Tirol: Neue Vorwürfe im Fall Nadina

Tirol: Neue Vorwürfe im Fall Nadina
Seit einer Routine-OP ist das Kind schwer behindert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ärzte.

50 Minuten lang wurde der Kreislauf der erst sechs Wochen alten Nadina in der Innsbrucker Kinderklinik nicht überwacht. Medikamente wurden verabreicht, die nicht zugelassen oder nicht indiziert waren. Noch dazu in viel zu hohen Dosen. Dies alles und noch viel mehr führt der deutsche Experte Jochen M. Strauß in einer neuen Stellungnahme zum Fall des Mädchens aus.

Wie sich die involvierten Mediziner dazu rechtfertigten, kann er aber offenkundig kaum fassen: Mit Personalmangel, oder dass es "hausinterner Standard" sei, auf Dokumentationen während der Narkose und im Aufwachraum zu verzichten.

"Als wir am 25. August das Gutachten präsentierten, in dem Strauß viele medizinische Sorgfaltsmängel aufzählt, haben wir gedacht, dass es kaum schlimmer kommen kann", erklärt Tirols Arbeiterkammerpräsident Erwin Zangerl. Doch jetzt ergebe sich zusätzlich zum Zivil-Streit um Schadenersatz für Nadina auch noch der Vorwurf, dass Fehler systembedingt sein könnten: "Schon im April haben wir bei der Staatsanwaltschaft beantragt, die Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz zu prüfen", sagt Anwalt Thomas Juen, der Nadinas Interessen vertritt. Gestern wurde der Staatsanwaltschaft auch Strauß' Stellungnahme übermittelt, weil aufgrund dieser Ausführungen eine Gefährdung weiterer Patienten nicht auszuschließen sei.

Gehirnschaden

Wie berichtet, hatten Indira und Manfred Strobl ihr Baby im Jänner 2008 zu einer Leistenbruch-Operation in die Klinik gebracht. Doch dort erlitt Nadina einen so schweren Gehirnschaden, dass sie wohl ein Pflegefall bleiben wird. Knapp vier Jahre alt, liegt ihr Entwicklungsstand auf dem eines sechs Monate alten Kleinkindes. Nadina kann nicht gehen, nicht sprechen, ihre Hände nicht benutzen.

"Strauß bestätigt, was wir seit Jahren sagen: Dass die Strukturen an der Klinik nachhaltig zerstört sind", fordert Gabriele Fischer von der Elterninitiative ein Schuldeingeständnis und den Rücktritt der Tilak-Führung. Dort ist man um Aufklärung bemüht und will mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten. (Anfangs war von einer angeborenen Stoffwechselerkrankung und schicksalhaftem Verlauf die Rede.) Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen drei Ärzte wegen fahrlässiger Körperverletzung und gegen die Tilak nach dem Verbandverantwortlichkeitsgesetz. Für Nadina flossen mittlerweile 70.000 Euro als Soforthilfe.

Zitiert

Auf 17 Seiten befasst sich Experte Strauß mit Stellungnahmen und schreibt:
"Die für die Unterlassung der Überwachung genannten Gründe (Personalmangel, Umzug) kann ich weder als Gutachter noch als Arzt akzeptieren."
Ein Anästhesist "führt als Begründung für den Einsatz der ungeeigneten Infusionslösung an, dass diese Lösung 2008 von der Apotheke als einzige für Kinder dieses Alters geeignete Infusion zur Verfügung gestellt wurde. - Das ist irrelevant, weil die Umsetzung und Einhaltung von Standards im Verantwortungsbereich der zuständigen Chef- und Oberärzte ... liegt."
Und zum Kapitel zur "Infusionstherapie bei Kindern" in einem Buch über den Standard an der Klinik, bei dem ein involvierter Arzt 2011 Mit-Herausgeber war: "Die Angaben im Buch sind teilweise falsch und irreführend sowie missverständlich oder unpräzise formuliert. Für die Umsetzung ... ist das Büchlein völlig ungeeignet."

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