Streitgespräch: Nahe am Überwachungsstaat

Abhörtechnik sieht heute oft anders aus
Die Polizei bekommt mehr Rechte. Experten streiten, was einer Gesellschaft wichtiger sein sollte: Freiheit oder Sicherheit?

Ist Österreich auf dem Weg zum totalen Überwachungsstaat? Darüber und über andere Fragen mehr diskutieren Peter Gridling, Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, und der Präsident des Rechtsanwaltskammertages, Rupert Wolff. Hintergrund: Mit erstem April tritt die Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes in Kraft.

KURIER: Sind wir auf dem "amerikanischen" Weg zum totalen Überwachungsstaat?

Peter Gridling: Nein. In den letzten Jahren gab es einen Trend zu radikalisierenden Einzeltätern. Der wird nach derzeitigem Recht aber erst dann für die polizeiliche Gefahrenabwehr ein Thema, wenn seine Tat unmittelbar bevorsteht. Und das ist reine Glückssache, ob man das mitbekommt. Aus der Analyse solcher Fälle hat man gesehen, dass diese Täter im Vorfeld Signale setzen, die schon vorher diese Gefahr annehmen lassen. Die Polizei darf nur tätig werden, wenn sich ihr eine Aufgabe stellt. Mit der erweiterten Gefahrenerforschung bei der Einzelperson wird vom Gesetz nun eine solche Aufgabe definiert.

Rupert Wolff: Sicherheit ohne Freiheit ist nichts wert. Wir befürchten eine weitgehende und zu offene Ermittlungstätigkeit zugunsten der Polizeibehörden, etwa wenn die Handy-Ortung ohne richterlichen Beschluss möglich ist. Wo Daten angesammelt werden, drohen diese missbraucht zu werden oder verloren zu gehen. In Großbritannien hatte ein Bote der Gesundheitsbehörde einen Unfall und eine CD mit Gesundheitsdaten von 100.000 Engländern war weg. Das Gleiche ist bei uns in Tirol mit Gesundheitsdaten geschehen. Bevor wir eine Verschärfung der Eingriffe in die Freiheits- und Grundrechte gutheißen, sollten wir auswerten, was die Maßnahmen bisher gebracht haben.

Gridling: Ich muss klar widersprechen. Daten können überall verloren gehen. Für den behaupteten Verlust von 600.000 Daten der Tiroler Gebietskrankenkasse gab es keinen Beweis. Wir sollten nicht Panikmache betreiben.

Streitgespräch: Nahe am Überwachungsstaat

Gibt es Beispiele, wo Verbrechen nicht verhindert oder nicht aufgeklärt wurden, weil die Richtlinien für Observationen im Vorfeld zu eng gezogen waren?

Gridling: Wir haben zurzeit keinen solchen Fall. In den Medien wird der "Breivik von Traun" als Beispiel genannt (Johann Neumüller – Amokläufer aus OÖ und fremdenfeindlicher Ex-Soldat – hat einen Menschen getötet und zwei schwer verletzt, Anm.). Auch mit den neuen Regelungen wären wir aber nicht in der Lage gewesen, das zu verhindern. Wer vorgibt, 100 Prozent Sicherheit zu garantieren, ist ein Scharlatan. Plastisch gesagt: Wenn die Leiche auf der Erde liegt, ist die Lage klar, da brauche ich über die Gefahr nicht mehr reden. Aber wenn der Täter eine Waffe bei sich trägt und noch die Möglichkeit hat, von seinem Entschluss Abstand zu nehmen, ist die Sache schon nicht mehr so klar, und trotzdem droht hier eine Gefahr. Das sind Vorfeld-Handlungen, die sich zu einer konkreten Gefahr manifestieren können.

Wolff: Wo Befugnisse weit und mit schwammigen Begriffen eingeräumt werden, dort besteht die Gefahr, dass davon auch in weitem Umfang Gebrauch gemacht wird. Ein Beispiel: Die Novelle sieht vor, dass die Observation von Personen mit der Übermittlung elektronischer Signale erfolgen kann. Da ist an Peilsender gedacht. Warum schreibt man nicht Peilsender ins Gesetz? Weil elektronische Signale sind auch die von uns befürchtete Trojaner-Software.

Gridling: Gemeint war tatsächlich der Peilsender, das wurde in den Erläuterungen klargestellt. Aber Technologien verändern sich schnell, deshalb hat man versucht, allgemeiner zu formulieren. Sonst müsste man immer das Gesetz nachbessern.

Wolff: Lieber eng formulieren und nachbessern, denn es geht um die potenzielle Gefährdung von Freiheitsrechten. Es ist Teil meiner Aufgabe wie ein Bluthund zu schnüffeln, wo ist etwas zu weit gefasst. Und die Politiker müssen den Mut haben, ein Gesetz auch einmal zurückzunehmen bzw. nur zu beschließen, wenn fundiertes Material da ist, dass eine Notwendigkeit besteht.

Betroffene müssen im Nachhinein nicht informiert werden, dass sie bespitzelt wurden. Ist das zu viel Arbeit für die Polizei?

Gridling: Die Polizei wehrt sich nicht gegen Rechtsschutz. Das ist ein Anliegen, das man durchaus diskutieren kann.

Wolff: Wenn ich als Ihr Anwalt in Ihrem Auftrag beim Finanzamt den Einheitswert Ihrer Eigentumswohnung abfrage, dann verständigt Sie das Finanzamt davon. Das ist gelebter Rechtsschutz. Und bei Handyortungsdaten ist das demokratische Hygiene, wenn man den Verdächtigen nach Wegfall der Gefahr davon verständigt.

Gridling: Wir hätten kein Problem damit.

Warum steht es dann nicht im Gesetz?

Wolff: Der Gesetzgeber ist ein bissl zach.

Großer Lauschangriff und Rasterfahndung werden in Österreich kaum eingesetzt. Wozu brauchen wir dann noch mehr Überwachungsmethoden?

Gridling: In einer Gesellschaft, die so von Daten abhängig ist, muss es auch solche Werkzeuge geben, damit ich damit etwas aufklären kann. Auch wenn es nur als letzte Maßnahme eingesetzt werden soll. Und diese Maßnahme erfordert hohen Aufwand, daher hat man selbst Scheu davor, das leichtfertig anzuwenden.

Wolff: Die Forderung an den Gesetzgeber, Begriffe eng zu formulieren, ist auch eine Erleichterung für die Sicherheitspolizei. Dann weiß sie: Wir dürfen zwar Peilsender verwenden, aber keine Trojaner.

Brauchen Sie Trojaner?

Gridling: Bei dieser Technologie muss man sehr vorsichtig sein. Computer werden im Familienverband benutzt. Hier gibt es viele Unwägbarkeiten.

Wolff: Der Trojaner darf nicht kommen.

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