Wie sicher sind unsere Zoos?
Den 5. Juni 2012 wird Edith Stock ihr Leben lang nicht vergessen. Wie jeden Morgen ging die Salzburgerin mit ihrem Hund spazieren, als sich ihr plötzlich zwei Geparden bis auf eineinhalb Meter näherten. Stock wohnt nur 300 Meter vom Salzburger Zoo entfernt und ist tierische Ausreißer gewohnt: Ihr Sohn traf vor 15 Jahren auf einen damals entlaufenen Luchs, Nachbarn hatten afrikanische Antilopen im Garten und 1998 irrte ein Känguru durch Salzburg. Aber eine große Raubkatze, die bis zu 110 km/h schnell laufen kann – das war auch für Edith Stock neu. "Ich war wie erstarrt und schrie um Hilfe", erzählt die Frau.
Pannenserie
Nur einen Monat danach entwischte abermals in Salzburg ein Gepard durch ein Loch im Zaun, und vergangenen Sonntag kletterte ein Luchs über das dreieinhalb Meter hohe Gehege und verschwand im Wald. "Was ist los im Tiergarten?", sagt Edith Stock. "Ich hoffe, es kommt kein Tiger aus."
Beim Geparden-Ausbruch vermutete die Zooleitung einen Sabotageakt. Direktorin Sabine Grebner berichtete, dass Jugendliche immer wieder als Mutprobe in der Nacht in den Zoo klettern würden. Seitdem sei das Wachpersonal auch nachts im Tiergarten unterwegs; außerdem hätte man im Gelände zusätzliche Kameras angebracht. "Beides ist sinnlos", sagt Wildtierexperte Henning Wiesner, der 29 Jahre lang Zoo-Direktor in München war. "So ein großes Gelände wie den Salzburger Tiergarten kann man nicht überwachen."
Im Alpenzoo Innsbruck ist nur der Eingangsbereich videoüberwacht. Erst vor ein paar Wochen öffneten Unbekannte das Tor zum Rehgehege. "Sabotage und menschliches Versagen kann man nie ausschließen", sagt Kurator Dirk Ullrich. 2005 schnitt ein Besucher ein ein Quadratmeter großes Loch in die Adler-Voliere. Und vor zehn Jahren entkam ein Pärchen Luchse, weil ein Mitarbeiter die Türe nicht richtig geschlossen hatte. Von einem der Tiere fehlt bis heute jede Spur.
"Kleine Katzen wie Luchse können eher ausbrechen, weil sie leichter sind und daher besser klettern können", erklärt Salzburgs Zoo-Tierarzt Jochen Lengger. Löwenmännchen Eisi wiegt 210 Kilo und wird durch einen 4,50 Meter hohen Elektrozaun mit Überhang geschützt. Lengger: "Wenn das System merkt, dass die Stromzufuhr unterbrochen wird – etwa durch herabfallende Äste – löst es Alarm aus." Künftig sollen im Salzburger Zoo alle Raubtiergehege mit diesem neuen Stromsystem ausgerüstet werden – Kosten: 10.000 Euro pro Gehege.
Abschreckung
Lediglich 8000 Volt fließen durch die Elektro-Zäune im Tiergarten Schönbrunn (ebenso in Salzburg und Tirol ) – das ist nur so viel wie bei einem handelsüblichen Weidezaun. "Der Zaun hat bloß eine abschreckende Wirkung", sagt Gerhard Kasbauer, der stellvertretender Direktor in Schönbrunn. Strom benötige man in der Eingewöhnungsphase, bis das Tier sein Revier kenne. "Aber im Ernstfall, wenn ein Tier in Panik gerät, hilft auch ein Elektrozaun nicht." So geschehen im Juni im Nürnberger Zoo, als ein aufgescheuchter Gepard senkrecht über den drei Meter hohen, stromgesicherten Zaun flüchtete. Kasbauer: "Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit." Die größte Gefahr gehe immer vom Menschen aus. So spazierte ein Brillenbär im August 2009 durch den Zoo, weil ein Wärter vergessen hatte, das Gehege zu versperren. "Die Routine ist unser größter Feind."
Fatale Fehler
Im schlimmsten Fall enden solche Fehler tödlich: Erst vorigen Samstag starb im Kölner Zoo eine Pflegerin, die vergessen hatte, einen Sibirischen Tiger bei Reinigungsarbeiten einzusperren. Und im Jahr 2002 tötete in Schönbrunn ein Jaguar eine Pflegerin durch einen Hals-Genick-Biss. Die 21-Jährige hatte bei der Fütterung eine Luke zu den Großkatzen offen gelassen.
"Die höchsten Sicherheitsstandards wie ausgeklügelte Schließsysteme und Schleusen mit doppelten Türen helfen nicht bei menschlichem Versagen", sagt Walter Reisp, Leiter der MA 60, der Veterinärabteilung der Stadt Wien, die den Tiergarten Schönbrunn monatlich kontrolliert. Reisp zieht einen Vergleich zum Alltag: "Der Autobus, in dem sie sitzen, kann noch so sicher sein; wenn der Lenker einen Herzinfarkt hat, haben Sie trotzdem ein Pech."
Gorilla schwang sich auf Palmwedel ins Freie
Sechs Geparden sind heuer aus Zoos im deutschsprachigen Raum ausgebrochen – drei in Salzburg, zwei in Nürnberg und einer in Köln. Doch auch anderen großen, gefährlichen Tieren gelingt immer wieder die Flucht:
Im australischen Melbourne schwingt sich im April 2009 ein Gorilla auf einem Palmwedel, der in sein Gehege ragt, über die Umzäunung . Der Zoo wird evakuiert, der Affe eingefangen.
Im Jänner 2010 gelingt es in Südschweden zwei Wölfen, den Zaun ihres Geheges zu zerbeißen; drei weitere Wölfe hauen später durch ein anderes Loch ab.
Auf der Touristeninsel Gran Canaria erschießt die spanische Polizei im März 2010 drei Tiger, die wegen der Unachtsamkeit eines Mitarbeiters aus einem Zoo entkommen sind.
Im US-Staat Ohio öffnet der Betreiber eines Privat-Zoos im Oktober 2011 vor seinem Selbstmord die Gehege. Mehr als 50 frei herumlaufende Bären, Tiger, Löwen, Geparde, Orang-Utans und Kamele versetzen eine Kleinstadt in Angst und Schrecken; zum Glück wird niemand getötet.
In der spanischen Metropole Barcelona können im März 2011 zwei Wölfe aus ihrem Areal fliehen. Sie werden im Zoo eingefangen.
Ein 180 Kilo schwerer Gorilla entkommt im Februar 2012 aus seinem Gehege im Zoo von Buffalo (USA) und beißt eine Pflegerin.
Im April 2012 töten die in einem japanischen Tiergarten ausgekommenen Bären zwei Pflegerinnen. Die herbeigerufenen Einsatzkräfte trauen sich stundenlang nicht auf das Zoo-Gelände.
Bei der Flucht von fünf Schimpansen im Zoo Hannover wird im Juli 2012 ein fünfjähriges Mädchen am Kopf verletzt. Die Affen hatten einen Wassergraben, der ihr Gelände umgab, mit Hilfe von ins Wasser gefallenen Ästen überwunden.
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