Wenn der Sohn den "Dschihad" will

Wenn der Sohn den "Dschihad" will
Salafisten: Mehrere junge Muslime aus Wien zogen in den Heiligen Krieg. Eine Mutter erzählt, wie sich ihr Kind von ihr entfremdete.

Früher hörte er den Rapper Sido, nach seiner Metamorphose lauschte er dem Hassprediger Pierre Vogel. Goran M. maturierte an einer HTL mit Auszeichnung, leistete seinen Zivildienst ab und träumte von einem Technikstudium.

Derzeit fehlt von ihm jede Spur. Der 23-Jährige konvertierte zum Islam, wurde zum Salafisten und zog vielleicht in den Heiligen Krieg. Vielleicht? "Ich weiß nicht, wo er ist. Ich weiß auch nicht, ob er noch lebt", sagt seine Mutter, Godana G., 45 ( Name geändert ). Am Mittwoch stünde ihr Sohn mit fünf Mitangeklagten wegen "Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" vor Gericht. Goran M., der von seinen Brüdern Hamza al-Serbi gerufen wird, dürfte dem Prozess fernbleiben. Seine Mutter mutmaßt nach einem Telefonat mit seiner Frau, dass er seit Oktober 2011 in Libyen ist.

Goran M. gehörte einer Clique junger Wiener Muslime an, die sich dem Salafismus, einer rigiden Form des politischen Islam, angeschlossen hat. In Deutschland sorgten die frommen Vollbartträger, die vom islamischen Staat halluzinieren, mit ihren Koran-Verteilungen für Proteste. Hierzulande wurden ebenso Exemplare verschenkt, jedoch weiß man weit weniger über die Szene: Der Verfassungsschutz hält zwar Augen und Ohren offen, äußert sich aber offiziell nicht.

Thomas Schmidinger gab 2008 das Handbuch des politischen Islam heraus. "Damals war von Salafisten keine Rede", sagt der Politologe mit Schwerpunkt politischer Islam. In und rund um Wien gebe es nun hundert bis zweihundert Anhänger. "Das ist eine relativ rasch wachsende Gruppe." Österreichweit sind es einige Hundert, die zwar politisiert und missionarisch, aber nicht gewaltbereit sind. Die "totalitäre Ideologie" hält Schmidinger aber für "nicht ungefährlich".

Im Kampf gefallen

Die Szene organisiert sich in losen Netzwerken. In der Wiener Clique waren nicht nur Maulhelden. Wer es in ein Ausbildungslager schaffte, um sich ideologisch und militärisch schulen zu lassen, hatte Heldenstatus. Kerim B.-A. hatte diesen Nimbus des Heiligen Kriegers. Der Sohn einer Österreicherin und eines Tunesiers war 16 Jahre alt, als er am 23. Mai 2009 mit seinem Freund Maqsood L. nach Pakistan auswanderte. B.-A. riet im Abschiedsbrief seiner Mutter, sie solle zum Islam konvertieren, damit sie nach dem Tod vereint seien. Das Ende war fatal: Kerim B.-A. schloss sich der Islamischen Bewegung Usbekistan an und soll laut Anklage im Kampf gefallen sein. L. kehrte mit Anschlagsplänen zurück und ist in Berlin angeklagt.

Goran M. hatte Kontakt zu B.-A. – so wie der Hauptangeklagte. Er wurde schleichend zu Hamza al-Serbi, betete viel, verhüllte Bilder an den Wänden, ließ sich vor dem PC von Predigten Pierre Vogels berieseln, erzählt die Mutter. "Gegen die Religion habe ich nichts. Aber ich habe etwas dagegen, wie er sie auslebt."

Godana G. wollte verstehen: Sie begleitete ihn in die Moschee, unterstütze ihn finanziell. Ihr Sohn sehnte sich nach einem anderen Leben. Ende 2009 und im Mai 2010 wollten auch er und Mitangeklagten zu Helden werden, scheiterten aber zwei Mal beim Versuch, nach Somalia einzureisen. Nur einer kam an. Die Justiz vermutet, dass ihr Ziel ein Terrorcamp der Al-Shabab-Milizen war. Endstation für Goran M. war Kairo, wo ihn seine verzweifelte Mutter aufstöberte, ihn anflehte, heimzukommen. Monate später stand er vor ihrer Tür, um dann wieder zu verschwinden.

Warum ihr Sohn diesen Weg einschlug, darüber denkt die 45-Jährige viel nach. Für Schmidinger ist das die wichtigste Frage: "Warum sind solche Bewegungen so attraktiv? Diskriminierung, Sinngebung und individueller Probleme" seien ausschlaggebend, sagt er. Godana G. will ihr Kind nun in Libyen suchen. "So wie für ihn die Religion der Sinn des Lebens ist, so ist er es für mich. Ich will von ihm nur hören: ,Ich lebe, es geht mir gut"."

Gerichtsprozesse in Wien und auch in Berlin

Der Bart von Thomas A.-J. ist ab. Seit 15. Juni des Vorjahres sitzt der 26-jährige, zweifache Vater in U-Haft. Dort soll er geläutert, gar "unradikal" geworden sein, sagt sein Anwalt, Lennart Binder. Die Wiener Staatsanwaltschaft hält ihn für den Kopf einer Terror-Vereinigung. Am Mittwoch steht Thomas A.-J., alias Ismail, mit fünf Mitangeklagten vor Gericht. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Ihm wird vergeworfen, Kerim B.-A. mit 5200 Euro unterstützt zu haben. Ismail will seinem Freund, der eine Koranschule besuchte, finanziell unterstützt haben. Der Wiener B.-A. ist in den Augen der Justiz aber ein Terrorist gewesen, und A.-J. sein Unterstützer. Ein weiterer Vorwurf: Ismail soll Reisen in "Terrorcamps", etwa nach Somalia, organisiert haben. Er habe dort "leben wollen", entgegnete er, und dies sei, wie sein Anwalt vor Monaten festhielt, "nicht verboten". Die Anklagebehörde fasste die Umtriebe der sechs unter "Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" zusammen. In Berlin läuft ein Prozess gegen einen Deutschen und den Wiener Maqsood L., der mit Kerim B.-A. nach Pakistan ging und mit Anschlagsplänen zurückgekehrt sein soll.

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