Sprachwissenschafter über Expertenrat verwundert

Bei der vorwöchigen Tagung des Expertenrats sei von Ausländerklassen noch keine Rede gewesen. Rudolf De Cillia vom Wiener Linguistik-Institut fühlt sich gepflanzt.

Für "nicht sinnvoll" hält der Sprachwissenschafter Rudolf De Cillia (Uni Wien) eine "Segregation von Kindern in eigenen Ausländerklassen". Diese sei "natürlich auch eine Stigmatisierung von Kindern mit anderen Erstsprachen", so de Cillia. Sinnvoller wäre es, mit mehr Lehrkräften neben dem regulären Unterricht auch die deutsche Sprache zu fördern und den Kindern mehr Zeit für den Spracherwerb zu geben. In der Lehrerausbildung bzw. -fortbildung wiederum müsse der Umgang mit mehrsprachigen Klassen stärker in den Mitttelpunkt gestellt werden.

Respektloser Umgang mit Expertise

"Gepflanzt" fühlt sich De Cillia von der Vorgangsweise des Expertenrats für Integrationsfragen. Erst in der Vorwoche habe es in Wien eine von diesem veranstaltete Tagung mit nationalen und internationalen Experten gegeben, bei der er auch einen Workshop geleitet habe. "Dort hat kein einziger für ein segregatives Modell plädiert, keine einzige Stellungnahme ging in diese Richtung." Grundtenor wäre vielmehr gewesen, die Mehrsprachigkeit von Kindern mit Migrationshintergrund als Ressource zu sehen und zu fördern. "Dass da zunächst große wissenschaftliche Expertise zusammengerufen wird und dann eine Empfehlung ausgesprochen wird, die dem entgegenläuft, zeigt einen respektlosen Umgang mit dieser Expertise."

Alternative zum "Kurz-Modell"

Für sinnvoller hält es der Wissenschafter, mittels zusätzlicher Lehrkräfte neben dem regulären Unterricht die deutsche Sprache zu fördern. Im regulären Unterricht hätten die Kinder dann auch die "Peer Group" der Gleichaltrigen - "Spracherwerb findet ja auch über das `Sprachbad" statt, indem man einfach mit den anderen kommuniziert". Klar müsse auch sein, dass der Erwerb einer Zweitsprache Zeit brauche. "Das geht nicht in einem Jahr, das braucht vier bis sechs Jahre." Wenn man wirklich die Bildungsbeteiligung von Kindern mit anderer Erstsprache fördern wolle, müsse man mit der Trennung in Hauptschule und AHS-Unterstufe im Alter von zehn Jahren aufhören. Hierfür gebe nämlich unter anderem die Deutsch-Note in der Volksschule den Ausschlag.

Außerdem gehe es nicht nur um Deutsch, betonte De Cillia. "Kinder haben auch ein Recht auf Literalisierung in ihrer Muttersprache." Auch einheimische Kinder würden Dinge wie die Unterscheidung zwischen drittem und viertem Fall erst in der Schule lernen. Mit der Förderung von Kindern in ihrer Muttersprache würde später auch ein immer wieder geäußerter Bedarf etwa bei Polizei oder in der Kindergartenpädagogik abgedeckt. Darüber hinaus sei eine solide Entwicklung der Erstsprache sicher auch eine Voraussetzung für die Entwicklung der Zweitsprache Deutsch bzw. anderer Fremdsprachen.

In der Lehrerbildung wiederum plädiert de Cillia für eine stärkere Fokussierung auf den Bereich Mehrsprachigkeit. "Wer vor 30 Jahren seine Ausbildung gemacht hat, muss erst lernen, wie man mit mehrsprachigen Klassen umgeht." Auch in der aktuellen Lehrerausbildung gebe es nur ganz wenige Pflicht-Lehrveranstaltung in diesem Bereich. "Man kann nicht so tun, als ob alle Kinder Deutsch als Erstsprache haben."

Für die Umsetzung von Kurz` Vorschlag wäre auch eine Änderung der Rechtslage erforderlich, betonte De Cillia. Derzeit sei die Schulreife eindeutig so geregelt, dass ein Kind nicht wegen mangelnder Deutschkenntnisse in die Vorschule geschickt werden könne.

Der Deutsch-Didaktiker Werner Wintersteiner (Uni Klagenfurt) übte im Ö1-Mittagsjournal keine direkte Kritik am Kurz-Vorschlag, würde aber besser beim Kindergarten ansetzen. Er plädierte für drei Jahre Gratis-Kindergarten, einen Hochschulabschluss für Kindergartenpädagogen und eine Reform der Lehrerausbildung unter dem Blickpunkt der Integration. Auch er würde aber "bedauern, wenn die Idee der Mehrsprachigkeit zurückgedrängt wird".

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