Die Welt zu Füßen

Die Welt zu Füßen
Dem Matterhorn sei Dank: Seit mehr als 150 Jahren ist Zermatt „das“ Zentrum des alpinen Tourismus. Wer so viel Geschichte hat, hat Zeit. Und Stil. Das sollte man schon bei der Anfahrt berücksichtigen.

Am besten mit dem Zug. Ganz klar. Natürlich könnte man auch fliegen, wenn man ins noble Zermatt will, bis nach Zürich halt, dann weiter mit Bus oder Mietwagen. Oder gleich das eigene Auto nehmen. Aber man kommt in keinem Fall näher ran als bis Täsch, dort ist Endstation. Täsch? Das Nachbardorf von Zermatt, liegt sechs Kilometer nördlich, ist eigentlich beschaulich, hat aber das Pech, hauptsächlich als Parkgarage des Edelskiortes bekannt zu sein. 1.200 Einwohner, 3.000 Autoabstellplätze, das ist genau so wie es klingt, nämlich arg. Dafür ist Zermatt autofrei, und das ist genial. Und das wiederum ist keine Idee eines findigen Tourismusmanagers oder eines strengen Umweltaktivisten – dafür haben sich die Zermatter schon 1931 entschieden, also bevor Autos in alpinen Gegenden überhaupt eine wahrnehmbare Größe wurden.

Die Welt zu Füßen
Deshalb, und weil die Fahrt mit den an den Panoramafenstern des Waggons vorbeigleitenden 4.000er-Gipfeln eine atemberaubend spektakuläre ist, fährt man eben am besten gleich mit dem Zug. Der Bahnhof ist praktisch im Herzen der 5.700-Einwohner-Stadt am Fuße des Matterhorns, und knapp 300 Meter die Straße runter ist bereits das legendäre Monte Rosa Hotel. Nicht, dass man auf dem Weg dorthin nicht an geschätzten 37 Hotels vorbeikommen würde – in Zermatt gibts insgesamt 130 Hotels, dazu jede Menge Fremdenbetten –, aber das Monte Rosa ist in der Hinsicht doch etwas Besonderes, als hier im 19. Jahrhundert alles begann. Fast alles zumindest. Die ersten verrückten Engländer, die von Zermatt aus die 33 Viertausender der Umgebung bestiegen, quartierte noch der Dorfpfarrer bei sich ein, 1854 eröffnete dann sein Bruder das erste Hotel. Gegenüber der Kirche, das Monte Rosa. Das Schöne am frühen Kontakt mit dem Tourismus: Die streng katholischen Walliser boten früh ein leuchtendes Beispiel für gelebte religiöse Toleranz – 1870 errichteten sie für ihre englischen Gäste eine anglikanische Kirche: Saint Peter's, auch kein alltäglicher Anblick in europäischen Gebirgsdörfern.

Und hier war es auch, wo einigen sportlichen britischen Gentlemen um E. S. Kennedy, William Mathews und John Ball die Idee kam, einen Bergsteiger-Club zu gründen. Sie stiegen in den Sommermonaten mit ihren Schweizer Führern, die das ganze Jahr mit den Bergen leben mussten, den steilen Wiesen ein wenig Ertrag abtrotzten und kaum auf die Idee gekommen wären „nur so“ herumzuklettern, den ewig schneebedeckten Gipfeln entgegen. Im Winter darauf, vor genau 155 Jahren, gründeten sie im stilvollen Ashley’s Hotel in London den ersten und ältesten noch existierenden Alpinistenverein der Welt, den „Alpine Club“. Edward Whymper, eines seiner berühmtesten Mitglieder, brach von hier aus auf, um als erster Mensch das bis dahin unbezwingbare Matterhorn zu besteigen. Was ihm am 14. Juli 1865 tatsächlich gelang. „Um 13.40 Uhr lag die Welt zu unseren Füßen“, notierte er damals. Wenig später die Katastrophe: Beim Abstieg stürzten vier Seilkameraden in den Tod. Ein Unglück, das ganz Europa erschütterte – und zu wilden Gerüchten führte. Hatte Whymper das Seil durchgeschnitten, um sein eigenes Leben zu retten? Wohl eine bösartige Verleumdung, wenn man sich das zerfranste, gerissene Originalseil ansieht, das heute im „Zermattlantis“, einem multimedialen Matterhorn-Museum im Zentrum des Ortes, direkt auf dem Kirchenplatz, zu bestaunen ist. Was genau passiert ist, weiß allerdings nur Whymper selbst – und der nahm sein Geheimnis mit ins Grab.

Die Welt zu Füßen
Wenn auch nicht bis aufs Matterhorn, so doch auf viele der anderen spektakulären Berggipfel geht’s heute wesentlich sicherer und vor allem auch viel bequemer als zu den Zeiten der ersten britischen Zermatt-Touristen. In 20, 30 teilweise knapp 100 Metern Höhe schweben die Gondeln im gleißenden hochalpinen Sonnenlicht nach oben, dem Hohtälli entgegen, 3.273 Meter über dem Meer, dem 3.480 Meter hohen Plateau Rosa oder gar dem Klein Matterhorn. Das ist der mit 3.883 Metern höchste Punkt der Alpen, der mit einer Seilbahn erreicht werden kann. Die Abfahrt kann sich dementsprechend natürlich auch sehen lassen: 21 Kilometer geht es hinunter bis nach Zermatt, da ist man schon einige Zeit unterwegs.

Überhaupt: Mit mehr als 300 Pistenkilometern und insgesamt 63 Bergbahnen ist Zermatt eines der attraktivsten Skigebiete der Alpen. Und mit Hotels wie dem bereits erwähnten Monte Rosa, dem eleganten alten Zermatter Hof oder dem neuen, spektakulären Riffelalp auch eines der stilvollsten. Dazu tragen natürlich auch Hauben-„Skihütten“ wie das von Gourmetkritikern bejubelte Chez Vrony bei. Nicht ganz billig, aber wirklich gediegen. Dazu passen natürlich auch die in Zermatt durchaus üblichen kulturellen Highlights, von schicken Vernissagen wollen wir hier gar nicht reden, dafür von Auftritten der Berliner Philharmoniker im Rahmen des Zermatt-Festivals, jeweils im September. Unter anderem wird dabei in der Riffelalp-Kapelle gespielt, auf 2.222 Metern Seehöhe – das ist schon eine ordentliche Herausforderung für das berühmte „Berliner Blech“. Ein wenig jugendlicher, aber auch absolut hochkarätig: Zermatt Unplugged, mit Künstlern wie Lauryn Hill, Mando Diao, Aloe Blacc, Amy McDonald, Brooke Fraser und vielen anderen, die dort ausschließlich „ohne Strom“ spielen. Nicht schlecht, Herr Specht.

Die Welt zu Füßen
Was Sie sonst noch über Zermatt wissen könnten, aber nicht unbedingt müssen: Es ist der südlichste Ort des deutschen Sprachraums – auch wenn wir den regionalen Dialekt nicht unbedingt verstehen. Der Name bedeutet so viel wie „Zur Matte“ – wobei Matt oder Matte das walliserdeutsche Wort für Wiese ist. Eine Übereinstimmung, die im österreichischen Dialekt nur mehr besteht, wenn’s um das mehr oder weniger sprießende Haupthaar geht.

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