Warum es uns diesen Sommer wieder an die Adria zieht
Auf der 17er-Bundesstraße, wenige Kilometer vor dem Grenzübergang in Spielfeld, kommen sie einem wieder in den Sinn: die Straßenschilder mit der Aufschrift Jugoslawien, Italien beziehungsweise Staatsgrenze. Heute glühen die Europäer aus den Binnenländern auf modern ausgebauten Autobahnen gen Süden. Nur wenige mit der Bahn, viele mit dem Flugzeug.
Weitere Bilder aus der Vergangenheit tauchen auf: die ersten sprachlich bedingten Orientierungsprobleme bei der nächtlichen Durchfahrt von Maribor (Marburg) oder Udine. Die Weiterfahrt durch eine Sommernacht. Das Aufgehen der Sonne über dem Karst, der langsame Übergang von kontinentaler zu mediterraner Vegetation, ein klappriger Lkw auf der kurvenreichen Magistrale, der das ungeduldige Warten der Kinder aufs Meer prolongierte. Und dann all die mondänen Badeorte, in denen da wie dort der Zahn der Zeit knabberte.
Große Welle ans Meer
Mit der Beschaulichkeit der Vor- saison war es heuer schon Mitte Mai weitgehend vorbei. Die verlängerten Wochenenden brachte die Vorhut der Segler und Sonnenliebhaber schon früh ans Meer. Mit Ferienbeginn in Ostösterreich und auch anderswo werden dann gleich mehrere große Wellen auf die adriatische Küste zurollen. Noch ein freies Zimmer auf der Insel Krk? "Wir haben im Juli und August nicht einmal mehr die Hundehütte frei", lächelt der Vermieter einer privaten Frühstückspension im Badeort Punat.
Mögen die Côte d'Azur und Mallorca mehr Chic bieten, die griechischen Inseln mehr Geschichte und alle Übersee-Destinationen mehr Abenteuer und Wettersicherheit, die Adria ist für uns in jedem Fall näher liegend: fast vor der Haustür.
Wer rechtzeitig gebucht hat, kann auch in diesem Jahr einen Sommer wie damals erleben. Auch viele österreichische Kinder sind in der Adria zum ersten Mal in ein Meer getaucht, haben hier zum ersten Mal einen Seeigel oder einen Delfin gesehen und zum ersten Mal Salzwasser geschluckt. Einige haben abends ein Brennen auf ihrer Haut gespürt, das sie schmerzhaft gelehrt hat, dass Sonnenschutz im Süden kein Kann, sondern ein Muss ist.
"Möwen" und Mädchen
Rechtzeitig zum Sommerbeginn ist im Wiener Folio-Verlag der neue Roman des Zagreber Autors und Mittelschulprofessors Zoran Ferić in deutscher Übersetzung erschienen. "In der Einsamkeit nahe dem Meer" lautet der deutsche Titel. Darin geht Ferić auf das Knistern der Pubertierenden ein, die am Meer erstmals aufeinander treffen. Hier die im Kommunismus sozialisierten "Möwen", denen er sich selbst zugehörig fühlte, dort die sonnenhungrigen Mädchen aus dem liberalen Norden Europas, die den angehenden Frauenverführern in die Netze gingen.
Unter den ersten Gästen fanden sich laut Oehring auffallend viele Maler. Sie erfüllten den Auftrag, das "wildfremde Land" am Meer ästhetisch zu erschließen und für die Tourismuswirtschaft aufzubereiten. Mit dem Aufkommen der Fotografie folgten ihnen in der Zwischenkriegszeit die Bildberichterstatter und mit dem Einsetzen des Wirtschaftswunders in Deutschland und Österreich das große Heer der privaten Knipser. Heute breitet sich das Spektrum der Schnappschüsse vor allem elektronisch aus.
Doch das Meer zieht nicht nur die Gäste an. Eine ganze Reihe österreichischer Hoteliers lud früher und lädt heute an die Adria. Plattenbau war gestern, Wellnessressort ist heute: das Niveau der touristischen Infrastruktur ist nach dem Ende des Jugoslawien-Kriegs auch in Kroatien und Slowenien langsam, aber stetig gestiegen. Was wiederum jene enttäuscht, die noch immer mit der fixen Vorstellung eines Billigurlaubs an die Adria geraten. Qualität hat überall ihren Preis.
"Zimmer frei"
"Zimmer frei" wurde an der Adria zu einem geflügelten Wort. Überall wird Deutsch gesprochen, und für das Seelenwohl der Gäste gibt es neben lokalen Spezialitäten auch Schnitzel im Strandcafé und Yoga in der Morgensonne am Strand.
Sehnsucht nach dem Blau
Speziell auf den kleineren, entlegeneren Inseln der Adria konnten sich die Menschen ihre ursprüngliche Ruhe bewahren. Genau deshalb ist zum Beispiel der dalmatinische Maler Boris Mihovilović-Sokol nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Deutschland auf seine Heimatinsel Šolta zurückgekehrt, weil ihm die Insel weniger Hektik und mehr Besinnung bietet. Es sind auch die facettenreichen Blautöne des Meeres und des Himmels, die er in Deutschland schmerzhaft vermisst hat. Ebenso wie der Duft der mediterranen Pflanzen, das Schwimmen im Meer und das Zirpen der Grillen an sehr heißen Sommertagen.
Faszinierend ist heute auch der Unterschied zwischen den Architekturen der italienischen Riviera und der östlichen Adria. An der Adria wurden im Tito-Jugoslawien die Plattenbauten für den Massentourismus errichtet. Einige Hotelanlagen werden jetzt modernisiert, andere stehen unter Denkmalschutz.
Regen im Norden
Und am Ende des Adriaurlaubs führen alle Straßen zurück in den Norden. Und immer beginnt es über den Karawanken oder dem Grazer Becken zu regnen. Noch so ein Sehnsuchtsklischee, das zu einem gelungenen Sommer fast schon dazu gehört.
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