltagsflucht und Tourismus-Faktor. „Wir müssen dankbar sein für unsere Demokratie“, sagt Ischl-Stammgast Johann, pensionierter Beamter und Hobby-Historiker. Aber: „Einmal für einen Tag 150 Jahre in die Vergangenheit reisen – das wär’ schon was.“ Von seinem ersten Besuch bei den Kaisertagen schwärmt er bis heute („das muss man erlebt haben“), seitdem kommt er mit seiner Frau jedes Jahr: „Wenn man ein Bild vom Kaiser sieht, geht einem das Herz auf.“ Der Großteil der Gäste reist wie er aus Österreich oder Bayern an, Asiaten sind in der Regel auf der Durchreise nach Hallstatt oder wollen Sisi-Luft schnuppern. Den Kaiser? Kennen sie nicht. Beim Stadtrundgang sieht man sie Selfie-machend vor dem Kurhaus oder in der legendären Konditorei Zauner. Kurt, ein laut Selbstbeschreibung „Weana Bazi“, urlaubt seit seiner Kindheit in Ischl und glänzt mit Habsburger-Wissen. Wäre ihm ein gekröntes Haupt lieber als ein gewähltes? „Schauen Sie sich die letzten Regierungen an. Das hätt’ ein Kaiser auch nicht schlechter g’macht.“ Angesichts der jüngsten Ereignisse wagt man kaum zu widersprechen.
Beim Spaziergang zum wildromantisch verwachsenen Marmorschlössl, dem Rückzugsort der Kaiserin und heutigen Photomuseum, stehen die Chancen hoch, einem waschechten Habsburger zu begegnen. Markus Habsburg, ein Ur-Enkel Franz Josephs, der von den Einheimischen schlicht „Herr Magister“ genannt wird, bewohnt mit seiner Familie einen Teil der Kaiservilla. Einmal rutscht Helga die Anrede „Erzherzog Markus“ heraus, als sie von ihm erzählt. „Offiziell darf man das ja nicht mehr sagen“, entschuldigt sie sich. „Aber Sie wissen ja... bei uns in Ischl nimmt man das nicht so genau.“
Anreise
Mit dem Zug von Wien via Attnang-Puchheim nach Bad Ischl in ca. 3 Stunden
Schlafen
Zum Beispiel in den zentralen 4*-Hotels Hubertushof oder Goldenes Schiff, ab ca. 80 € pro Person im Doppelzimmer
Frühstück
Am besten in der Kaffeesiederei Immervoll. kaffeesiederei.net
Kaiservilla
In den Sommermonaten täglich von 9.30 bis 17.00 Uhr geöffnet, Besichtigungen nur mit Führung. kaiservilla.at
Kaisertage
Auch 2020 wird wieder Geburtstag gefeiert. badischl.salzkammergut.at
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