Vranitzky: "Ein Reform-Schub ist nötig"

Vranitzky: "Ein Reform-Schub ist nötig"
Ex-Kanzler Franz Vranitzky über FPÖ, die Affäre Golowatow und die Versäumnisse europäischer Regierungen - auch Österreichs.

Franz Vranitzky (73) geht mit den Regierenden in den EU-Mitgliedsstaaten - inklusive Österreich - hart ins Gericht. Beschlüsse zur Bewältigung der Krise würden zu langsam umgesetzt, ein dringender Reformschub sei nicht in Sicht.

In der Affäre um den von Österreich rasch freigelassenen mutmaßlichen Kriegsverbrecher Michail Golowatow hält der frühere SPÖ-Kanzler (1986 bis 1997) die Kritik von Ex-Vizekanzler Erhard Busek für angemessen.

KURIER: Hochschaubahn an den Börsen, Politiker, die sich nicht abstimmen. Was läuft zwischen der Politik und dem Finanzsektor falsch?
Franz Vranitzky:
Ich halte mich an das, was Notenbank und Wirtschaftsforscher sagen. Sie äußern sich ernst, besonnen und konstruktiv. Aber: Wir stehen alle im Bann hoher Staatsverschuldungen und der Sorge, dass diese Schulden noch zunehmen.

Was wäre zu tun?
Man muss das in den kommenden Jahren reparieren. Der Satz ist abgegriffen, aber er trifft zu: In jeder Krise liegt auch eine Chance. Diese Chance muss schlicht und einfach die Politik wahrnehmen. Der Ernst der Lage müsste die europäischen Regierungen zu einem Reformschub zwingen. Wir brauchen dringend eine europäische Koordinierung in der Wirtschaftspolitik. Und: Man darf sich nicht nur mit der Schuldenkrise befassen, sondern wir brauchen auch Vorwärts-Strategien.

Vom wem sollte der Schub ausgehen?
Von den Großen und von Allianzen der kleinen und mittleren Staaten, von denen etliche konjunkturell und finanziell besser dastehen als mancher große. Ich meine, die kleinen und mittleren könnten für einen Ruck sorgen. Da könnte auch die österreichische Regierung aktiv werden.

Zeichnet sich da etwas ab?
Leider nein. Im Gegenteil. Beschlüsse, die auf EU-Ebene schon getroffen wurden, werden nicht mit dem nötigen Tempo umgesetzt. Den Europäischen Stabilitätsfonds etwa, der vor dem Sommer beschlossen wurde, gibt es noch immer nicht.

Woran liegt das?
Teilweise an parlamentarischen Vorgängen. Aber hauptsächlich daran: Die nationalen Regierungen haben jahrelang keine aktive Europa-Politik betrieben. Damit hat sich bei vielen Menschen eine ernst zu nehmende EU-Skepsis entwickelt. Mit dem Zuwachs an EU-Skeptikern haben die Regierungen begonnen, um Stimmen zu bangen. Das ist mittlerweile ein Teufelskreis, weshalb mutige Schritte in der Gemeinschaftspolitik unterbleiben. Ich halte eine Politik für richtig, den Leuten zu beweisen, dass wir mehr Gemeinschaftspolitik brauchen.

Richtet sich diese Kritik auch an die österreichische Regierung?
Die tanzt da nicht aus der Reihe.

Die EU-Skeptiker holt die FPÖ ab.
Die FPÖ hat für nichts eine Lösung, aber zwei, drei Themen, die sie täglich hinausschreit. Dem wird derzeit leider sehr wenig entgegengesetzt.

Die ÖVP schließt trotz der rechten Ausritte und dem Richterspruch gegen Uwe Scheuch eine Koalition mit der FPÖ nicht aus. Die Bundes-SPÖ bleibt hingegen bei ihrem Nein zu Blau. Was sagen Sie dazu?
Bei der SPÖ weiß der Wähler, dass es Rot-Blau nicht geben wird. Es gibt schon welche, die meinen, man müsse sich diese Option aus taktischen Gründen offenhalten. Da sage ich aber: Eine sozialdemokratische Bewegung darf sich entsprechend ihrer Grundsätze dieser Taktik nicht bedienen. Die Wähler werden diese klare Haltung honorieren.

Zwischen Österreich und den EU-Partnern in den baltischen Staaten herrscht seit der raschen Freilassung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Michail Golowatow Eiszeit. Wie bewerten Sie diese Affäre?
Dass es zur Freilassung kam, liegt daran, dass mehrere Schaltstellen im Staat falsch reagiert haben. Es ist mittlerweile Allgemeingut, dass man Litauen zu wenig Zeit gegeben hat, um den Tatverdacht zu begründen.

Ex-Vizekanzler Erhard Busek hat Golowatows Freilassung im KURIER scharf kritisiert und Rücktritte der verantwortlichen Politiker gefordert. Gehen Sie auch so weit?
Dass Erhard Busek mit seiner angemessenen Kritik nichts bewirken würde, war vorauszusehen. Interne Auseinandersetzungen in der österreichischen Volkspartei gehen mich nichts an. Sie sind mir daher egal. Dass ein Sekretär (ÖVP-General Hannes Rauch, Anm.) den ehemaligen Obmann der eigenen Partei öffentlich rustikal anrempelt, ist aber jedenfalls verhaltensoriginell.

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