Streit mit Wien: Litauen schaltet EU-Parlament ein
Zwischen Vilnius und Wien herrscht diplomatische Eiszeit. Der litauische Premier Kubilius wirft Österreich "Missachtung europäischer Solidarität" vor, ein Politikwissenschaftler des baltischen Staates schimpft es gar "beschissenes kleines Land". Auslöser der Aufregung: die Freilassung eines von Litauen gesuchten russischen Ex-KGB-Offiziers durch die österreichischen Behörden am Freitag. Der 62-jährige Mikhail G. war am Donnerstag bei einem Zwischenstopp in Wien-Schwechat aufgrund eines europäischen Haftbefehls aus Vilnius festgehalten worden. 24 Stunden später wurde der Mann jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt und entschied, nach Moskau zurückzufliegen.
"Blutsonntag"
Mikhail G. ist in Litauen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, während des litauischen Unabhängigkeitskampfes von Moskau für den Tod von zahlreichen Menschen verantwortlich gewesen zu sein. Am 13. Jänner 1991, dem "Blutsonntag", hatte eine sowjetische Spezialeinheit unter dem Kommando von G. den Fernsehturm in Vilnius gestürmt, in dem sich Regime-Gegner verschanzt hatten. 14 von ihnen starben, bis zu 1000 wurden verletzt. G. will von den Anschuldigungen nichts wissen. Litauen versuche, Personen verantwortlich zu machen, "die nichts damit zu tun" hätten, sagte er der Nachrichtenagentur RIA Novosti nach seiner Rückkehr nach Moskau. ( Video: Die Ereignisse vom Jänner 1991)
Dass G. freigelassen wurde, ist für Litauens Präsidentin Grybauskaite eine "politisch nicht zu rechtfertigende Handlung, die die Rechtszusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten kompromittiert". Litauen hat dem österreichischen Geschäftsträger in Vilnius, Sigmund, am Montag eine Protestnote und ein Geschichtsbuch überreicht und seinen Botschafter in Wien zurückbeordert - die zweitschärfste diplomatische Sanktion nach dessen Abzug. Vor Österreichs Vertretung demonstrierten Hunderte Menschen. Medien zufolge vermutet man eine Einflussnahme durch Russland.
Laut österreichischem Außenministerium wurde G. freigelassen, da die im europäischen Haftbefehl von Litauen gelieferten Informationen "zu vage" gewesen seien. "Es gab ein Ansuchen aus Litauen, wir haben da eine Frist gesetzt, zu der die Unterlagen mit ganz konkreten Angaben geliefert werden sollten", sagte Außenminister Spindelegger (ÖVP) am Montag. "Diese Frist ist verstrichen. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft entschieden, keinen Haftantrag zu stellen." Diese Entscheidung der unabhängigen österreichischen Justiz sei zur Kenntnis zu nehmen.
"Verwegene Ohrfeige"
Litauen behauptet dagegen, es habe sämtliche Erfordernisse für den Haftbefehl erfüllt und nie ein offizielles Ersuchen aus Österreich über zusätzlich erforderliche Informationen erhalten. Litauen will nun die europäische Justizbehörde Eurojust und das Europaparlament einschalten. Man wolle nach Österreichs "verwegener Ohrfeige" fragen, "ob die EU immer noch durch ein gemeinsames Konzept der Gerechtigkeit verbunden" sei oder ob verschiedene Rechtsregeln für verschiedene EU-Mitglieder gälten, so Parlamentspräsidentin Degutiene.
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