Ungarn am Pranger des Europa-Parlaments
Noch bevor Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seinen geschickt inszenierten Auftritt Mittwochnachmittag im Europäischen Parlament hatte, sorgte er für Wirbel, vor allem in seiner politischen Familie, der Europäischen Volkspartei (EVP). Seit Dienstagabend war er in der elsässischen Hauptstadt, etliche EU-Granden wollten ihn zu informellen Gesprächen treffen. Doch Orbán schlug jeden Wunsch aus.
Der neu gewählte Parlamentspräsident Martin Schulz wurde vom rechtsnationalen Regierungschef ebenso abgewiesen wie der Fraktionsvorsitzende der EVP, Joseph Daul. "Wir sind wirklich sauer", kommentierte ein hochrangiger deutscher CDU-Politiker dieses Verhalten. Seine Parteifreunde konstatierten durch die Bank, dass sich Orbán "sehr verändert" habe. "Er verwechselt sich selbst mit dem Staat, und das ist immer gefährlich", sagt der langjährige Abgeordnete Elmar Brok. Er kennt Orbán seit mehr als 23 Jahren.
Dass der Fidesz-Chef auf eigene Initiative in das Europa-Parlament kam, um sich zu den drei Vertragsverletzungsverfahren zu erklären, die die EU-Kommission gegenüber der ungarischen Regierung erlassen hat, macht die Volksvertretung zu einer wichtigen Bühne der innereuropäischen Konfliktlösung.
Die EU-Kommission hat ein Schnellverfahren eingeleitet, weil Ungarn bei drei Gesetzen europäisches Recht missachtet: bei der Unabhängigkeit der Notenbank, dem Pensionsantrittsalter von Richtern und der Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten. Auf Warnungen aus Brüssel hat Budapest nicht reagiert, jetzt hat Ungarns Regierung vier Wochen Zeit, die Gesetze an EU-Standards anzugleichen.
Erstmals äußerte sich auch ÖVP-Abgeordneter Othmar Karas kritisch zu Ungarn. Der frisch gewählte Vizepräsident des Europa-Parlaments – Karas ist seit gestern der ranghöchste österreichische EU-Politiker – verlangt von Orbán, dass er "alles korrigiert, was die Kommission beanstandet hat". Das Verfahren sei keine Einmischung in ungarische Angelegenheiten. Karas: "Die EU ist ja nicht Ausland."
Signale
Orbáns spontane Reise nach Straßburg zeigt, dass er im Streit mit der EU einlenken will. Nicht weil er prinzipiell politisch einsichtig ist, sondern weil er unter dem Druck der Schuldenlast dringend finanzielle Hilfe von EU und IWF braucht. "Wir sind bereit, uns alles anzuhören", signalisierte der Ministerpräsident vorab in Interviews.
Einen positiven Effekt zeigte die Rede Orbáns in Straßburg: Die ungarische Währung, der Forint, legte leicht zu, die Investoren zeigten sich zuversichtlich.
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